Mit dem Ziel EM-Titel klappte es für Christian Wück bei seiner Feuertaufe als Frauen-Bundestrainer noch nicht - doch wie ist seine Arbeit nach dem Halbfinal-Aus gegen Spanien tatsächlich einzuordnen? Ist er der richtige Mann für die Zukunft der deutschen Frauen-Nationalmannschaft?
Ist er wirklich der Richtige?
Beim DFB fällt dieses Urteil trotz der 0:1-Niederlage nach Verlängerung gegen Spanien eindeutig aus. „Wir sind hundertprozentig überzeugt von Christian Wück“, stellte Verbandspräsident Bernd Neuendorf klar. Wück habe nach dem Abgang von Vorgänger Horst Hrubesch eine gelungene Transformation mit dieser Mannschaft eingeleitet.
Diese startete er bereits nach seinem Amtsantritt, wenngleich die Zeit bis zur EM nicht ganz ohne Störgeräusche verlief. Mit Felicitas Rauch und Nicole Anyomi beschwerten sich gleich zwei ausgebootete Spielerinnen über die mangelnde Kommunikation des Bundestrainers, was auch in Teamkreisen diskutiert worden war.
Wück leitet großen Umbruch bei DFB-Frauen ein
Doch jegliche mögliche Missstimmung wurde bis zum Turnierstart geklärt, und so machten Team und Trainerteam bei der EM einen verschworenen Eindruck.
„Er hat einen Mannschaftsgeist geformt, was man vor zwei, drei Monaten noch nicht gedacht hatte, weil Diskussionen über die Kommunikation nach außen gedrungen sind“, stellte auch ARD-Expertin Almuth Schult fest.
Dabei half, dass Wück seinen EM-Kader weit vor der Vorbereitung in Herzogenaurach bekanntgab, um etwaige Störgeräusche rechtzeitig auszuräumen. Denn der 52-Jährige hatte gewagte Entscheidungen getroffen, indem er gestandene Nationalspielerinnen wie Rauch oder Carolin Simon außen vorließ und dafür auf die unerfahrenen Franziska Kett oder Carlotta Wamser setzte.
Deutscher EM-Kader: Angerer zollt Bundestrainer Respekt
Für Ex-Nationaltorhüterin Nadine Angerer war die Entscheidung, den Umbruch voranzutreiben, goldrichtig. „Er hat jetzt den Prozess begonnen und alle Spielerinnen, die er nominiert hat, haben zusammengepasst als Team”, sagte sie im exklusiven SPORT1-Interview. Für seine mutige Kader-Nominierung zolle sie ihm daher Respekt.
Im Nachhinein bleibt festzuhalten, dass diese aufging. Denn bedingt durch Verletzungen sowie Gelb- und Rotsperren kamen die Nachwuchs-Stars schneller zum Zuge als gedacht – und überzeugten auf Anhieb. Vor allem Kett und Wamser bewiesen, dass sie zu festen Ankern in der deutschen Nationalmannschaft werden können.
Zwar fand Angerer, dass Deutschland nicht so spielte, wie man es gewohnt sei – doch eine offensive Spielweise wäre von Spanien wohl sofort bestraft worden: „Wer sich im Fußball auskennt, weiß genau, wie gut die Spanier sind. Wenn man da aggressiv offen auftritt, dann kann es sein, dass du nach 20 Minuten 0:3 hinten liegst.“
Wück-Taktik? „Vielleicht etwas naiv ins Turnier gestartet“
Tatsächlich hat es Wück zu Turnierbeginn seiner Philosophie entsprechend offensiver versucht, nach der bitteren Klatsche gegen Schweden aber Offensivpower für größere defensive Stabilität geopfert. Für die ehemalige DFB-Spielerin Turid Knaak war das die richtige Wahl. „Er hat natürlich auch gemerkt, dass er mit dieser Spielweise am Anfang vielleicht etwas naiv ins Turnier gestartet ist“ und sich „da schon etwas korrigieren müssen”, sagte sie im Interview mit SPORT1.
