Als Franziska Kett in der 114. Minute das Spielfeld verlassen musste, war ihr die Erschöpfung deutlich anzusehen. Die 20-Jährige war im EM-Viertelfinale gegen Frankreich bis an ihre Grenzen gegangen – und sogar darüber hinaus.
Frauen-EM: Das Deutschland-Talent, das alle staunen lässt
Deutschland-Talent lässt alle staunen
Es sei aber „alles gut“, versicherte Kett, angesprochen auf den Eisbeutel an ihrer linken Wade. Jeglicher Schmerz wurde an diesem Abend wohl ohnehin zur Nebensache nach dem zwischenzeitlich kaum noch möglich scheinenden Halbfinal-Einzug, an dem sie wesentlichen Anteil hatte.
„Ich glaube, die Französinnen haben sich genervt gefühlt von mir“, sagte Kett selbst nach der Partie auf Nachfrage von SPORT1 mit einem Grinsen im Gesicht und Kratzspuren am Hals, die symbolisch für ihren Einsatz standen.
Trotz Aufregung: Kett brilliert im EM-Viertelfinale
„Sie war wirklich eine Komponente, die unser Spiel maximal bereichert hat und die auf jeden Fall auch dafür verantwortlich war, dass wir kein Gegentor mehr nach dem Elfmeter kassiert haben“, lobte Sophia Kleinherne, die sich begeistert vom Auftritt ihrer DFB-Kollegin zeigte: „Es war überragend. Sie ist aufgetreten, als hätte sie weit über 50 Länderspiele.“
Dass es in der Realität erst das vierte Spiel im Trikot des DFB-Teams war und sie zuvor noch keine Spielminute bei der EM gesammelt hatte, war Kett in der Tat zu keiner Sekunde anzumerken.
Sie gab zwar zu, „schon sehr aufgeregt“ gewesen zu sein, zeigte das auf dem Platz allerdings zu keiner Zeit. Sie hatte schließlich „nichts zu verlieren“, erklärte die Nationalspielerin, die sich abseits des Platzes eher als ruhige Person beschreibt.
EM-Debütantin hält Frankreich-Star im Schach
Dass Kett auf der linken Seite mit Delphine Cascarino eine der besten Außenstürmerinnen Europas zu verteidigen hatte, ließ sie zumindest dem Anschein nach völlig kalt.
Ihre Teamkollegin Giovanna Hoffmann hatte das bereits vorhergesehen. „Ich habe vor Tagen zu ihr gesagt: ‚Du wirst Cascarino mal aufzeigen, was für Grenzen sie hat‘ – und wie sie das gerockt hat, Wahnsinn", schwärmte diese auf dem YouTube-Kanal des DFB.
Gegen Frankreich zeigte Kett mit Taten das, was sie vor der EM schon in Worte fasste. Auf SPORT1-Nachfrage beschrieb sich das Talent vom FC Bayern selbst als „eklige Spielerin. Ich bin sehr explosiv, sehr schnell, ich gebe immer 100 Prozent, bin sehr zweikampfstark.“
Letzteres bewies sie auch am Samstagabend, als sie – zumindest bis die Erschöpfung überhandnahm – fast alle Zweikämpfe gegen die Französinnen gewann.
Aus der Stürmerin wird die Linksverteidigerin
Zugleich gehörte sie in Unterzahl auch offensiv zu den Aktivposten des Teams. Kein Wunder - schließlich ist Kett gelernte Stürmerin. Erst seit diesem Jahr wird sie immer häufiger auch als Linksverteidigerin eingesetzt.
Es war „am Anfang eine Umstellung, jetzt auch verteidigen zu müssen“, erzählte Kett auf Nachfrage von SPORT1. Dennoch glaubt sie, dass ihr „die Position sehr gut liegt, weil wir sowohl bei Bayern als auch bei der deutschen Nationalmannschaft sehr offensiv spielen. Deswegen kann ich da schon meine Stärken gut einbringen.“
Diese Stärken konnte Kett in der Vergangenheit allerdings nicht immer zur Schau stellen, da sie von Verletzungspech heimgesucht wurde. 2024 musste sie Operationen an beiden Waden über sich ergehen lassen, hinzu kam eine schwere Sprunggelenkverletzung inklusive Riss sämtlicher Innen- und Außenbänder.
Von Verletzungen gebremst: „Mir ist es nicht so gut gegangen“
„Es war schwierig, weil ich mich nach meinen Operationen wieder zurückgekämpft habe und dann eigentlich wieder bei 100 Prozent war, gute Leistungen gebracht habe. Dann kam eben der nächste Rückschlag mit einer schwerwiegenden Verletzung. Mir ist es nicht so gut gegangen“, gab Kett bei Heimatsport rückblickend zu.
Auch deshalb absolvierte sie für die Bayern in der abgelaufenen Saison nur ein einziges Spiel von Anfang an und agierte ansonsten maximal als Joker.
Doch das, was Bundestrainer Christian Wück in den wenigen Einsätzen sah, reichte aus, um ihn von den Qualitäten der Linksfüßerin zu überzeugen.
Die Kadernominierung kam zwar sogar für Kett selbst überraschend, doch bei ihrem EM-Debüt zeigte sich, dass das Trainerteam „alles richtig gemacht“ habe, wie auch Wück zufrieden feststellte.
Von der Schulbank ins EM-Halbfinale
Für Ex-DFB-Star Melanie Leupolz gehört Kett sogar „auf jeden Fall zu den größten Talenten“ in Deutschland, wie sie im exklusiven Interview mit SPORT1 nach dem Viertelfinale sagte.
Die Auszeichnung Ketts mit der Fritz-Walter-Medaille in Gold für die beste U19-Spielerin im Jahr 2023 legt nahe, dass Leupolz mit ihrer Aussage richtig liegt.
Noch steht die DFB-Spielerin zwar ganz am Anfang ihrer Karriere - mit dem Halbfinal-Einzug bei der EM kann sie jetzt jedoch schon einen großen Meilenstein feiern.
Einen nicht minder großen erreichte Kett kurz vor der EM abseits des Fußballplatzes mit dem Bestehen des Abiturs. Für die Abschlussfeier durfte sie sogar die ersten Einheiten im Vorbereitungstrainingslager in Herzogenaurach sausen lassen.
Frauen-EM: Halbfinale gegen Spanien wartet
Und vielleicht steht die nächste Feier für Kett schon bald bevor - etwa bei einem Einzug ins EM-Endspiel.
Dass Kett im Halbfinale gegen Spanien (Mittwoch, ab 21 Uhr im LIVETICKER) wieder mitmischt, ist zumindest nicht unwahrscheinlich. Die deutsche Defensive ist nach der Verletzung von Sarai Linder und der Rotsperre von Kathrin Hendrich erneut nicht üppig bestückt.
Fest steht: Wenn Kett aufläuft, können sich Fans und Team auf ihren unermüdlichen Einsatz verlassen - dafür nimmt sie anschließend auch gerne den Eisbeutel in Kauf.