Regionalliga West>

"Es ist äußerst traurig, welches Bild die Liga derzeit abgibt"

{}
{ "placement": "banner", "placementId": "banner" }
{ "placeholderType": "BANNER" }

„Ein absolutes Armutszeugnis“

Türkspor Dortmund ist längst weg, der KFC Uerdingen kollabiert und auch der 1. FC Düren ist bald nicht mehr dabei - in der Regionalliga West herrscht derzeit Chaos. Ex-Bundesligaprofi Christopher Schorch bekommt das als Trainer des 1. FC Bocholt hautnah mit und spricht im SPORT1-Interview Klartext.
Christopher Schorch ist Trainer des 1.FC Bocholt
Christopher Schorch ist Trainer des 1.FC Bocholt
© IMAGO/Klumpen Sportfoto
Türkspor Dortmund ist längst weg, der KFC Uerdingen kollabiert und auch der 1. FC Düren ist bald nicht mehr dabei - in der Regionalliga West herrscht derzeit Chaos. Ex-Bundesligaprofi Christopher Schorch bekommt das als Trainer des 1. FC Bocholt hautnah mit und spricht im SPORT1-Interview Klartext.

Die Regionalliga West gibt in der laufenden Saison kein gutes Bild ab. Türkspor Dortmund zog sich bereits im März vom Spielbetrieb zurück, der KFC Uerdingen tat es ihm in der vergangenen Woche gleich und auch der 1. FC Düren, der mithilfe des Influencers Bilal Kamarieh eine neue Mannschaft zusammensuchte, meldete kürzlich Insolvenz an. Nächstes Jahr wird der Klub nicht mehr viertklassig spielen.

{ "placeholderType": "MREC" }

Viel wurde über das Chaos diskutiert, und ohnehin steht die als „Pleite-Liga” verschriene Liga schon seit geraumer Zeit vor einer Zerreißprobe. Einer, der das hautnah miterlebt, ist Christopher Schorch, einst Spieler von Hertha BSC, Real Madrid und dem 1. FC Köln. Mittlerweile ist er beim 1. FC Bocholt tätig (erst als Geschäftsführer, jetzt als Trainer) und weiß genau, welche Herausforderungen die Regionalliga West mit sich bringt.

Im Interview mit SPORT1 spricht Schorch über die Entwicklungen in Uerdingen - auch einer seiner Ex-Vereine - die Konsequenzen aus der schwierigen Situation und Ideen für die Zukunft. Außerdem schildert der 36-Jährige, wie Bocholt den Alltag in der vierten Liga meistert und worauf es zu achten gilt.

SPORT1: Herr Schorch, die Regionalliga West kommt nicht zur Ruhe. Am vergangenen Dienstag gab der KFC Uerdingen bekannt, dass er sich aus wirtschaftlichen Gründen mit sofortiger Wirkung vom Spielbetrieb zurückzieht. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie davon hörten?

{ "placeholderType": "MREC" }

Christopher Schorch: Wenig Gutes. Ich stand als Spieler selbst zwei Jahre in Uerdingen unter Vertrag, habe immer noch einen guten Draht zum Verein und bekam zuletzt viel von den internen Vorgängen mit. Leider war es sehr absehbar und traurig, was dort passiert ist. Man hat mit dem Verein und den Menschen, die den Klub lieben, extrem viel gespielt. Dass dieser Traditionsverein wieder in so eine Situation kommt, weil sich einzelne Personen zu wichtig nehmen und nicht den Verein in den Vordergrund stellen, ist einfach schade.

Unfassbares Chaos in der Regionalliga West

SPORT1: Uerdingen ist nach Türkspor Dortmund der bereits zweite Verein, der den Spielbetrieb mitten in der Saison einstellt und aus der Wertung fliegt. Ganz simpel gefragt: Was lief da falsch?

Schorch: Ich arbeite nicht für den KFC Uerdingen und kann nur aus der Entfernung reden. Wenn man aber immer wieder in die gleiche Falle tappt und alles auf ein oder zwei Schultern ablädt, ist das sehr gefährlich. Wir fahren hier in Bocholt ein anderes Prinzip. Wir wissen, wie teuer die Regionalliga ist und wir wissen auch, dass man in dieser Liga kaum Geld erwirtschaften kann. Die Auflagen sind hoch und kosten viel Geld. Deshalb sagen wir hier: ‘Wir investieren in Steine und nicht nur in Beine’. So wollen wir ein gesundes Grundgerüst für die Zukunft schaffen.

SPORT1: Wieder wurde die Tabelle - vor allem in der unteren Hälfte - kräftig durchgemischt. Bocholt schien den Klassenerhalt bereits sicher zu haben, verlor durch die Entwicklungen beim KFC aber jetzt volle sechs Punkte und rutschte praktisch ohne eigenes Verschulden wieder tiefer in den Abstiegskampf rein.

