Frauen-Bundesliga>

"Es war bemerkenswert, wie oft ich erkannt wurde"

{}
{ "placement": "banner", "placementId": "banner" }
{ "placeholderType": "BANNER" }

„Rückblickend war das surreal“

Bei der Europameisterschaft wurde Janina Minge durch die Verletzung von Giulia Gwinn zur Kapitänin. Beim VfL Wolfsburg ist sie ohnehin Führungsspielerin. Mit SPORT1 spricht sie vor dem Supercup am Samstag in München über Bundesliga, Nationalmannschaft und Polizeiarbeit.
DFB-Präsident Bernd Neuendorf sieht nach der Europameisterschaft die Möglichkeit einer neuen Ära für den Frauenfußball.
Bei der Europameisterschaft wurde Janina Minge durch die Verletzung von Giulia Gwinn zur Kapitänin. Beim VfL Wolfsburg ist sie ohnehin Führungsspielerin. Mit SPORT1 spricht sie vor dem Supercup am Samstag in München über Bundesliga, Nationalmannschaft und Polizeiarbeit.

Janina Minge blickt auf eine erlebnisreiche Zeit zurück. Im Juli 2024 wurde sie für die Olympischen Sommerspiele nachnominiert, weil sich Lena Oberdorf einen Kreuzbandriss zugezogen hatte, und gewann Bronze. Ein Jahr später führte sie die deutsche Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft auf das Spielfeld - aufgrund der Verletzung von Giulia Gwinn, die ursprünglich als Spielführerin angedacht war.

{ "placeholderType": "MREC" }

Nun steht Minge mit dem VfL Wolfsburg vor dem Start in die neue Saison, beginnend mit dem DFB-Supercup am Samstag beim Double-Sieger FC Bayern (14 Uhr LIVETICKER). Im Interview mit SPORT1 blickt die 26-Jährige auf die EM zurück, spricht außerdem über die Ambitionen mit Wolfsburg und den derzeitigen Frauenfußball-Boom.

SPORT1: Frau Minge, wie lange hat es gedauert, das Ausscheiden bei der Europameisterschaft zu verarbeiten?

Janina Minge: Es hat seine Zeit gebraucht. In den Tagen nach dem Turnier waren meine Gedanken noch sehr fußballorientiert. Als ich ein paar Tage in den Urlaub geflogen bin, ging es wieder besser. Jetzt freue ich mich wieder brutal auf die neue Saison.

{ "placeholderType": "MREC" }

Das Topspiel der Frauen-Bundesliga LIVE - auch diese Saison im Free-TV und im kostenlosen Stream auf SPORT1

„Es war ein Mentalitätssieg der Engländerinnen“

SPORT1: Haben Sie beim Finale manchmal gedacht, dass Sie mit Deutschland gegen den Europameister England gewonnen hätten?

Minge: Ja, sehr oft. Natürlich schaut man sich das Finale an. Man hat gesehen, dass alles möglich gewesen wäre. Wir hätten unsere Chance gehabt. Daher war es noch bitterer. Aber wir standen eben nicht im Finale. England ist schlussendlich auch ein Stück weit verdient Europameister geworden.

SPORT1: War England die beste Mannschaft?

Minge: Man hat bei diesem Turnier gesehen, dass nicht unbedingt immer die fußballerisch beste Mannschaft gewinnt. Es steckt viel mehr dahinter. England durchlebte ein brutal wildes Turnier. Es gab sehr viele Rückschläge, die sie gemeistert haben. Das muss man erst einmal schaffen. Am Ende war es ein Mentalitätssieg der Engländerinnen.

{ "placeholderType": "MREC" }

SPORT1: Die Europameisterschaft hatte auch aus deutscher Sicht Höhen und Tiefen. Erst die schwere Verletzung von Kapitänin Giulia Gwinn, im dritten Vorrundenspiel das enttäuschende 1:4 gegen Schweden, dann im Viertelfinale der sensationelle Sieg in Unterzahl gegen Frankreich. Welche Gefühle überwiegen rückblickend?

