Zumindest so viel steht fest: Natürlich wird auch bei Lamine Yamal dieser Tage nichts dem Zufall überlassen. Warum sollte es auch? Zu wichtig erscheint, dass Spaniens Fußball-Wunderkind, das am heutigen Samstag seinen 17. Geburtstag feiert, perfekt in Szene gesetzt wird - genau so, wie er selbst in höchster Perfektion abliefert.
Wie konnte es so weit kommen?
Und so verwundert es kaum, dass Yamal just vor seiner Mega-Performance und diesem Tor zum Mit-der-Zunge-Schnalzen beim 2:1 gegen Frankreich im EM-Halbfinale auch dort die Klaviatur der Selbstinszenierung bespielt, wo es Fans und Öffentlichkeit heutzutage erwarten dürfen.
Auf YouTube läuft gerade ein Sechs-Minuten-Video von GQ Sports rauf und runter, in dem der Teenager, dessen voller Name Lamine Yamal Nasraoui Ebana lautet, die zehn Dinge nennt, ohne die er nicht leben könne.
So tickt Spaniens neuer Superstar Lamine Yamal
Neben allerlei bereits bekannten Infos (Leibspeise Reis mit Erdnuss-Sause aus dem Herkunftsland seiner Mutter Sheila Ebana in Äquatiorial Guinea; stolzer Playstation-5-Besitzer mit Vorliebe für Fortnite und FIFA; kulinarische Schwäche auch für das erstmals bei seiner Oma gekostete Gebäck Marokkos, von wo wiederum Vater Mounir herstammt) verrät Yamal dabei auch manch mehr oder minder essenziell Neues.
Da gibt es aufklärende Informationen über seine weißen Arbeitsschuhe, das Modell F50 von Adidas, das auch sein großes Vorbild Lionel Messi auf dem Rasen trägt.
Zu sehen sind auch reichlich Kindheitsfotos wie etwa mit dem Papa aus dem Skatepark in Granollers, einer Kleinstadt nordöstlich von Barcelona, wo Yamals Höhenflug vor nicht allzu langer Zeit begonnen hat.
Was weder die Hauptperson selbst noch seine PR-Maschine zu erklären vermag, ist indes, wohin die Reise mit dem Ausnahme-Kicker im Teenager-Alter noch gehen kann. Und wie es bisher nur dazu kommen konnte.
Für Kroos der Beste
„Er war diese Saison der beste Mann von Barcelona“, hatte Toni Kroos vor dem Aus der deutschen Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft (1:2 nach Verlängerung) gegen ebenjene Spanier mit Yamal in der Startelf gesagt.
Es ist vor allem das Rätsel darum, in dieser Phase des Lebens bereits unfassbar anmutende Sphären erreicht zu haben: Denn jünger als Yamal, der vorige Woche im spanischen EM-Quartier in Donaueschingen erfuhr, dass er den Mittelschulabschluss bestanden hat, war noch kein EM-Teilnehmer zuvor - Stammspieler eines Turnier-Favoriten sowieso nicht.
„Man darf nicht vergessen, dass der 16 ist. Das geht gar nicht, wenn sich jeder mal überlegt, was er mit 16 gemacht hat. Der hat gerade seine Nation ins EM-Finale geschossen“, sagte Gladbach-Profi Christoph Kramer als ZDF-Experte in einer Mischung aus Verzücktheit und Fassungslosigkeit.
Wie es bei ihm in dem Alter war? „Ich kam im Sommer 2006 gerade vom Lateinunterricht und habe dann Deutschland gegen Costa Rica (beim WM-Sommermärchen; Anm. d. Red.) nachgespielt im Poldi-Trikot, weil Ferien waren und ich lange aufbleiben durfte.“
Der leicht schlaksige Yamal (66 Kilogramm bei 1,78 Meter Länge) - längst noch nicht ausgewachsen und körperlich noch nicht am Ende seiner Entwicklung - dagegen kreiert im iberischen Team bei der EM die meisten Torchancen und Dribblings, tritt bereits eine Vielzahl an Eckbällen und Freistößen.
304 als besonderer Torjubel
Dazu kommen seine temporeichen Flanken aus dem Spiel heraus. Bei Hereingaben von rechts mit dem linken Fuß sagten die verwertenden Dani Carvajal (gegen Kroatien) und Fabián Ruiz im Duell mit Georgien hinterher Danke.
Und gegen Frankreich schlenzte Yamal den Ball nach 21 Minuten einfach mal links oben an den Innenpfosten und von dort ins Tor - sein erster Treffer bei einem Groß-Event.
