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Krux mit den Kreuzbandrissen: Warum trifft es Frauen häufiger?

Ein immer massiveres Problem

Nur sechs Wochen nach ihrem Comeback erleidet Lena Oberdorf erneut einen Kreuzbandriss. Das hohe Risiko dieser Verletzung bei Frauen ist komplex.
Giulia Gwinn leidet mit ihrer Teamkollegin Lena Oberdorf, die sich erneut nach ihrem Kreuzbandriss zurückkämpfen muss. Die DFB-Kapitänin weiß, wovon sie spricht und wie schwer dieser Weg ist.
Nur sechs Wochen nach ihrem Comeback erleidet Lena Oberdorf erneut einen Kreuzbandriss. Das hohe Risiko dieser Verletzung bei Frauen ist komplex.

Mit der Einwechslung für Georgia Stanway feierte Lena Oberdorf am 6. September nach 417 Tagen Abstinenz ihre Rückkehr auf den Bundesligarasen. Nun sollte in der aktuellen Länderspielphase (Women‘s Nations League: Halbfinale Deutschland - Frankreich ab 17.45 Uhr im LIVETICKER) auch das Comeback in der Nationalelf folgen.

Doch in der Partie des FC Bayern gegen den 1. FC Köln am 19. Oktober hat sich die Mittelfeldspielerin erneut einen Kreuzbandriss zugezogen, abermals im rechten Knie. Statt Fotos vom Training mit ihren Kolleginnen teilt die 23-Jährige derzeit also in den Instagram-Stories ihre Hündin Skyla, die ihr Gesellschaft leistet.

Oberdorf eins von vielen prominenten Beispielen

Oberdorf ist trotz ihrer jungen Jahre und obwohl sie dem Fußball zuletzt lange fehlte, bereits eine prägende Figur in diesem Sport. Die Tragik der erneuten Verletzung lenkt deshalb auch in der Breite die Aufmerksamkeit auf ein Thema, das nicht bloß im Fußball, sondern auch in anderen Sportarten der Frauen besonderes Augenmerk verdient: Kreuzbandrisse.

Nicht nur Oberdorf ist aktuell betroffen, die Anzahl aktueller Kreuzbandverletzungen in der Bundesliga liegt im zweistelligen Bereich. Giovanna Hoffmann, Sarah Zadrazil und Sophia Winkler sind weitere prominente Beispiele. Betroffen ist zudem Real-Torhüterin Merle Frohms,

„Es trifft nicht nur uns, die anderen Nationen haben die gleichen Probleme. Im Großen und Ganzen müssen wir uns da Gedanken machen, wie wir das medizinisch besser in den Griff kriegen“, betont Frauen-Bundestrainer Christian Wück.

Kreuzbänder bei Frauen stärker strapaziert

Zwei- bis sechsmal öfter als ihre männlichen Kollegen ziehen sich Sportlerinnen die spezielle Verletzung laut aktueller Zahlen zu. In einem auf drei Jahre angelegten Projekt untersuchen die internationale Spieler*innengewerkschaft FIFPRO, die nationale PFA England, Nike und Leeds Beckett University in der Women’s Super League die Gründe dieser Häufung. Auch hierzulande hat die Aufmerksamkeit für das Thema längst zugenommen.

Dr. Lorenz Adlung vom University Medical Center Hamburg-Eppendorf beschreibt zunächst zwei körperliche Hauptgründe: „Erstens der Körperbau. Bei Frauen stehen die Knie oft enger beisammen als Oberschenkelhälse und Füße.“ Dadurch, so Adlung, werden die Kniegelenke – und somit auch die Kreuzbänder – im Bewegungsablauf, beim Schießen oder dem Sprung zum Kopfball bei Frauen stärker strapaziert.