{ "placeholderType": "MREC" }

Schorch: Wir waren - so blöd das klingt - schon lange darauf vorbereitet. Als ich hier den Trainerposten übernommen habe, sagte ich es in der Ansprache bereits: ‘Es ist egal, wie das Spiel gegen Uerdingen ausgehen wird. Wir wollen natürlich gewinnen. Für uns und für unsere Fans. Aber ich glaube, dass uns die Punkte am Ende wieder abgezogen werden.’ Und so ist es leider auch gekommen. All das, was ich aus dem Uerdinger Umfeld hörte, bestätigte sich.

SPORT1: Und das Dramatische ist, dass es bei den Rückzügen des KFC Uerdingen und Türkspor Dortmund nicht bleiben könnte.

Schorch: Genau. Ich denke, dass der dritte Verein mit Düren noch kommen wird. Natürlich hoffe ich, dass der Verein Geld von Leuten zusammenbekommt, die den Klub wirklich lieben. Zwischen Bocholt und Düren hat sich eine Fan-Freundschaft entwickelt, deshalb schauen wir dort noch genauer hin und wollen, dass Düren es irgendwie schafft. Gleichzeitig haben wir alles selbst in der Hand und schauen, was die sportliche Seite angeht, nur auf uns. Was anderes bleibt uns auch nicht übrig.

{ "placeholderType": "MREC" }

„Wirft ein sehr schlechtes Licht auf unsere Liga“

SPORT1: In der Regionalliga West geht es drunter und drüber. Das hat mit vielem zu tun, aber nur wenig mit dem Sportlichen: Chaos ohne Ende, insolvente Vereine, nicht alle Meister dürfen aufsteigen und ein Influencer, der mitten in der Saison ein Team castet - ist die Liga so treffend beschrieben?

Schorch: Dass dies alles ein sehr, sehr schlechtes Licht auf unsere Liga wirft, steht außer Frage. Viel braucht man da gar nicht zu sagen. Denn wenn sich am Ende vielleicht drei Vereine zurückziehen und nicht mehr dabei sind, ist das ein absolutes Armutszeugnis. Es hieß immer, dass die Regionalliga West die stärkste aller Regionalligen ist - davon erkenne ich im Moment kaum etwas. Die gesamte Situation ist unfassbar ärgerlich.

SPORT1: Sascha Mölders, Ex-Bundesligaspieler und jetziger Trainer des SC Wiedenbrück, bezeichnete die Regionalliga West schon vor dem Rückzug von Uerdingen als eine bessere Comedy-Veranstaltung.

{ "placeholderType": "MREC" }

Schorch: Für mich besteht Fußball aus Leidenschaft, Leben und purer Fanatik. Ich sehe da wenig Comedy und finde die Sache nur traurig. Wenn ein Verein Insolvenz anmeldet, trifft es meistens die Leute am härtesten, die nichts dafür können. Es bricht mir das Herz, wenn ich Fans sehe, die leiden. Wenn ich sehe, dass Fans ihr letztes Hemd geben, um Karten kaufen zu können. Darüber kann ich überhaupt nicht lachen. Es ist schlimm, wenn Werte von Fans, die noch zu ihrem kleinen Verein gehen und nicht zum nächsten Bundesligisten rennen, mit Füßen getreten werden.

SPORT1: Traditionsvereine, Dorfklubs und U23-Teams - die Regionalligen sind die Schnittstellen zwischen Profifußball und Amateurvereinen. Oft liegen die Ziele weit auseinander, die finanziellen Voraussetzungen auch. Ergibt ein solches System mit so vielen unterschiedlichen Interessen überhaupt Sinn?

Schorch: Fakt ist, jeder Verein kann für sich selbst und frei entscheiden, ob man sich die Regionalliga zutraut oder nicht. Gleichzeitig gibt es hier in Nordrhein-Westfalen einen Fußballverband, die hohe Anforderungen stellt - gerade im Vergleich zu den anderen Regionalligen, zum Beispiel der Regionalliga Nord oder Nord-Ost. Jeder Verein hat damit zu kämpfen. Das ist so und das wird sich auch nicht so leicht ändern lassen.

SPORT1: Der 1. FC Bocholt spielt seit der Saison 2022/23 in der vierten Liga. Was musste denn seitdem getan werden, um diesen Anforderungen gerecht zu werden?

