Für Clarence Bonebrake schließt sich am Samstag ein Kreis. Der Grund, warum der 28-Jährige überhaupt Dortmund-Fan ist, ist Real Madrid. Der 4:1-Sieg in der Champions League (2013) gegen die Königlichen infizierte ihn. Zwölf Jahre später ist er Co-Präsident des US-amerikanischen BVB-Fanclubs „Brooklyn Borussen“. Insgesamt 65 zahlende Mitglieder zählt der Klub, weitere 120 US-Amerikaner kommen regelmäßig zu Events der Truppe zusammen.
„Der BVB ist ansteckend“
Clarence, der in Long Island bei New York geboren und großgeworden ist, besuchte alle drei Gruppenspiele der Dortmunder - eines in New Jersey und zwei in Cincinnati. Am Samstag kann er nicht dabei sein. Aufgrund des Unabhängigkeitstags, der mit Thanksgiving wohl größte Feiertag in den USA, zieht es ihn in die Heimat: „Quality time“ mit Familie und Freunden ist Pflicht. Außerdem flüchtet er den Trubel, der an diesem Wochenende in der Stadt herrschen wird.
Vor dem Fernseher wird er – wie immer - trotzdem sitzen. SPORT1 spricht mit ihm über die Faszination Borussia Dortmund, die skurrilen BVB-Spieltage hierzulande und warum die Begeisterung für die Klub-WM in den USA so überschaubar ist.
SPORT1: Clarence, am Samstag wartet Real (ab 22 Uhr im LIVETICKER). Ist das das Ende der Klub-WM für den BVB?
Bonebrake: Leider ja. Real liegt uns einfach nicht. Das haben auch die letzten beiden Spiele gegen Madrid gezeigt. Außerdem sind wir nicht in Top-Form. Gerade ohne Can und Schlotterbeck werden wir nicht mithalten können. Real hat einen dreimal so teuren Kader wie wir. Ich hoffe es natürlich nicht, aber ich glaube, dass die Reise am Samstag vorbei sein wird. Aber egal: Ich bin schon jetzt stolz auf die Jungs.
„Ich war mir sicher, dass Ronaldo den BVB zerstören wird“
SPORT1: Wie kommt es eigentlich, dass ein US-Amerikaner, mit all den Sportarten, die es hier gibt, Fußball-Fan wird? Und dann vom BVB?
Bonebrake: In der High School hatte ich einen polnischen Freund, der – wie üblich an der High School - mein Zimmerkollege war. Der hat sich immer früh morgens die Spiele der Dortmunder angeguckt – natürlich wegen Lewandowski, Piszczek und Błaszczykowski. Ich wollte eigentlich immer viel lieber ausschlafen, konnte das dann aber nicht mehr.
SPORT1: Was war dann der Moment, an dem es Klick gemacht hat, oder war das ein Prozess?
Bonebrake: Das Halbfinale in der Champions League gegen Real Madrid im Jahr 2013. Ich war mir sicher, dass Ronaldo den BVB zerstören wird. Und dann kommt Lewandowski, den ich noch nicht einmal kannte, trifft viermal und die Dortmunder schicken CR7 und Co. mit 1:4 nach Hause. Seit diesem Spiel gucke ich jede Partie des BVB.
SPORT1: Viermal warst du sogar schon mal vor Ort im Signal Iduna Park. Wie war dein erstes Mal?
Bonebrake: Das war mein erstes Mal überhaupt in Deutschland. 4:0 gegen Borussia Mönchengladbach. Reus hat den Anfang gemacht, dann Aubameyang und Mchitarjan doppelt. Das war unglaublich. An dem Tag bin ich von New York nach Frankfurt geflogen. Am Flughafen hat mich mein Kumpel abgeholt und wir sind direkt zum Spiel. Nur um eineinhalb Stunden vor Anpfiff dort zu sein. Dieses Erlebnis war unglaublich. Es war wie im Märchen: Die Fans, die Stimmung, einfach alles. Ich wusste nicht, wo ich zuerst hingucken soll. Diese Fankultur ist einfach mit nichts zu vergleichen.