Minge: Im Nachhinein vermutlich schon das Positive. Wir alle haben wahrgenommen, dass wir eine gewisse Euphorie in Deutschland entfacht haben. Auch ich persönlich habe gemerkt, wie viele Leute sich unsere Spiele angesehen haben. Es ist etwas Besonderes und nicht selbstverständlich, dass mittlerweile so viel Wert auf Frauenfußball gelegt wird. Für die Entwicklung des Frauenfußballs war das durchweg positiv.

Die EM als Boost für den Frauenfußball?

SPORT1: Die Länderspiele wurden im deutschen Fernsehen von teilweise mehr als 14 Millionen Zuschauern verfolgt. Haben Sie das Gefühl, dass Frauenfußball einen Boom erlebt?

{ "placeholderType": "MREC" }

Minge: Auf jeden Fall. Ich glaube, die EM hat einen großen Beitrag dazu geleistet. Ich hoffe, dass das jetzt auch in der Bundesliga spürbar ist. Natürlich war bereits in den vergangenen Jahren die positive Entwicklung festzustellen. Aber ich glaube, die Europameisterschaft war ein kleiner Startschuss für noch mehr Aufmerksamkeit und noch mehr Fans. Ich denke, dass dieses Turnier eine positive Auswirkung haben wird.

SPORT1: Haben Sie das gestiegene Interesse auch persönlich gespürt?

Minge: Ja. Ich war direkt nach dem Turnier in meiner Heimat. Es war bemerkenswert, wie oft ich erkannt wurde. Sehr viele Kinder kamen auf mich zu und wollten Autogramme oder ein gemeinsames Foto. Vor dem Turnier war das noch nicht so. Ich bekam auch viel mehr Nachrichten auf Social Media. Man spürt einfach, dass sich jetzt noch viel mehr Menschen dafür interessieren.

{ "placeholderType": "MREC" }

SPORT1: Ex-Bundestrainer Horst Hrubesch, mit dem Sie bei Olympia 2024 Bronze gewannen, wirkte für Außenstehende wie ein väterlicher Freund. Christian Wück kommt eher strenger rüber. Was hat sich bei der Nationalmannschaft unter ihm verändert?

Minge: Ich finde, wir hatten eine durchweg positive Stimmung. Jeder fühlte sich wohl, die Stimmung im Team hat einfach gepasst. Man hat eine gewisse Zeit gebraucht, um sich daran zu gewöhnen. Aber das ist völlig normal, wenn sich ein komplettes Trainerteam ändert.

„Ich bin in diese Aufgabe hineingewachsen“

SPORT1: Wie war es für Sie persönlich, aufgrund der Verletzung von Gwinn plötzlich Kapitänin der deutschen Nationalmannschaft zu sein? Ein Jahr zuvor rutschten Sie bei Olympia lediglich durch eine Nachnominierung in den Kader.

Minge: Rückblickend war das ein Stück weit surreal, weil alles brutal schnell ging. Aber gerade weil es so schnell ging, hatte ich überhaupt nicht viel Zeit, mich darauf vorzubereiten. Ich bin einfach in diese Aufgabe hineingewachsen. Ohnehin war es bei uns nicht so, dass die ganze Last auf der Kapitänin liegt. Wir wussten bereits im Vorfeld, dass wir nicht mehr einzelne Top-Spielerinnen wie Alexandra Popp oder Svenja Huth haben. Wir mussten es als Team schaffen, Führung zu übernehmen. Dadurch war die Kapitänsrolle keine große Veränderung für mich.

SPORT1: Heute sind Sie ein Vorbild für viele junge Fußballspielerinnen. Zu wem haben Sie früher aufgeblickt?

Minge: Ich war ganz lange ein großer Fan von Lukas Podolski. Ich bin früher selber Stürmerin gewesen.

SPORT1: Und von wem sind Sie heute Fan?

Minge: Tief im Inneren bin ich noch immer Freiburg-Fan - zumindest von der Herren-Mannschaft.

