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Ex-DFB-Profi exklusiv - Bitterer Ausfall! "Es fehlt richtig viel Qualität"

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„Deutschland ist noch nicht stabil“

Ex-Nationalspielerin Julia Simic blickt vor dem deutschen EM-Auftakt auf die Chancen des DFB-Teams. Im SPORT1-Interview bedauert sie vor allem einen Ausfall - und hat eine klare Meinung zu den Störgeräuschen rund um die Nominierung.
Die Deutsche Frauen-Nationalmannschaft startet am Freitag gegen Polen in die Europameisterschaft - und will natürlich einen Sieg einfahren.
Ex-Nationalspielerin Julia Simic blickt vor dem deutschen EM-Auftakt auf die Chancen des DFB-Teams. Im SPORT1-Interview bedauert sie vor allem einen Ausfall - und hat eine klare Meinung zu den Störgeräuschen rund um die Nominierung.

Am Freitag beginnt die Frauen-EM endlich auch für das deutsche Team. Ein gelungener Auftakt gegen Polen (ab 21.00 Uhr im LIVETICKER) ist dabei entscheidend, um sich wie bei der EM 2022 direkt in eine gute Ausgangslage zu bringen.

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Das sieht auch die frühere Nationalspielerin Julia Simic so, die neben ihrer Arbeit als TV-Expertin auch bei Eintracht Frankfurt als U20-Cheftrainerin tätig ist und auch deshalb ein genaues Auge auf die Frauen-EM hat.

Im exklusiven Interview mit SPORT1 spricht Simic vorab über das deutsche Team, mögliche Nachwirkungen von Unruhen, Lena Oberdorfs Ausfall - und was sich beim Frauenfußball in Deutschland noch verbessern muss.

SPORT1: Frau Simic, als U20-Trainerin verfolgen Sie die Entwicklung des Frauenfußballs stets genau und haben die Talente im Blick. Können Sie sich während der EM dennoch ein wenig erholen?

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Julia Simic: Ich freue mich auf jedes Turnier, egal ob EM oder WM. Wenn es dann in der Nähe ist und man so viele involvierte Leute kennt, macht es immer doppelt Spaß. Aber natürlich ist es in gewisser Weise auch Arbeit, weil es irgendwie dazu gehört, im Frauenfußball und auf höchstem Niveau immer auf dem neusten Stand zu bleiben. Deswegen verfolge ich es auch engmaschig, nicht nur die deutschen Spiele. In gewisser Weise freue ich mich auch darauf, vielleicht die eine oder andere Überraschung mitzuerleben und neue Talente zu entdecken.

Simic lobt mutige Kommunikation des DFB

SPORT1: Sie sprechen mögliche Überraschungen an: Haben Sie ein bestimmtes Team im Blick?

Simic: Das ist total schwer vorherzusagen. Gleichzeitig kann man auch erwarten, dass es nicht nur Spanien und England sein werden, die zu den Topfavoriten zählen.

SPORT1: Zum Beispiel Deutschland?

Simic: Ich traue Ihnen zu, für eine Überraschung zu sorgen. Ich finde es gut, dass sie in der Kommunikation so mutig sind. Für mich auch ein bisschen überraschend mutig, weil man nicht so genau einschätzen kann, wo sie stehen. Trotzdem spricht fast jede Spielerin über den Titel. Das finde ich erst mal gut, denn wenn man es ausspricht und kommuniziert, schafft man es auch, daran zu glauben. Daher habe ich schon das Gefühl, dass die Deutschen für eine Überraschung sorgen können, weil es ihnen nicht alle unbedingt zutrauen.

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„Können Europameister werden“

SPORT1: Und international gesehen?

Simic: Ich bin sehr gespannt auf Italien, aber auch auf die Skandinavierinnen. Vor allem die Schwedinnen sind immer ein Favorit, aber gleichzeitig auch ein Überraschungsteam, weil es oft heißt, sie seien über dem Zenit, und dann doch wieder bis ins Halbfinale oder Finale kommen. Frankreich haben auch viele auf dem Schirm. Wenn die alles auf dem Platz lassen, was sie draufhaben, können die auch Europameister werden.

SPORT1: Kann man zusammenfassend sagen, dass der Kampf um den EM-Titel so offen wie lange nicht mehr ist?

Simic: Total! Ich finde aber, dass es bei den vergangenen Turnieren auch schon immer schwieriger wurde, einen klaren Favoriten zu benennen. Wenn ich an die WM 2023 denke, waren das mehr als fünf oder sechs Mannschaften. Es ist nicht mehr wie vor einigen Jahren, wo klar war, dass es entweder Deutschland, Norwegen oder Schweden macht. Das macht auch diese EM aus.

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„Deutschland zu vielem in der Lage, aber noch nicht stabil“

SPORT1: Wo sehen Sie die deutsche Mannschaft im internationalen Vergleich?

