Es ist vor allem dieses eine Duell, das Fans und Öffentlichkeit gleichermaßen elektrisiert: Wenn Portugal und Frankreich im Hamburger Volkspark im EM-Viertelfinale (ab 21 Uhr im Liveticker) aufeinander prallen, richten sich alle Augen auf Cristiano Ronaldo und Kylian Mbappé.
Bremsklotz am Kipppunkt
Altmeister und Noch-Immer-Superstar versus Quasi-Weltfußballer und Mann der Gegenwart und Zukunft. Der König gegen seinen Kronprinzen. Fast-40-Jähriger kontra Twen mit 25. Die Ikone von Real Madrid wider das kommende Versprechen der Königlichen. Die Reihe der Bezeichnungen dieses außergewöhnlichen Vergleichs ließe sich noch lange fortsetzen.
Es ist aber auch ein Duell, in dem sowohl Ronaldo als auch Mbappé noch immer jeden Beweis schuldig geblieben sind, dem Kontinental-Turnier ihren jeweiligen Stempel aufzudrücken können.
Während die Équipe Tricolore bisher nicht mehr zu bieten hat als zwei gegnerische Eigentore und sein Ausnahme-Stürmer allein einen verwandelten Elfmeter, hat Ronaldo noch kein einziges Mal getroffen - seinen Erfolg vom Punkt beim nervenaufreibenden Weiterkommen im Elfmeterschießen des Achtelfinales gegen Slowenien einmal außen vorgelassen.
Schickt Mbappé sein Idol in Rente?
Und dennoch: Einer von beiden wird beim Showdown von Hamburg auf der Strecke bleiben. Und nicht wenige formulieren es so, dass Mbappé sein 14 Jahre älteres Vorbild Ronaldo im Duell der Generationen in Rente schicken wird.
Was die Angelegenheit gleich doppelt pikant macht: Einst zierten Ronaldo-Poster das Kinderzimmer des französischen Stürmers, der mit einem Sieg nicht nur die EM-Karriere seines Idols beenden würde, sondern ab der kommenden Saison zudem für ebenjenes Real Madrid aufläuft, das dem Portugiesen wiederum in 311 Pflichtspielen 292 Tore zu verdanken hat.
„Es gibt nur einen Cristiano Ronaldo und es wird immer nur einen Cristiano Ronaldo geben. Ich hoffe nur, dass er morgen nicht so glücklich sein wird“, hatte Mbappé während der Pressekonferenz vor der Partie erklärt.
Und davon geschwärmt, „wie er spielt. Seine Tore, seine Pokale, sein Lebenslauf ... Er hat Generationen inspiriert, er ist einzigartig.“
Ronaldo: Bremsklotz oder Verstärkung?
Wird das 30. Spiel Ronaldos (Rekord!) demnach auch sein letztes bei einer EM, weil der König des europäischen Fußballs und Europameister von 2016 eine weitere Turnier-Teilnahme unlängst ausschloss?
Aktuell fällt CR7 ohnehin eher durch Drama und Emotionen auf. Der seit zwei Jahren für Al-Nassr FC in Saudi-Arabien im Klub längst zweitklassig kickende Offensivmann trägt seine Kapitänsrolle bei der Seleção noch immer mit viel Pathos zur Schau.
Kein Freistoß, den sich Ronaldo nicht schnappt - dazu gegen Slowenien viele Tränen nach einem verschossenen Strafstoß in der Verlängerung.
Nicht wenige diagnostizieren deshalb mit spöttischem Belächeln, die Ikone sei mehr Bremsklotz denn wirkliche Bereicherung für die Portugiesen. Ungeachtet seiner weiterhin enormen Strahlkraft, was allein schon daran zu spüren ist, wie die EM-Sicherheitsvorkehrungen zuweilen ins Wanken geraten, wenn plötzlich wieder irgendein Flitzer ein Selfie zu machen versucht.
Extravagant bis beleidigt
Auch wenn er noch immer viele Bälle festmacht: Ob seines Alters gehört Ronaldos frühere Sprint-Stärke - vor allem im Vergleich zu der von Mbappé - längst der Vergangenheit an.
Was die Situation ansonsten immer wieder an den Rand eines gefährlichen Kipppunkts zu drängen droht, ist Ronaldos Hang, vom Extravaganten ins Beleidigtsein abzudriften - siehe dazu zuletzt manche vorzeitige Auswechslung, auf die der 39-Jährige wenig amüsiert reagiert hatte.
Was also passiert, wenn der Routinier von seinen Neben- und Hinterleuten wie Bernardo Silva oder Bruno Fernandes nun erneut zu wenige oder ungeeignete Bälle und Zuspiele bekommt, um zu glänzen? Oder wenn die eigene Abwehr um Alterspräsident Pepe, wie Ronaldo beim EM-Sieg vor acht Jahren im Finale auch gegen Frankreich dabei, derart ins Hintertreffen gerät, dass für das so gern gestreichelte Ego des Superstars so gar kein Raum mehr bleibt wie beim 0:2 in der Gruppenphase gegen Georgien?
Die großen Highlights versagt blieben bislang allerdings auch die Franzosen - und dabei nicht zuletzt Mbappé, obendrein noch beeinträchtigt durch eine Gesichtsmaske, die er infolge eines beim Auftaktsieg gegen Österreich (1:0) erlittenen Nasenbeinbruchs trägt.
So könnte das Duell der Superstars zu einem Duell der Durchwürger, des Behinderten gegen den Belächelten mutieren, in dem am Ende weder Mbappé noch Ronaldo die tatsächliche Hauptrolle spielen.