Plötzlich wurde es einsam um Luis Idjakovic. Der 23 Jahre alte Ersatztorhüter des SV Sandhausen hatte seinen Vertrag verlängert - und stand damit komplett alleine da.
35 Abgänge! Warum tut er sich das an?
Warum tut er sich das an?
Alle andere 35 (!) seiner vorherigen Mannschaftskollegen kehrten dem Klub nach dem Abstieg aus der 3. Liga den Rücken - ein beispielloser Umbruch.
Die Frage, die sich stellte: Welcher Trainer tut sich dieses Abenteuer an? Dass der SVS am Ende Olaf Janßen für diesen Job gewinnen konnte, wurde in der Branche mit Überraschung aufgenommen.
Janßen war als Trainer fast fünf Jahre lang das Gesicht von Viktoria Köln und galt spätestens im Frühjahr 2025 als Kandidat für höhere Aufgaben. Statt Zweitligafußball wartet beim SV Sandhausen nun ein komplizierter Wiederaufbau. Im Interview mit SPORT1 spricht Janßen über seine Beweggründe, sich diesen Kraftakt anzutun.
SPORT1: Herr Janßen, Sie haben in der Vergangenheit bereits in höheren Ligen gearbeitet. Warum haben Sie sich nun für den Wechsel von der 3. in die 4. Liga entschieden – trotz möglicher Angebote aus der 2. Liga?
Olaf Janßen: Nachdem ich im Januar bekannt gegeben hatte, dass ich im Sommer in Köln aufhöre, habe ich mit einigen Vereinen gesprochen. Aber da kam nie das Gefühl auf, dass es um ein echtes Projekt geht oder dass man sich wirklich vertraut. Bei Viktoria sind wir durch dick und dünn gegangen. Wenn mal jemand an den Cheftrainer ran wollte, wurde er von Franz Wunderlich (Vereinsboss Viktoria Köln, d. Red.) zusammengefaltet – wir haben zusammengehalten. Dieses Gefühl hat mir bei den Gesprächen mit anderen Vereinen gefehlt.
SPORT1: Aber Sandhausen gilt als heißes Trainerpflaster...
Janßen: Natürlich wundert man sich, dass ich mich für Sandhausen entschieden habe, wenn man sich die Trainer-Fluktuation dort in den letzten Jahren anschaut. Aber die Vereinsführung, allen voran Jürgen Machmeier, hat mir genau dieses Gefühl gegeben – Vertrauen. Sie sind total überzeugt von mir. Und das hat mich begeistert.
„Der Job eines Trainers mutiert zum Kabarett“
SPORT1: Wie sehen Sie denn die generellen Rahmenbedingungen für Trainer im Profifußball?
Olaf Janßen: In der vergangenen Saison gab es in den ersten beiden Ligen rund 26 Trainerentlassungen. Der Job eines Trainers mutiert zum Kabarett, sage ich manchmal scherzhaft. Die wichtigste Position in einem Verein ist so unsicher wie nie zuvor. Das ist die Realität im Fußball. Damit muss man als Trainer leben. Niemand zwingt dich, irgendwo einen Vertrag zu unterschreiben – das machst du freiwillig. Und oft regelst du schon bei der Unterschrift deine spätere Abfindung, weil du weißt, dass du das Vertragsende ohnehin nicht erleben wirst. Aber das ist das Problem der Vereine. Der wichtigste Mitarbeiter bei Mercedes wird dagegen geschützt wie die Bank von England.
SPORT1: Sie haben nun die ersten Wochen im Hardtwald hinter sich. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Janßen: Die Vereinsführung hat mir genau das Gefühl vermittelt, das ich brauche: Vertrauen. Sie sagten: „Coach, wir sind überzeugt, dass du weißt, wie es geht, wir folgen dir.“ Man will eine völlig neue DNA auf dem Platz sehen, gemeinsam ein Fundament gießen, das nicht nur ein paar Monate, sondern viele Jahre trägt. Wenn ich jetzt zurückblicke, fühlt sich diese Entscheidung absolut richtig an.
SPORT1: Also haben Sie in keiner Sekunde gezweifelt?
Janßen: Ich bin in einem Alter, in dem ich vieles reflektieren kann. Ich liebe diesen Beruf und möchte glücklich sein – egal, ob da 1.000 Zuschauer oder 50.000 sind, egal, ob ich X oder Y verdiene. Glück bedeutet für mich die tägliche Arbeit mit der Mannschaft und meinem Staff. Im Moment strahle ich, weil es sich so geil anfühlt, dass ich diese Entscheidung getroffen habe und das tun darf, was mir riesigen Spaß macht. Ich kann mir nicht vorstellen, das so zu empfinden bei einer anderen Entscheidung.
„Olaf Janßen wird Trainer von Schalke 04″
SPORT1: Was wäre gewesen, wenn ein Anruf aus Kaiserslautern oder Gelsenkirchen gekommen wäre?
Janßen: Natürlich hätte mich ein Zweitligist gereizt. Olaf Janßen wird Trainer bei Schalke 04. Aber noch bevor ich vor dem ersten Training etwas gesagt habe, hätten einige gesagt: ‚Was will der denn hier? Den holen sie aus der 3. Liga mit 58.‘ Und ich will gar nicht von den sozialen Medien reden. Ich brauche Vertrauen von den Menschen, die den Verein führen und begleiten. Davon gibt es nur noch wenige Klubs. Es geht für mich auch um Glaubwürdigkeit.
