Als ihr Elfmeter in den Züricher Nachthimmel flog, schlug Smilla Holmberg erstmal die Hände über den Kopf zusammen, ging kurz zu Boden und verdeckte dann rasch das Gesicht mit den Händen, um ihre Tränen zu verbergen. Ihr verschossener Elfer hatte soeben Schwedens EM-Aus besiegelt – trotz einer 2:0-Führung nach 75 Minuten und Englands Fehlschussserie vom Punkt.
Frauen-EM: "Zerbricht daran!" Schweden-Ikone übt scharfe Kritik
Bittere Tränen eines Juwels
Frauen-EM: Holmberg wird zur tragischen Heldin
Zu viel für eine 18-Jährige, die sofort von ihren Teamkolleginnen umringt war, die versuchten, ihr Trost zu spenden. Doch wirklich trösten konnte Holmberg, die als eine der wenigen auch später in der Mixed Zone nicht auftauchte, an diesem Viertelfinal-Abend der Frauen-EM keine.
Dafür sprachen ihre Kolleginnen wie Kosovare Asllani und stärkten Holmberg den Rücken. „Sie ist jung, sie hat Charakter und Courage gezeigt, einen Elfmeter in diesem Szenario zu nehmen“, sagte die schwedische Kapitänin auf SPORT1-Nachfrage: „Ich bin stolz auf sie. Dahinzulaufen ist nicht leicht, unabhängig vom Alter.“
Holmberg war im Turnierverlauf zum schwedischen Shootingstar avanciert. Mit starken Auftritten – etwa im Gruppenspiel gegen Deutschland – hatte sich die Abwehrspielerin in die Herzen der schwedischen Fans gespielt.
Mit dem bitteren Aus gegen England nahm ihre Erfolgsgeschichte jedoch eine tragische Wendung. Dass es überhaupt so weit kommen konnte, lag auch an einem unglaublichem Elfer-Drama, bei dem mit insgesamt neun nicht verwandelten Schüssen ein neuer Negativrekord bei einer Frauen-EM aufgestellt wurde. Nur deshalb hatte Holmberg überhaupt noch antreten müssen.
Schweden-Ikone Schelin übt Kritik nach Elfer-Drama
In ihrer Heimat sorgte dies allerdings trotz der kuriosen Umstände für eine große Debatte.
„Mein spontaner Gedanke, als sie antrat, war, dass man eine 18-Jährige nicht unter diesen Druck setzen sollte“, kritisierte Schwedens Fußball-Ikone Lotta Schelin die Entscheidung beim SVT: „Wenn sie in diese Position gezwungen wird, wird sie daran zerbrechen. Es fühlt sich unglaublich schwer und ungerecht an.“
Die Teenagerin war das Küken einer Mannschaft, deren Durchschnittsalter in der Startelf gegen England stolze 29,1 Jahre betrug. Das Team hätte dementsprechend noch einige Spielerinnen mit deutlich größerer Erfahrung als Elfer-Optionen gehabt.
„(Lina) Hurtig, (Rebecka) Blomqvist ... wir haben mehrere – (Madelen) Janogy - die antreten und ihr den Druck von den Schultern hätten nehmen können“, zählte Schelin einige der Namen auf, die an Holmbergs Stelle hätten schießen können.
Trainer Gerhardsson: „Man kann nicht nur aufs Alter schauen“
Schwedens Trainer Peter Gerhardsson verteidigte die Entscheidung hingegen. Die Reihenfolge der Schützinnen wäre bereits vor Beginn des Elfmeterschießens festgelegt worden – dass die 18-Jährige so spät noch antreten musste, „wusste man vorher nicht“. Zudem sei Holmberg „eine der besten Elfmeterschützinnen im Training“.
Hinzu kam, dass mit Stina Blackstenius aufgrund von Erschöpfung und Asllani aufgrund einer Verletzung zwei potenzielle Schützinnen zuvor ausgewechselt worden waren.
Auch der Altersdebatte versuchte der Coach schnell ein Ende zu setzen: „Man kann nicht nur auf das Alter schauen. (…) Wir haben elf (Spielerinnen, Anm. d. Red.), und jede muss bereit sein zu treffen.“
Dass Erfahrung aber auch nicht alles ist, dafür brachte das Elfer-Drama am Donnerstagabend einige Beispiele hervor. So konnte beispielsweise Sofia Jakobsson mit ihren 35 Jahren ihren Elfmeter mit der Chance auf den Sieg ebenfalls nicht im Netz unterbringen.
Gleiches galt für Schwedens eigene Torfrau Jennifer Falk. Die 32-Jährige bekam nach drei (am Ende waren es sogar vier) selbst parierten Elfern die Chance, den Halbfinaleinzug mit einem Tor selbst perfekt zu machen – jagte den Ball allerdings wie wenig später Holmberg weit übers Tor.
Falk spricht Juwel Holmberg Mut zu
Falk konnte dementsprechend wohl so gut wie kaum eine andere einschätzen, wie es nach dem Spiel um Holmbergs Gefühlslage bestellt sein musste.
„Natürlich ist es schwer, aber sie hat eine unglaubliche EM gespielt. Und wir waren viele, die Elfmeter verschossen haben“, ordnete die Torfrau ein: „Als ich sie dort ankommen sah, dachte ich nur: ‚Scheiße, was für ein tapferes Mädchen‘.“
Vorwürfe an Holmberg gab es an diesem Abend von keiner Seite zu hören. Das gesamte Team unterstütze sich gegenseitig, stellte auch Gerhardsson klar: „Trauer kommt nicht nur, weil man 18 Jahre alt ist, es gab ja auch diejenigen, die mit 27 oder 30 genauso traurig waren“.
Für Holmberg wird all das wohl erstmal nur ein schwacher Trost bleiben – doch wenn die Tränen weggewischt sind und sich die Enttäuschung ein wenig gelegt hat, kann sie mit Stolz auf ihre erste EM zurückblicken. Denn der Teenager hat allen gezeigt, dass dies wohl nur der Startschuss einer großen Karriere war.