„Viele Spiele finden mittlerweile in großen Stadien statt“

SPORT1: Sie haben bereits als Dreijährige mit dem Fußball begonnen. Wann begann der Traum vom Profifußball?

Minge: Gute Frage. Ich glaube, so richtig ernst wurde das, als ich zum ersten Mal zum Stützpunkt kam und für die Auswahlmannschaften spielte. Da spürte ich: Okay, vielleicht bin ich besser als der Durchschnitt. Aber das Wichtigste war, dass mir der Fußball einfach immer extrem viel Spaß gemacht hat.

SPORT1: Was muss geschehen, damit sich die Popularität der Nationalmannschaft noch mehr auf die Bundesliga überträgt?

Minge: Es wäre natürlich schön, wenn die Fans einen immer unterstützen würden. Nicht nur in guten Zeiten, sondern auch in schlechten Zeiten. Wir alle wissen, dass es im Fußball und im Leistungssport generell nicht immer nur aufwärts geht. Es wäre ein wichtiger Schlüssel, die Fans immer hinter sich zu haben. Nicht nur bei uns, sondern auch bei kleineren Vereinen. In der Bundesliga sind tolle Vereine dazugekommen (1. FC Nürnberg, Union Berlin, Hamburger SV, Anm. d. Red.), die sicherlich zur positiven Entwicklung beitragen. Viele Spiele finden mittlerweile in großen Stadien statt.

SPORT1: Das ist ein guter Punkt. Das erste Auswärtsspiel des VfL Wolfsburg in der Bundesliga findet auswärts beim Hamburger SV statt, das alle Heimspiele im großen Volksparkstadion austrägt. Würden Sie sich diesen Mut von mehr Vereinen wünschen?

Minge: Das ist eine schwierige Frage. Hamburg ist eine fußballverrückte Stadt. Man hat dort gesehen, dass bereits in der 2. Liga großes Interesse bestand. Ich weiß nicht, ob das überall so funktionieren würde. Aber Hamburg ist ein tolles Aushängeschild. Sie spielen im großen Stadion und bekommen das vermutlich auch gut gefüllt. Das ist echt cool.

SPORT1: Frauenfußball erlebt auch bei Gehältern und Ablösesummen ein explosionsartiges Wachstum. UEFA-Direktorin Nadine Keßler sagte, wenn es so weitergeht, wird es nicht mehr lange dauern, bis die 100-Millionen-Marke durchbrochen wird. Wie schätzen Sie das ein?

Minge: Ehrlich gesagt stecke ich in dieser Materie nicht so drin. Das Wichtigste ist für uns nach wie vor, dass die Bedingungen stimmen, sodass sich jeder komplett auf den Fußball konzentrieren kann. Dadurch wird der Frauenfußball weiter vorangebracht. Dass dadurch auch mehr Geld in den Frauenfußball fließt, ist eine logische Konsequenz.

Dafür fehlt Janina Minge mittlerweile die Zeit

SPORT1: Heute können Sie sich voll auf den Fußball fokussieren. Als Sie Ihre Karriere begannen, haben Sie parallel dazu noch bei der Polizei gearbeitet. Wie hat sich dieser Spagat angefühlt?

Minge: Das war eine extrem coole Zeit. Für mich war das total entspannt, weil ich mir meine Arbeitszeiten selber aussuchen konnte. Das war perfekt. Die Spitzensportförderung war in Baden-Württemberg extrem gut. Wäre es auch hier in Wolfsburg möglich, hätte ich das weiterhin gemacht. Aber mit den englischen Wochen fehlt die Zeit dafür.

SPORT1: Was genau haben Sie bei der Polizei gemacht?

Minge: Ich bin Streife gefahren - so wie man das aus dem Fernsehen kennt. Wenn Einsätze kamen, bin ich dorthin gefahren. Und wenn nichts los war, sind wir einfach auf der Straße unterwegs gewesen. Das war ein extrem cooler und spannender Job.