„Keine idealen sportmedizinischen Voraussetzungen“

Als zweiten Grund benennt der Mediziner die Muskeln: „Wo wir viele Muskeln haben, das wirkt sich auch auf unsere unbewussten Reflexe aus und kann schmerzenden Bewegungen vorbeugen. Die Verteilung der Muskelmasse ist zwischen Männern und Frauen unterschiedlich – und damit auch das Verletzungsrisiko.“

Laut der Forschungsgruppe in England erfolgen zudem zwei Drittel der Kreuzbandrisse bei Frauen in Aktionen ohne körperlichen Kontakt, was Lorenz mit Unterschieden der Bewegungsabläufe erklärt, die zu vermehrtem Einknicken der Hüft- und Kniegelenke bei Frauen führen.

Gleichzeitig warnt er aber davor, beim Thema Geschlecht zu vereinfachen. Er betont, dass der Hormonhaushalt eben nicht binär ist, „sondern ein Kontinuum zwischen biologischen Geschlechtern“ und sich mit der Zeit ändert. Hormone wiederum haben eine vielfältige Auswirkung auf die Physiologie des Körpers und sind wichtig fürs Hungergefühl, den Aufbau der Muskeln oder die Beschaffenheit der Bänder, alles wichtige Themen beim Sport – und auch dem Training. „Wer cis-männliche Personen hier als Standard nimmt, bietet keine idealen sportmedizinischen Voraussetzungen.“ Sprich, Trainingspläne, die – vereinfacht gesagt – von Männern für Männer gemacht werden, sind für Sportlerinnen ein Problem.

Forschungsergebnisse dank Gender Health Gap uneindeutig

Natürlich hat sich diese Erkenntnis mindestens in der Spitze des Fußballs der Frauen bereits durchgesetzt. Selbst dann gibt es aber keine einfachen Antworten, wobei immer wieder das Thema Hormone bestimmend ist, da diese sich nicht nur im Laufe eines Lebens, sondern in jedem Zyklus verändern. Das Training eben am Zyklus auszurichten, hat daher in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Allerdings gibt es selbst hier Tücken.

„Die Forschungsergebnisse sind in dem Bereich bislang leider nicht eindeutig“, erklärt Dr. Emma Ross von „The Well HQ“. Einen Hauptgrund sieht sie in der bislang unzureichenden Forschung, die oft nur einen Zyklus betrachte und auch zahlenmäßig nicht ausreiche. Nicht ohne Grund spricht man vom „Gender Health Gap“, was bedeutet, dass sich auch in der Medizin bislang viel an Männern ausrichtet. Jedoch haben unterschiedliche Gender körperlich unterschiedliche Voraussetzungen, Bedürfnisse und Anforderungen.

Mehrere Gründe für Häufung von Kreuzbandrissen

Die Forschenden des Pilotprojekts in England verweisen unterdessen darauf, die Häufung von Kreuzbandrissen sei „multifactorial“, habe also mehrere Gründe. Wie auch Lorenz und Ross in ihren Einschätzungen nehmen sie neben körperlichen Faktoren das Training ganz besonders in den Blick. Eine Rolle spielt dabei die Ausstattung der Trainingsumgebung, die bei Sportlerinnen oft der von Sportlern nachsteht. Ein lange übersehenes „Trainingsgerät“ sind dabei Schuhe, betont Ross die Bedeutung eines „female fit“.

Die Forscherin verweist zudem auf Zahlen, wonach Mädchen bereits ab einem Alter von fünf Jahren wieder mit den sportlichen Aktivitäten aufhören, auch weil sie gegen Stereotype zu kämpfen haben. Bleiben sie hingegen durch die Pubertät hindurch – sprichwörtlich – am Ball, hat das positive Effekte. Vorausgesetzt, das Training ist an ihre Bedürfnisse angepasst.

Auf die Frage, wie Sportlerinnen in Sachen Kreuzbandrissvermeidung besser geschützt werden können, gibt es also keine einfachen Antworten. Umso wichtiger, weiter nach Lösungen zu suchen, die so vielschichtig sind wie das Problem.