Schorch: Die Sicherheitsanforderungen spielen eine große Rolle, die sind sehr hoch. Es braucht spezielle Konzepte, weshalb viel umgebaut werden muss. Man darf im Gegensatz zur fünften Liga zum Beispiel keine Wiese als Fanfläche haben. Für den Gästeblock sind Stufenanlagen vorgeschrieben. Dann müssen wir für deutlich mehr Parkplätze sorgen - es ist generell sehr viel Drumherum, um das wir uns kümmern müssen. Gleichermaßen wollen wir auch den nächsten Schritt gehen. Wir haben jetzt eine neue Flutlichtanlage, investieren sehr viel in neue Tribünen.

„Die TV-Gelder machen kaum etwas aus“

SPORT1: Ausgaben können in der vierten Liga jedoch kaum durch Sponsoring oder TV-Einnahmen kompensiert werden.

Schorch: Die TV-Gelder machen kaum etwas aus. Wir können hier regionales Sponsoring betreiben und hatten das große Glück, das über gute Kontakte hinzubekommen - weil wir Leute fanden, die sehr fußballaffin sind und das Ganze toll unterstützen. Überregionales Sponsoring fängt grundsätzlich erst ab der 3. Liga richtig an, wenn man bundesweit sichtbar ist. So etwas ist für Firmen und Unternehmen interessanter, da kommt man in ganz andere Dimensionen von Sponsoringeinnahmen. Vorher ist die ganze Geschichte leider ziemlich schwierig.

SPORT1: Verleiten die zum Teil völlig unterschiedlichen Interessen die Vereine dazu, sich finanziell zu übernehmen?

Schorch: Möglicherweise. In dieser Liga geeignete Sponsoren zu finden, ist, wie angedeutet, verdammt schwer. Die Leute vergessen schnell, dass wir Kriege, Inflation und eine Wirtschaftskrise haben. Alle Preise steigen, die Firmen müssen sparen. Da ist es eine große Herausforderung, ein Sponsoring zu ergattern. Das erfordert sehr viel Arbeit und viele Gespräche - und zwar auf einer vertrauensvollen und verantwortungsbewussten Basis. Die haben wir in Bocholt, das ist unser Weg. Wie das beim KFC Uerdingen war, weiß ich nicht.

SPORT1: Regionalligen sind keine reinen Profiligen. Sind diese Auflagen vor diesem Hintergrund überzogen und für einige Vereine kaum zu erfüllen?

Schorch: Was jetzt passiert, ist bezeichnend genug. Aber was auch klar ist: Diese ganzen Forderungen sind sicherlich nicht böswillig gestellt. Das sind ja ehrlich gesagt auch alles Anforderungen, die irgendwann sowieso kommen würden, wenn man den nächsten Schritt und noch eine Liga höher gehen will.

„Es ist äußerst traurig, welches Bild die Liga derzeit abgibt“

SPORT1: Im Gegensatz zu den oberen Ligen gibt es in den Regionalligen kein wirtschaftliches Zulassungsverfahren. Die Vereine müssen also nicht offenlegen, wie es um ihre Finanzen bestellt ist. Der KFC Uerdingen zum Beispiel ist schon mit einem großen Defizit in die Saison gegangen. Fängt da das Problem schon an?

Schorch: Gute Frage. Die Sache mit der Zulassung läuft hier ganz einfach. Man muss eine Bürgschaft hinterlegen, die - natürlich sehr anspruchsvollen - Auflagen für die Sicherheit erfüllen und bekommt dann die Lizenz. Das war’s. Ob das so sinnvoll ist oder nicht, müssen andere entscheiden. Mir steht es nicht zu, das zu beurteilen. Ich möchte lieber noch einmal ausdrücklich betonen: Es ist äußerst traurig, welches Bild die Liga derzeit abgibt.

SPORT1: Seit Jahren wird ohnehin schon über eine Reform der Regionalliga diskutiert. Der Kernpunkt: Ein neues System, das allen Meistern den Aufstieg ermöglicht. Wenn Sie etwas ändern könnten, was würden Sie tun?

Schorch: Ich würde das englische Prinzip übernehmen. Dort gibt es eine eigene Liga für die U23-Mannschaften der Profivereine, die in einem eigenen Wettbewerb spielen. Gleichzeitig müssen alle Meister aufsteigen. Anders geht es auf Dauer nicht. Wir leben schon viel zu lange in einer Situation, die für alle Seiten mangelhaft ist.

SPORT1: Wohin soll es denn für Bocholt in Zukunft gehen?

Schorch: Wir wollen raus aus dieser Liga, aber nicht von heute auf morgen, sondern im besten Fall auf einer gesunden Basis mit kontinuierlich guter Arbeit - und dann den Schritt in die 3. Liga packen. Dafür geht es jetzt bei uns nicht nur um das Sportliche, sondern auch um die Infrastruktur.