SPORT1: Wie ist das hierzulande? Du könntest ja auch die MLS gucken …
Bonebrake: Diese Fankultur gibt es hier nicht – in keiner der Sportarten. Dazu gibt es weder Auf- noch Abstiege. Fast alle Teams sind Franchise-Unternehmen. Das ist reiner Kapitalismus. Es ist alles plastisch. Nehmen wir mal Dortmund als Beispiel: Dort ist die Umgebung, das Ruhrgebiet, Teil der DNA des Vereins.
„Als ich BVB-Fans wurde, war Marco Reus natürlich eine große Nummer“
SPORT1: Hast du einen Lieblingsspieler?
Bonebrake: Als ich BVB-Fans wurde, war Marco Reus natürlich eine große Nummer. Also würde ich ihn nennen. Ich fand aber auch Piszczek immer toll. Er war einfach komplett, trug zudem noch diese BVB-DNA in sich. Er hat sich nie beschwert, aber immer Gas gegeben.
SPORT1: Hast du dir schon ein Spiel von Marco Reus im LA-Trikot angeguckt?
Bonebrake: Nein. Meine Abneigung der MLS gegenüber ist leider zu groß (lacht).
SPORT1: Was war denn dein intensivster BVB-Moment?
Bonebrake: Es gibt zwei. Der DFB-Pokal-Sieg gegen Leipzig war der Wahnsinn [2021 4:1; Anm. d. Red.]. Wir saßen mit ganz vielen Leuten draußen, es war ein fantastischer Sommertag. Es war einfach perfekt, um diesen Pokal zu holen. Jeder wusste nach dem ersten Tor, dass wir gewinnen werden. Wir hatten einen aufblasbaren Pokal dabei. Das werde ich nie vergessen.
SPORT1: Und der andere?
Bonebrake: Der war leider nicht so schön. Vor zwei Jahren bin ich extra nach Dortmund gereist – in der Hoffnung den Meistertitel feiern zu können [2:2 gegen Mainz; Anm. d. Red.]. Jeder hat damit gerechnet. Und dann saß ich einfach in absoluter Stille mit der Dortmund-Flagge über meinen Kopf gezogen und habe nicht mehr sprechen können. Ich empfand eine absolute Leere, wie ich sie selten zuvor gespürt habe. Ich habe meine Mutter angerufen und einfach nur geweint.
„Für mich gibt es aber nichts Schöneres“
SPORT1: 2019 wurden die „Brooklyn Borussen“ gegründet, heute bis du Co-Präsident. Du kamst erst später dazu. Wie?
Bonebrake: Ich habe eine Anzeige auf Facebook gesehen. In der stand, dass sie die Spiele zusammen gucken. Sechs oder sieben Jahre habe ich sämtliche BVB-Spiele alleine geguckt, weil ich niemanden hatte, der sich das mit mir anschauen wollte. Und dann dachte ich mir: Hey, da muss ich hin. Der Rest ist Geschichte.
SPORT1: Die typische Anstoßzeit in der Bundesliga ist 15:30 Uhr. Wegen der Zeitverschiebung seid ihr hier sechs Stunden zurück. Wie läuft bei euch der Spieltag ab?
Bonebrake: Wir gucken immer gemeinsam in der Fußball-Kneipe „Banter“ in Brooklyn. Dann ist es meist 9:30 oder 12:30 Uhr. Manche mögen das frühe Aufstehen für das Spiel nicht. Für mich gibt es aber nichts Schöneres. Brooklyn schläft um diese Uhrzeit meist noch. Meist dauert es ein bisschen. Nach 15 Minuten oder besser gesagt nach dem ersten Bier sind aber alle im Modus. An einem Samstag früh aufstehen, mit deinen Freunden Fußball gucken, dazu ein Guinness und ein Frühstücks-Sandwich – besser geht es nicht. Und das Ganze hat auch einen finanziellen Vorteil.
SPORT1: Wie meinst du das?
Bonebrake: Wenn du so früh auf den Beinen bist, kommt es nur selten vor, dass du im überteuerten New York an einem Samstagabend noch ausgehst. Das schont den Geldbeutel (lacht).