Die Änderung ging allerdings zu Lasten des eingespielten Trios Jule Brand, Klara Bühl und Lea Schüller. Brand und vor allem Bühl konnten ihre zahlreichen Chancen kaum nutzen und wirkten offensiv am Ende teils ein wenig platt – aus gutem Grund. „Dadurch, dass die deutsche Mannschaft sehr viel mit Verteidigen beschäftigt war, waren beide auch hinten sehr eingebunden“, erklärte Knaak.
Hier sieht sie auch noch deutlich Luft nach oben: „Man muss im Spielaufbau diese Spielerinnen in Positionen bekommen, wo sie gefährlich vor dem Tor werden. Und da muss man sagen, bei allem Kampfgeist und zerstörerischem Verhalten im Mittelfeld haben wir es mit Ball nicht geschafft, den Spielaufbau und Umschaltmomente in der Häufigkeit zu nutzen, dass man Bühl und Brand in guter Position öfter brachte. Da hat das spielerische Element ein wenig gefehlt.“
Bittere Woche! Bayern-Star Schüller verliert Startplatz
Noch härter trafen Wücks taktische Veränderungen Lea Schüller. Als klare Stürmerin Nummer 1 gestartet, nahm sie in der K.o.-Runde nur noch auf der Bank Platz.
Dass Giovanna Hofmann dabei den Vorzug gegen Frankreich erhielt, findet Knaak nachvollziehbar: „Man braucht vorne eine Wandspielerin, die die Bälle festmacht und dann Klara Bühl und Jule Brand einsetzen kann.“
Dass der Bayern-Star dann aber gegen Spanien nicht mal mehr erster Ersatz für Hoffmann war, verwunderte auch Knaak: „Da wurde Lea Schüller ein wenig spät reingebracht, da hat man doch gesehen, dass sie zu Abschlusssituationen kommen kann. (…) Ich hätte sie mir gegen Spanien noch etwas früher auf dem Feld gewünscht, aber sie war einfach die Leidtragende der taktischen Anpassung.“
„Erst eine richtig gute Partie“: Schult übt Kritik
Offensiv gab es durch die neue Ausrichtung also viele Leidtragende. In diesem Bereich haben Wück und sein Trainerteam noch Arbeit vor sich, um die richtige Balance zu finden, denn als die Offensive noch besser lief, wackelte die Defensive.
Schult sprach sogar davon, dass sie spielerisch erst „eine richtig gute Partie unter Christian Wück gesehen“ hat mit dem Spiel gegen die Niederlande in der Nations League. Und auch Knaak hielt fest, “dass man von einer deutschen Mannschaft spielerisch etwas mehr erwartet”.
Die Ex-Nationalspielerin zeigte sich allerdings optimistisch, dass die Mannschaft sich diesbezüglich in die richtige Richtung entwickeln kann: “Die Qualität der Spielerinnen haben wir dazu - es muss eben nur aus der Mannschaft herausgekitzelt werden und das ist die große Aufgabe für Christian Wück.”
Auch Angerer glaubt daran, dass dem DFB-Team eine große Zukunft bevorsteht: “Es ist eine super Mischung und die Mannschaft strahlt Freude aus und begeistert. Ich sehe ein großartiges Potenzial für die nächsten Turniere.“
DFB-Führung spricht Wück ihr Vertrauen aus
Um dieses dann auch tatsächlich abrufen zu können, hat Wück nun Zeit, um an den Problemstellen zu feilen. Im kommenden Jahr steht ein Übergangsjahr für die DFB-Frauen an, bevor 2027 die WM in Brasilien stattfindet.
Die DFB-Führungsriege um Nia Künzer sprach Wück auf dem Weg dorthin aber ihr Vertrauen aus. Er und sein Team „haben einen Weg begonnen mit einer klaren Vision und wir sind bereit, diesen Weg weiterzugehen.“
Wo dieser hinführt, werden die nächsten Jahre erst zeigen, aber für Knaak steht bereits fest: „Es wird darum gehen, den Umbruch weiter fortzuführen, um dann auch mit den Weltklasseteams wieder mithalten zu können.“
Wück ist ihrer Meinung nach der richtige Mann dafür, doch er muss versuchen, die Mannschaft auch spielerisch auf das nächste Level zu bringen – es gibt leichtere Aufgaben.