Simic: Es ist gar nicht so leicht, das einzuschätzen, weil die Leistung unter dem neuen Trainer Christian Wück nicht immer konstant war. Zuletzt haben sie geglänzt mit den beiden hohen Siegen gegen die Niederlande und Österreich, wobei man schon einordnen muss, dass die beiden Teams nicht an ihrem Maximum waren. Die Deutschen sind zu vielem in der Lage, aber sie sind noch nicht stabil. Daher wird entscheidend sein: Wie kommst du ins Turnier rein? Hast du ein bisschen das Spielglück auf deiner Seite? Hast du ein gutes erstes Spiel gegen die Polen? Die werden es uns extrem schwermachen. Dann diese ein oder zwei Positionen, die noch nicht klar sind. Wer spielt neben Janina Minge in der Innenverteidigung? Wer spielt im zentralen Mittelfeld? Da gibt es noch offene Positionen. Wenn die aber gut funktionieren, man gut reinkommt und sich direkt findet, traue ich ihnen den Titel zu.

SPORT1: Wer sind die Schlüsselspielerinnen im deutschen Team?

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Simic: Giulia Gwinn muss man nennen. Sie ist als Kapitänin auch diejenige, die vorweggehen muss. Sie hat mit am meisten Turniererfahrung, wenn man die Startelf anschaut. Ann-Katrin Berger als gute Torhüterin, die der Mannschaft Stabilität bringt. Und es wird entscheidend sein, ein stabiles zentrales Mittelfeld zu haben. Natürlich auch Klara Bühl, die mit ihrer Klasse Spiele entscheiden kann. Das sind die Mädels, die rausstechen von ihrem Potenzial her.

SPORT1: Einige erfahrene Kräfte haben ihre Karriere nach Olympia beendet …

Simic: Ja, jetzt ist keine Alexandra Popp oder Svenja Huth mehr da. Sara Däbritz ist zwar noch da, aber nicht als unumstrittene Stammspielerin. Die Lücken gehen wieder auf - und die Fußstapfen müssen neu besetzt und ausgefüllt werden. Dadurch ergeben sich auch neue Dynamiken. Ich glaube aber, dass der Teamgeist da ist und dass das wieder Platz lässt für neue Entfaltungen - wie bei einer Laura Freigang. Sie war eine, die immer dabei war, aber eben vor allem hinter den Kulissen für gute Stimmung gesorgt hat. Sie hat eine sehr gute Saison hinter sich und hat jetzt auch eine ganz neue Rolle in der Mannschaft, die sie bestimmt auch beansprucht.

SPORT1: Was ist mit einer Jule Brand, die zuletzt mit ihrem Wechsel nach Frankreich für Schlagzeilen sorgte?

Simic: Auf alle Fälle auch. Mit Lyon wechselt sie zu einem riesigen Klub. Da hat sie vielleicht noch einmal mehr den Drang und die Motivation, sich wirklich auf allerhöchstem Niveau zu beweisen. Ich glaube, dass die Mannschaft gut gespickt ist mit unterschiedlichen Profilen. Wenn man die Rollen gut verteilt, kann das ein total stimmiges Konstrukt werden.

Bitterer DFB-Ausfall: „Sie vereint so viel“

SPORT1: Im Mittelfeld fehlt Lena Oberdorf. Nach ihrem Kreuzbandriss hat die Zeit nicht gereicht. Wie schwer wiegt dieser Ausfall?

Simic: Man darf nicht unterschätzen, dass sie eine richtig gute Kickerin ist, die nicht nur für das Grobe da ist – aber eben auch. Diese Wucht, diese Physis. Sie verkörpert dieses: „Warum spielen die Gegnerinnen, nicht gern gegen Deutschland? Weil sie immer unangenehm zu bespielen waren.“ Eine Lena Oberdorf sehe ich als die nächste klassische deutsche Fußballerin, die jetzt erst mal diesen Leidensweg gehen musste mit ihrer Verletzung und extrem fehlt - vor allem auf dem Platz. Als die Mutige, die sich in alles reinhaut, keinen Zweikampf scheut und so das Momentum auf ihre Seite ziehen kann. Das fehlt extrem. Wir haben ein sehr ausgeglichenes, gutes Mittelfeld, aber es fehlt richtig viel Qualität durch Oberdorfs Ausfall. Auch dass sie diese deutschen Tugenden so krass verkörpert, wie es kaum eine andere kann. Sie vereint so viel. Sie war 16 Jahre, da hat sie bei Essen gespielt und da habe ich noch gegen sie gespielt. Da fand ich es schon unangenehm, ihr auf dem Platz zu begegnen.

SPORT1: Es gab vor einigen Wochen Wirbel um Bundestrainer Christian Wück, weil ihm nicht nominierte Spielerinnen wie Nicole Anyomi oder Felicitas Rauch unzureichende Kommunikation vorgeworfen haben. Welche Auswirkungen kann das haben?