SPORT1: Gibt es bei euch irgendeine Tradition, wenn ihr gemeinsam Fußball guckt?
Bonebrake: Gute Frage (überlegt). Eine gibt es: Wenn wir zwei Tore vorne liegen und das dritte schießen, bekommen wir immer eine Runde aufs Haus – meist Jägermeister. Auch wenn das in der abgelaufenen Saison nicht allzu oft vorkam (lacht).
„Der BVB ist ansteckend“
SPORT1: Wie macht ihr das unter der Woche, bei den Champions-League-Spielen?
Bonebrake: Das ist komplizierter. Ich kann zum Glück meist früher mit der Arbeit starten. Manchmal bin ich zum Anpfiff wieder zu Hause. Und zur Not fällt auch die Zigaretten-Pause länger aus. Und ich rauche noch nicht mal. Aber als Fußball-Fan versucht du es irgendwie möglich zu machen.
SPORT1: Was sagen deine Freunde und Familie zu deinem BVB-Fieber? Hast du jemals jemanden von ihnen mit zum Rudelgucken mitgenommen?
Bonebrake: Tatsächlich! Meinen Tennis-verrückten Kumpel Stark habe ich mal mitgeschleppt. Der konnte mit Fußball nie etwas anfangen.
SPORT1: Und jetzt?
Bonebrake: Allein in diesem Jahr war er bestimmt acht- oder neunmal dabei. Er hat sich sogar vor Kurzem das Klub-WM-Trikot geholt. Er ist fast schon so etwas wie ein Fan. Ich sage ja immer: Der BVB ist ansteckend.
SPORT1: Jetzt spielt der BVB vor deiner Haustür. Was bedeutet das für dich?
Bonebrake: Das ist einfach toll. Ich meine: Wir müssen nicht ins Flugzeug, müssen uns nicht ewig in den Bus setzen, um ein Spiel zu sehen. Wer weiß, wann das nochmal möglich sein wird. Deshalb genießen wir das. Das ist schon sehr cool.
„Niemand hatte Ahnung davon, was hier überhaupt stattfindet“
SPORT1: Wie siehst du denn die Klub-WM? In Europa und speziell Deutschland gibt es auch viele kritische Stimmen.
Bonebrake: Ich kann das absolut nachvollziehen. Die Profis haben ohnehin schon so viele Spiele in der Saison. Jetzt kommt nochmal ein kompletter Wettbewerb dazu. Manche kommen auf bis zu 70 Spiele pro Saison? Das ist zu viel. Der menschliche Körper ist darauf nicht ausgelegt. Ich glaube, dass es viele Verletzungen geben wird. Nicht falsch verstehen: Ich finde es klasse für mich als Fan, die Kritik verstehe ich aber. Ich bin aber auch fest davon überzeugt, dass die Klub-WM in zehn oder 15 Jahren ein echt cooler Wettbewerb werden kann. Ich hoffe, dass die FIFA aus ihren Fehlern lernt.
SPORT1: Zum Beispiel?
Bonebrake: Du musst den Fußball gerade in Ländern, wo der Sport vielleicht nicht die Nummer eins ist, wie hier bei uns, besser an die Leute bringen. Nehmen wir mal die zigtausend unverkauften Tickets. So etwas gibt es bei einer EM oder WM nicht. Das liegt schon auch an den Anstoßzeiten. Der typische US-Amerikaner ist vom Kapitalismus getrieben. Die „9 to 5“-Woche ist unantastbar. Und die meisten Spiele waren eben um diese Uhrzeit. Es gibt also keine Chance ins Stadion zu gehen.
Außerdem die Werbung: Bis eine Woche vor Turnierstart habe ich keine einzige Werbung gesehen. Niemand hatte Ahnung davon, was hier überhaupt stattfindet. Das ist doch unglaublich. Wenn die FIFA im Vorfeld nicht mehr dafür tut, kann sie auch kein Großevent erwarten.
Aber nochmal: Für mich als US-Amerikaner und BVB-Fans ist dieses Turnier unglaublich.