Ende März gab die langjährige Nationaltorhüterin Almuth Schult ihr Karriereende im Profifußball bekannt. Für Deutschland absolvierte sie 66 Länderspiele und wurde 2016 in Rio de Janeiro Olympiasiegerin.
Gwinn? „Sie hat niemanden beleidigt“
Die 34-Jährige erwartet im Oktober ihr viertes Kind - auch das hat sie im exklusiven Interview mit SPORT1 als Grund für ihr Karriereende genannt.
Schult geht auch auf den „schlimmen“ Moment der öffentlichen Pressemitteilung ein, die ihren Abschied endgültig besiegelte. Kritische Aussagen von Giulia Gwinn über das Fernbleiben der Bayern-Bosse beim Pokal-Halbfinale gegen Hoffenheim ordnet Schult positiv ein.
So begründet Schult ihr Karriereende
SPORT1: Frau Schult, Sie haben sich dazu entschieden, ihre Profikarriere zu beenden. Was waren die ausschlaggebenden Punkte?
Almuth Schult: Es gibt natürlich mehrere: Zum einen die Schwangerschaft. Ich habe nicht vor, nach der dritten Schwangerschaft nochmal zurückzukommen, es ist doch ein weiter Weg. Zudem ist so etwas in Europa noch keine Normalität und dadurch im Vergleich zu den USA die Unterstützung geringer. Der zweite Punkt ist, dass ich schon nach meiner zweiten Schwangerschaft immer versucht habe, einen Verein in Europa zu finden. Das war aber unerwartet schwierig. Ich habe schließlich beim HSV in der 2. Liga den Wiedereinstieg gemacht. Für die Möglichkeit bin ich dankbar. Allerdings hat mir niemand anderes das Vertrauen geschenkt. Nach erneuter Suche habe ich nochmal den Schritt in die USA gewagt, nach Kansas City. Bei KC Current habe ich einfach erneut erfahren, wie anders mit Müttern im Fußball in den USA umgegangen wird. Ich habe dort sehr gute Leistungen gebracht und trotzdem war ich jetzt im Winter wieder in der Situation, keinen Verein in einer Top-Liga zu finden. Und die dritte Sache: Es ist schön, Zeit mit der Familie zu haben und diese Zeit auch selbst planen zu können, nicht von irgendetwas abhängig zu sein. Ich bin nun mal keine 20 mehr (lacht).
Schult bedauert Umstände bei DFB-Abschied
SPORT1: Am Dienstag wurden Sie offiziell vom DFB verabschiedet – ausgerechnet in Wolfsburg. Wie war das für Sie? Sie waren ja gleichzeitig auch als TV-Expertin bzw. Kommentatorin im Einsatz, konnten Sie den Moment überhaupt genießen?
Schult: Es fühlte sich nicht ganz so angemessen an, weil die UEFA vorgibt, dass man so etwas nicht mehr direkt vor Anpfiff machen darf bei Nations-League-Spielen. Nach oder während des Aufwärmens ist das Stadion noch nicht komplett gefüllt und die Zuschauer auch teilweise mit anderen Dingen beschäftigt. Direkt vor Anpfiff wäre es sicherlich emotionaler gewesen, aber in der Beziehung waren dem DFB die Hände gebunden. Trotzdem ich habe es genossen, in Wolfsburg im Stadion zu sein. Unter anderem durch meine Arbeit als TV-Expertin durfte ich schon häufiger wieder unten am Rasen sein und es fühlt sich immer wie nach Hause kommen an. Ich habe dort neun sehr schöne Jahre verbracht. Weil es so nah an meiner Heimat ist, war es zusätzlich für meine Familie unkompliziert, ins Stadion zu kommen. Das war sehr, sehr schön. Durch die Emotionen bin ich ganz gut durchgekommen, zum einen, weil ich gearbeitet habe, zum anderen, weil ich mich die Woche vorher darauf einstellen konnte. Der Moment der öffentlichen Pressemitteilung war deutlich schlimmer. Sie ging raus und hatte damit etwas Endgültiges. Der Tag war viel schwieriger zu meistern als der Tag der Verabschiedung.
Gwinn-Kritik: „Sie hat niemanden beleidigt“
SPORT1: Sie waren schon immer eine laute Stimme im Hinblick auf Frauenfußball und Gleichberechtigung. Werden Sie sich künftig weiter oder sogar noch stärker engagieren?
Schult: Natürlich. Aber Engagement hängt auch von den Möglichkeiten ab und auch von Leuten im Umfeld, die zulassen, dass man sich engagiert und es hoffentlich unterstützen. Es wird garantiert einen Weg geben und ich freue mich zu verfolgen, wie sich der Fußball in dem Thema hoffentlich noch weiterentwickelt.
SPORT1: Giulia Gwinn hat zuletzt beim Pokalspiel des FC Bayern gegen Hoffenheim kritisiert, es sei schade, dass kein Verantwortlicher aus dem Herrenbereich anwesend war. War das richtig oder falsch von ihr?
Schult: Wieso richtig oder falsch? Sie hat ja niemanden beleidigt. Bei einem Pokal-Halbfinale der Männer wäre es wahrscheinlich keine Frage gewesen, ob die Verantwortlichen da gewesen wären. Und deswegen darf und sollte man das aussprechen in einem angemessenen Ton. Nur wenn man etwas aufzeigt, kann auch über Veränderung nachgedacht werden.
Verbindung zwischen Männer- und Frauenfußball? „Verzahnung ist mehr geworden“
SPORT1: Wie läuft das bei Ihrem Ex-Verein VfL Wolfsburg? Wie haben Sie die Verbindung von Frauen- und Männerfußball erlebt?