Danach machte der Rechtsaußen das, was er immer macht bei einem eigenen Treffer: Er formte seine Finger zu den Zahlen drei, null und vier - in Anspielung auf die 304, die hinteren Ziffern der Postleitzahl von Rocafonda, einem Stadtviertel der katalanischen Industriestadt Mataró, ein sozialer Brennpunkt mit hoher Arbeitslosigkeit rund 30 Kilometer nördlich von Barcelona.
Dort und zu neunt als Großfamilie in einer kleinen Wohnung war der Hochveranlagte einst aufgewachsen, ehe er nach dem Umzug nach Granollers bei seinem ersten Fußballklub landete, La Torreta.
Als Siebenjähriger zum FC Barcelona
Schnell ging die sportliche Reise weiter mit dem Wechsel zu Barca als Siebenjähriger - Vereinsinternat La Masia nach der Grundschule ab dem zwölften Lebensjahr inklusive, wo nur die besten Kicker des Planeten ausgebildet werden. So wie vor vielen Jahren auch Klub-Ikone Lionel Messi.
Was Yamal dennoch lange danach nicht davon abhielt, mit Freunden seiner Leidenschaft als Straßenfußballer auf den Betonbolzplätzen in einem Park in Rocafonda nachzugehen.
„Das Beste aus zwei Welten“ schrieb der Spiegel in einem Porträt über Yamal dazu und verwies auf dessen Mischung aus „Instinkt und Übersicht, die Kunst am Ball und im Pass, individuelle Klasse und Teamgedanke“.
Aber apropos Messi: Ist es für den Teenie mit der Zahnspange, der seine Lockenpracht mit Haarwachs bändigt, durch diese EM nun wirklich der Startschuss zu einer Weltkarriere wie beim argentinischen Weltmeister und mehrmaligen Weltfußballer?
Viele warnende Beispiele des Absturzes
Zur Erinnerung: Viele, die zu Beginn einer herausragenden Entwicklung mit einer solchen Hypothek belegt wurden, sind gescheitert - gerade auch Spieler aus der Barca-Jugend wie Bojan Krkic. Erinnert sei auch an das Beispiel Freddy Adu, Profi mit 14 Jahren und früh als „neuer Pelé“ umjubelt.
Bei den Katalanen galt unlängst auch noch Ansu Fati als der Auserwählte unter den ohnehin schon Besten. Inzwischen ist er infolge mehrfachen Verletzungspechs an Brighton & Hove Albion verliehen - ausgerechnet Yamal kam und stellte ihn (wie auch Youngster Gavi) in den Schatten. Als jüngster Torschütze in der spanischen LaLiga sowie jüngster Nationalspieler und Torschütze Spaniens sorgte er für reihenweise Rekordmarken.
Es kommt einem so vor, als gebe es kein Zurück von der Nummer 10, seinerzeit unter großem Getöse an Fati verliehen und bald wohl auf Yamals Rücken anstatt der 27 - sie ist verheißende Prophezeiung und warnendes Schicksal zugleich.
Dessen mag sich auch Barcas Neucoach, der frühere Bayern-Triple-Sieger Hansi Flick, bewusst sein, wenn er seinen auf Klubreisen auf dem Tablet gern Serien-schauenden Rechtsaußen (Breaking Bad und die Stalking-Story von Baby Reindeer) demnächst betrachtet.
Gleichwohl glauben die Experten, Yamal werde das Schicksal erspart bleiben, nach sternengleichem Aufstieg doch wieder kometenhaft zu verglühen. „Nicht mal Messi war in diesem Alter auf Lamines Niveau“, meinte Spaniens Ex-Nationalspieler Fernando Llorente.
Auch Neymar zum Vorbild
Yamal, der auch die Tricks von Neymar bewundert, gibt die Komplimente freilich artig zurück, erwidert darauf immer wieder ähnlich: „Messi ist der beste Spieler der Geschichte. Niemand kann sich mit ihm vergleichen, schon gar nicht ich, der gerade erst angefangen hat. Hoffentlich kann ich die Hälfte seiner Karriere haben.“
Aber Yamal weiß ebenso, dass „die Art, wie ich spiele, ziemlich einzigartig und nicht oft der Fall ist“, wie er in besagtem YouTube-Video erläutert.
Der Glücksfall des Weltfußballs will kein Zufall sein - schon gar nicht im EM-Finale gegen England (Sonntag, 21.00 Uhr im LIVETICKER).