SPORT1: Sie haben auch Verbrecher festgenommen?

Minge: Ja, auch das. Es war immer unvorhersehbar, was an einem Tag passieren wird.

„Es ist schon ein Nachteil“

SPORT1: Auch heute gibt es noch viele Fußballspielerinnen bei kleineren Vereinen, die parallel zum Fußball berufstätig sind. Wenn man sich Ihre Erfahrungen anhört, ist der sportliche Nachteil gar nicht so groß…

Minge: Doch, es ist schon ein Nachteil. Dass sich Beruf und Sport so gut vereinbaren lassen wie bei mir damals, ist eher ein Einzelfall. Ich hatte in Freiburg auch Mitspielerinnen, die zwischen den Trainingseinheiten zur Arbeit mussten oder direkt danach. Was die Regeneration betrifft, kann das ein großer Nachteil sein.

SPORT1: Sie sind vor einem Jahr vom SC Freiburg zum VfL Wolfsburg gewechselt. Was waren die größten Unterschiede?

Minge: Die Ambition. In Freiburg war das solide Mittelfeld unser Ziel. Wir wollten nichts mit dem Abstieg zu tun haben und nach Möglichkeit etwas weiter vorne mitspielen. Hier in Wolfsburg wollen wir Titel gewinnen. Es geht darum, jedes Spiel zu gewinnen. Das ist ein großer Unterschied.

Das Ziel? „Titel gewinnen“

SPORT1: Der VfL Wolfsburg musste in der jüngeren Vergangenheit viele Abgänge verkraften. In diesem Jahr ging unter anderem Jule Brand, ein Jahr zuvor Lena Oberdorf und Ewa Pajor. Kann Wolfsburg mit dem neuen Trainer Stephan Lerch noch mit dem Ziel Meisterschaft in eine Saison gehen?

Minge: Auf jeden Fall. Wir haben zwar wichtige Spielerinnen verloren, aber wir haben auch sehr, sehr gute internationale Spielerinnen dazubekommen. Unser Ziel ist ganz klar, dass wir Titel gewinnen.

SPORT1: Wie schätzen Sie die stärksten Konkurrenten wie Bayern München, Eintracht Frankfurt und Co. ein?

Minge: Man hat bereits in der vergangenen Saison gemerkt, dass die Vereine immer mehr zusammengerückt sind. Dadurch ist es schwieriger geworden, am Ende an der Spitze zu stehen. Es gibt keine Mannschaften mehr, die alle Spiele gewinnen. Bayern dürfte natürlich vorne dabei sein, Frankfurt auch. Aber es hat sich auch bei anderen Vereinen vieles getan. Vielleicht gibt es noch eine Überraschungsmannschaft.

SPORT1: Der Supercup wird der erste Härtetest sein. Welche Relevanz hat dieser Titel?

Minge: Der Supercup ist ein Titel. Und ich bin hier, um Titel zu gewinnen. Das wird unser erstes richtiges Spiel nach dem Umbruch sein. Daher ist das ein wichtiges Spiel für uns. Wir wollen gewinnen, können das aber auch richtig einordnen, falls nach dem Umbruch noch nicht alles glatt läuft.

SPORT1: Wir sprachen gerade darüber, dass der Frauenfußball in neue finanzielle Dimensionen vorgedrungen ist. Dies betrifft insbesondere die internationalen Top-Vereine, die andere finanzielle Möglichkeiten haben. Wie schwer ist es für die deutschen Vereine, gegen solche Konkurrenten mitzuhalten?

Minge: Wir haben in der Champions League gesehen, dass die beiden deutschen Vereine (Wolfsburg und Bayern München, Anm. d. Red.) bis zum Viertelfinale dabei waren. Dann war es leider vorbei. Trotzdem brauchen wir uns nicht zu verstecken. Auch wenn das ein anderes Thema ist, haben wir gerade bei der Europameisterschaft gezeigt, dass man Deutschland nie abschreiben darf. Das trifft international auch auf Vereinsebene zu.