Simic: Es war gut, dass es bereits vor ein paar Wochen passiert ist. Das war kein großer Knall, aber Störgeräusche, die nicht helfen, wenn sie eine Woche vor Turnierstart kommen. Die Deutschen hatten sich relativ früh auf ihren endgültigen Kader festgelegt. Und alles, was als Störgeräusch hereingetragen werden konnte und wurde, ist jetzt wieder ausgeräumt. Man hatte zwei Camps, in denen man sich mit dem endgültigen Kader einspielen und einstimmen konnte. Jetzt ging es nur noch darum: „Wir kriegen jetzt eine geile Stimmung fürs Turnier und wir haben alle Bock.“ Und es ging in der Kabine oder am Pool nicht mehr darum, wer eigentlich noch da hätte sein sollen.

SPORT1: Sie befürchten also keine Nachwehen?

Simic: Vom Zeitpunkt her ist das alles extrem gut gewesen, ohne dass es unbedingt geplant war. Weil es noch so weit vom Turnier weg war, dass man jetzt nur noch das Positive zugelassen hat. Das ist der Vorteil – auch wenn man sich im Vergleich dazu die Nominierung der Schweizerinnen vor Augen führt, die fast einem Casting geglichen hat und die fast bis zuletzt ging. Da sind noch mal fast 13 Spielerinnen gestrichen worden und es wurden noch einige Herzen gebrochen. Das macht etwas mit den Einzelnen – auch mit denen, die dabei sind. Das tut ja auch weh, wenn einer guten Freundin von dir oder einer geschätzten Mitspielerin - kurz vor knapp und dann noch bei ihrem Heimturnier - mitgeteilt wird, nicht im finalen Kader zu stehen. So etwas hatten die Deutschen nicht zu erleiden.

Ex-Nationalspielerin sieht in EM „Riesenchance“

SPORT1: Bei der EM 2022 ist ein Hype um den Frauenfußball in Deutschland entstanden. Ist das jetzt auch wieder möglich?

Simic: Es war eine Riesenwelle, die diese erfolgreiche EM, aber eben auch diese sympathische Mannschaft in Deutschland ausgelöst hat. Das ist eine Riesenchance, die wir jetzt wieder haben mit so einem Turnier, etwas mit einem leicht veränderten Gesicht in der Mannschaft und dem neuen Trainerteam neu zu entfachen und noch mal größer werden zu lassen. Der Erfolg hilft natürlich immer dabei. Je länger die Mannschaft im Turnier ist, desto länger fiebert man mit, desto größer wird auch die Fanbase.

SPORT1: Aber wie kann man es schaffen, dass dies dann auch nachhaltig für die Liga und die Klubs genutzt werden kann?

Simic: Das ist ein Thema, seit ich in diesem Geschäft dabei bin. Es ist in Deutschland viel passiert nach der letzten EM – in den Strukturen, in der Sichtbarkeit und auch bei einzelnen Spielerinnen, bei denen sich der Bekanntheitsgrad spürbar erhöht hat. Trotzdem ist noch längst nicht alles ausgeschöpft. Man muss den Weg genau so weitergehen und es noch weiter vorantreiben auf allen möglichen Ebenen – ob es die Trainerinnen sind, die ausgebildet werden müssen, die Schiedsrichterinnen, die jungen Spielerinnen, die bessere Infrastrukturen brauchen. Das sind immer Themen, die durch solche Turniere wieder besser argumentiert werden können, wenn man erfolgreich ist.

Simic: „Ein ewiger Kampf“

SPORT1: Wo konkret kann es noch Verbesserungen geben?

Simic: In der Spitze ist schon sehr viel sehr gut, aber an der Basis ist noch viel zu tun. Ich bin im Nachwuchsbereich tätig und das ist ein ewiger Kampf um Rasenplätze, gute Strukturen, vernünftige Bedingungen und um Manpower, um Talente auszubilden. Am Ende ist das Ziel, dass wir alle besser werden, dass wir den Sport besser machen, dass wir die, die oben ankommen, noch besser ausbilden können. Die Mädels haben wieder eine riesige Chance, Sympathieträgerinnen und Vorbilder zu werden oder weiter zu sein und vielleicht noch mehr junge Mädels oder auch Jungs, Männer und Frauen mitzunehmen.

SPORT1: Vor kurzem sorgte ein neuer Fußballschuh von Adidas speziell für Frauen für Aufmerksamkeit. Wie wichtig ist so etwas, um den Frauenfußball weiter voranzubringen - auch um die häufigen Kreuzbandverletzungen bei Fußballerinnen zu reduzieren? Sie waren ja selbst auch Leidtragende.

Simic: Genau! Ich habe auch meine Masterarbeit über Kreuzbandrisse im Frauenfußball geschrieben. Ich habe auch das Thema Fußballschuhe untersucht, weil ich es bei mir selbst gemerkt habe: Es war eine klassische Verletzung ohne Gegner-Einwirkung und da ist der Schuh das letzte Stück des Körpers, das mit dem Boden verbunden ist. Ganz sicher spielt das eine Rolle. Der weibliche Körper und der weibliche Fuß sind eben anders als der männliche. Deswegen ist es wichtig, dass man so wie weibliche Trikots auch weibliche Fußballschuhe produziert. Ich finde das ein total wichtiges Thema, das so ein bisschen versäumt wurde von der Wichtigkeit und Wertigkeit her.