Schult: Ich habe erlebt, dass die Verzahnung auf jeden Fall mehr geworden ist. Ganz am Anfang gab es die eher wenig, in den letzten Jahren hat es sich entwickelt. Es gibt Austausch über gewisse Themen, das ist ein Fortschritt. Aber natürlich sind noch nicht beide Mannschaften am gleichen Trainingsgelände und laufen sich täglich über den Weg. Mittlerweile kennen sich immer mehr Spielerinnen und Spieler. Das war zu meiner Anfangszeit anders, obwohl es da auch immer Männer gab, die sich dafür interessiert haben. Benaglio, Naldo und auch Marcel Schäfer waren auch früher schon bei unseren Spielen mit ihren Familien zu Gast. Das war auch schön zu sehen, aber da haben sich meiner Kenntnis nach die Verantwortlichen noch nicht so ausgetauscht, wie sie es heute tun.
SPORT1: Würden Sie sich einen engeren Austausch zwischen den Abteilungen wünschen oder muss der Frauenfußball seinen eigenen Weg gehen?
Schult: Austausch bedeutet nicht Fremdbestimmung. Ich finde Austausch immer wichtig. Es geht dann um gegenseitige Wertschätzung von Arbeit und Weitergabe von Erfahrungen. Es scheint sich auch überall in Europa zu entwickeln, dass ich die Frauen und Männer eines Vereins austauschen. In den USA sind Männer- und Frauenteams normalerweise nicht mal in einem Verein, sondern es sind unterschiedliche Vereine. Aber trotzdem gibt es oft Austausch und Austausch ist immer wichtig, auch mit anderen Sportarten, damit man über den Tellerrand hinausschaut.
„Natürlich sind diese Highlight-Spiele wichtig“
SPORT1: Der VfL spielt häufiger in der großen Volkswagen Arena. Aus Ihrer Erfahrung: Was bringen solche Highlight-Spiele für die Wahrnehmung des Frauenfußballs?
Schult: Natürlich sind diese Highlight-Spiele wichtig. Denn viele Menschen verbinden Fußball immer mit den großen Stadien und wenn dann die Frauen in einem anderen Stadion spielen als die Männer, das deutlich kleiner und vielleicht nicht mal Spielstätte für andere Mannschaften des Vereins ist, kann es sein, dass das ein bisschen untergeht. Diese großen Spiele machen den Sport für ein breiteres Publikum zugänglich und sind Anziehungspunkt für Medien und Sponsoren, weil die Infrastruktur in den kleineren Stadien, die oft Amateurstadien sind, nicht so attraktiv ist. Es wäre schön, wenn es in Zukunft normal wird und man sich nicht fragt: Ist das jetzt ein Männer- oder ein Frauenstadion? Es ist einfach ein Fußballstadion und da spielen sowohl professionelle Männer- als auch professionelle Frauenmannschaften.
Bayern-Frauen bald häufiger in der Allianz Arena?
SPORT1: Beim Pokalspiel zwischen einem anderen Ihrer Ex-Klubs, dem HSV, und Werder Bremen wurde mit 57.000 Zuschauern der Rekord für ein Frauen-Spiel in Deutschland aufgestellt. Währenddessen spielen die Bayern im Liga-Topspiel gegen Wolfsburg und im Champions-League-Viertelfinale vor je 2.500 Menschen. Müssten die Bayern-Frauen auch häufiger in der Allianz Arena spielen?
Schult: Da ist leider ein Problem, dass das kleine Stadion mit 2.500 und die Allianz Arena fast 75.000 Fassungsvermögen hat. Es ist wirtschaftlich schwierig, einen solchen Sprung darzustellen. Man möchte ja auch, dass der Frauenbereich eine Rentabilität hat und auch Stimmung aufkommt in großen Stadien - wenn diese nur zu einem geringen Teil ausgelastet sind, ist es schwierig. In München fehlt eine Größe dazwischen. Aber es wurde jetzt bekannt gegeben, dass die neue Bundesligasaison in der Allianz Arena eröffnet wird. Ich bin gespannt, wie voll die Arena wird. Wenn die Arena voll ist, ist das natürlich eine außergewöhnliche Stimmung. Ich würde mir natürlich wünschen, dass die Frauen dort häufiger spielen.
SPORT1: Wie „frech“ darf oder muss der Frauenfußball in Deutschland sein?
Schult: Mit „frech“ verbindet man ja nicht nur Positives, sondern auch Negatives. Ein besseres Wort ist vielleicht Mut und auch Selbstbewusstsein. Es ist manchmal schwierig, zwischen Parteien, die unterschiedliche Interessen verfolgen, den richtigen Ton zu treffen in Diskussionen. Argumente sind hier wichtig. Dass die Entwicklung von Frauensport in den letzten Jahrhunderten absichtlich gehemmt wurde, ist zwar ein Argument, aber viele sind davon immer wieder genervt. Wir sind gerade in einer Entwicklung. Ich hoffe, dass diese Entwicklung weitergeht und ich hoffe auch, dass immer mehr Menschen und vor allem Entscheidungsträger den Spaß und das Potenzial darin entdecken, weil nämlich auch der Frauensport zu einem „Business Case“ werden kann, wie man so schön sagt. In bestimmten Bereichen ist er das schon geworden, zum Beispiel außerhalb des Fußballs mit der WNBA oder der PWHL. Daran sollte man sich ein Beispiel nehmen und Mut haben. Aber da sind wir bei einem Punkt: Manchmal muss der Mut auch eingefordert werden.