Schon Boris Becker hätte gerne die Zeit angehalten. „Augenblick, verweile doch…“ nannte der ehemalige Tennis-Star jedenfalls seine Autobiographie.
Kommentar zur Frauen-EM: Attraktiver als die männliche Massenware
Näher am normalen Fußball
Als einer der größten deutschen Sportler wusste er natürlich, dass nichts für die Ewigkeit ist. Dass der Lauf der Dinge Veränderungen mit sich bringt, und zwar nicht immer zum Guten.
Der Frauen-Fußball ist in Bewegung, längst der Nische entwachsen und hat in Sachen Professionalisierung ein neues Level erreicht. Die Aufmerksamkeit ist riesig: Über 14 Millionen Deutsche sahen das Ausscheiden der DFB-Auswahl bei der EM gegen Spanien, immerhin sieben Millionen schalteten am Sonntag beim Endspiel ohne deutsche Beteiligung ein.
Besucherrekord eine gute Nachricht
Neben einem Besucherrekord in den Stadien stieg auch die ausgeschüttete Summe an Preisgeldern in neue Sphären, was im Sinne der Sportlerinnen natürlich erstmal eine gute Nachricht ist.
Als Romantiker möchte man den Sport dennoch gerne etwas bremsen in seiner Entwicklung, auf dass er sich nicht zu sehr dem der Männer annähere.
Neben den wachsenden Erträgen durch Medienrechte und Sponsoring zeigen sich weitere Vorboten. Die WM jedenfalls wird ab 2031 von der FIFA auf 48 Teams aufgebläht.
Doch zurück in die Gegenwart: Diese kompakte EM hatte einfach alles. Attraktive und spannende Spiele auf höchstem Niveau natürlich. Vorgetragen von Menschen, die in Interviews noch sagen, was sie denken, ohne jedes Wort abzuwägen aus Furcht vor dem Echo. Die Geschichten aus ihrem Leben neben dem Platz erzählen können.
Das Turnier in der Schweiz war eine Freude
Organisation, Klasse, Emotionen - das Turnier in der Schweiz war eine Freude. Weil es weniger klinisch daherkam als die männliche Massenware, einfach näher am normalen Fußball. Mit Fehlern, wie sie jeder kennt, der einmal gegen den Ball getreten hat.
Es lag auch am Kontrast zur hyperkommerzialisierten Klub-WM, dass die EM der Frauen so angenehm zu begleiten war.
Man muss deswegen nicht gleich pathetisch werden mit Blick auf den nahenden schnöden Alltag. Oder sich gar bei Dichterfürst Goethe bedienen, der einst Becker inspirierte.
Doch ein wenig Wehmut darf schon sein.