SPORT1: Das Finanzielle stimmt aber auch...
Janßen: Natürlich soll man mit seinem Beruf Geld verdienen. Man kann meinen Lebenslauf lesen und meine Arbeit beurteilen. Die Bezahlung ist angemessen – aber das war nicht der Hauptgrund.
SPORT1: Hat Ihnen eigentlich jemand abgeraten?
Janßen: (lacht) Viele Freunde fragten mich: „Hast du getrunken oder Drogen genommen?“ Das verstehe ich auch. Sie haben nicht verstanden, warum ich eine Liga tiefer gehe. Ich habe mir in den vergangenen Jahren viel an Reputation und Anerkennung erarbeitet und werde im Business geschätzt. Doch das ist für mich mehr als ein Job. Ich muss mich wohlfühlen, meine Mitarbeiter sollen strahlen – dann bin ich zufrieden. Ich ticke so als Mensch.
Ein historischer Umbruch
SPORT1: Es gab 35 Abgänge – das ist ein Umbruch von historischem Ausmaß. Mit Luis Idjakovic blieb nur ein Spieler des letztjährigen Drittliga-Kaders. Wie geht man als Trainer an so eine Situation heran?
Janßen: Vor mir lag nur ein weißes Blatt Papier: kein einziger einsatzfähiger Spieler, nur Luis – der bisher auch noch verletzt ist. Wir haben deshalb zuerst das Fundament gegossen: Mitarbeiter, Scouting, Co-Trainer. Dann stand fest, welches Spiel wir spielen wollen und welches Profil wir brauchen. Wichtig ist, dass jeder Neue zu unserer Spielidee passt. Die Jungs und ihre Berater wissen genau, warum sie hier sind: um sich zu entwickeln und den nächsten Schritt zu machen.
SPORT1: Wie kompliziert war die Kaderplanung?
Janßen: Die Transfergespräche dauerten oft bis tief in die Nacht. Erst habe ich mit den Beratern gesprochen, dann zwei Stunden mit dem Spieler. Ich erklärte ihnen, warum ich Trainer in Sandhausen bin – das wollten viele von ihnen wissen, und ich habe meine Spielidee im Detail beschrieben. Das ging schneller, weil ich auf ein Netzwerk vertraue, dessen Urteil ich nicht mehr hinterfragen muss.
SPORT1: Ihr Co-Trainer Dennis Diekmeier ist auch nach dem Abstieg geblieben und durchlebt nun den härtesten Kampf seines Lebens. Seine 14-jährige Tochter hat Krebs. Da wird der Fußball unwichtig.
Janßen: Ja. Dennis ist einer der wenigen, die schon länger im Klub sind. Ich wollte ihn unbedingt im Team behalten – er kennt den Verein, ist ein starker Trainer und ein großartiger Typ. Leider kämpft seine Tochter gerade gegen diese schwere Krankheit. Er ist so lange freigestellt, wie er es braucht – denn die Familie steht über allem.
Köln-Abschied „bleibt für immer besonders“
SPORT1: Apropos Familie: Die Phase Ihres Abschieds von Viktoria Köln erstreckte sich über mehrere Monate und war sehr emotional.
Janßen: Diese Zeit seit der Bekanntgabe meines Abschieds in Köln war einzigartig. Keine Trauer, sondern nur Wertschätzung: eine Verabschiedung mit dem Wirtschaftsrat auf einem Schiff, mein Video im Stadion, persönliche Worte des Präsidenten, die persönliche Verabschiedung bei Mannschaft und Mitarbeiter durch Franz Wunderlich. Das bleibt für immer besonders.
SPORT1: Sie wohnen jetzt in Sandhausen. War es nach so vielen Jahren nicht schwer, die Familie in Köln zurückzulassen?
Janßen: Das Weggehen begann für mich 1996, als ich als Spieler vom 1. FC Köln zu Eintracht Frankfurt wechselte. Damals entschieden wir als Familie, dass die Kinder in ihrem sozialen Umfeld bleiben. Das hat sich als richtig erwiesen. Heute sind die Kinder erwachsen, ich habe sogar zwei Enkelkinder. Jetzt wohne ich zwei Minuten vom Stadion entfernt, habe eine schöne Wohnung, meine Familie kann mich jederzeit besuchen. Sandhausen hat Charme: Wenn ich einkaufen gehe, kommen die Leute und sagen: „Coach, cool, dass du hier bist – wir schaffen das mit dir!“ Wie ein gallisches Dorf, das wieder aufsteht.
SPORT1: Ist der direkte Wiederaufstieg Pflicht? Und was machen Sie, wenn jemand anruft und Sie als Co-Trainer haben möchte – so wie damals beim VfL Wolfsburg?
Janßen: Mein Vertrag in Sandhausen läuft über mehrere Jahre, ligaunabhängig. Ein sofortiger Aufstieg ist keine Bedingung. Und nein – ich packe meine Sachen nicht, wenn morgen jemand einen Co-Trainer sucht. Ich sehe mich hier für die nächsten Jahre.