Im Halbfinale der U21-Europameisterschaft zwischen Deutschland und Frankreich läuft die 68. Minute. Die DFB-Auswahl führt mit 2:0, geschlagen geben will sich der Gegner aus dem Nachbarland deswegen aber natürlich noch lange nicht.
Hat Deutschland den Neuer-Nachfolger?
Die französische U21 spielt von der rechten Seite eine Ecke kurz aus, Loum Tchaouna flankt vom Strafraumeck an den langen Pfosten. Aus kürzester Distanz kommt Stürmer Thierno Barry zum Kopfball, ein Tor feiern kann der Angreifer vom FC Villarreal aber nicht.
Deutschlands Keeper Noah Atubolu hatte blitzschnell reagiert und mit dem rechten Arm stark auf der Linie gerettet. Auch ein VAR-Check ergab Augenblicke später, dass der Ball die Linie nicht passiert hatte.
Es war die wohl spektakulärste Rettungstat des 23-Jährigen an diesem Abend. Eine von vielen bedeutenden Aktionen. „Das war mein wichtigstes und bestes U21-Spiel“, freute sich der Youngster später im Sat.1-Interview.
Mehr als nur ein Rekord
Mit seinem saubergehaltenen Kasten trug der Keeper des SC Freiburg signifikant dazu bei, dass sich der deutsche Nachwuchs am Samstagabend (ab 21 Uhr im LIVETICKER) im EM-Finale mit England messen kann.
Das Turnier markiert dabei das Ende einer beeindruckenden Saison des Keepers, der beim Sportclub inzwischen unumstritten ist. In der vergangenen Spielzeit erreichte Atubolu mehr als nur eine nennenswerte Bestmarke.
Zwischen Februar und März blieb er sechs Ligaspiele in Folge ohne Gegentreffer. Mit insgesamt 576 Minuten ohne Gegentor übertraf er die bisherige Freiburger Klub-Bestmarke von Richard Golz, der seinen Kasten 510 Minuten sauber gehalten hatte.
Auch in Sachen Bundesliga-Rekord mischte der 23-Jährige mit. Vier Elfmeter in Folge konnte er halten, dies gelang zuvor nur Hansjörg Butt, Bernd Leno, Frank Rost und Thomas Zander.
Streich verteidigte Atubolu
Und das, obwohl er sich im Jahr zuvor noch in einer ganz anderen Situation befunden hatte. 2023 hatte Freiburgs Stammkeeper Mark Flekken die Breisgauer in Richtung Brentford verlassen. Der seinerzeit noch von Klublegende Christian Streich trainierte Verein entschied sich in der Folge, Atubolu, Stammtorhüter der zweiten Mannschaft, bei den Profis aufzubauen.
Nach einigen Fehlern sah sich der Youngster aber massiver Kritik im Internet ausgesetzt. Für Streich ein Unding. „Es ist mir viel zu unruhig mit ihm. Wir sind der SC Freiburg und haben einen 21-jährigen Torwart, der 40 Spiele gemacht und neunmal in der Liga zu null gespielt hat“, stellte er sich seinerzeit vor ihn.
„Das ist zu viel Theater in den sozialen oder teilweise asozialen Medien“, so Streich weiter.
Freiburg spielt in Europa
In Freiburg blieb man in der Folge der eigenen, ruhigen Linie treu und sprach Atubolu das Vertrauen aus. Mit Erfolg. Der Sportclub erreichte in der zurückliegenden Bundesligasaison Platz fünf und spielt in der kommenden Spielzeit auf europäischer Ebene.
Eine Bühne, auf der sich dann auch Keeper Atubolu präsentieren kann. Und das nicht nur für seine Karriere im Verein, sondern auch, um seinem großen Ziel einen Schritt näher zu kommen - dem Sprung in das DFB-Team.
„Mein Ziel ist es, für Deutschland zu spielen. Ich habe die Jugend durchlaufen, auch bei der U-Nationalmannschaft und es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass es nicht mein Traum ist, irgendwann für die A-Nationalmannschaft zu spielen.“
Und weiter: „Der erste dunkelhäutige Torwart zu werden, wäre etwas Besonderes, das gab es vorher noch nie. Aber es spielt für mich keine große Rolle, welche Hautfarbe jemand hat. Am Ende sollte immer die Leistung entscheiden.“
Lob von Coach Schuster
Und mit der weiß er schon seit geraumer Zeit zu überzeugen. 60 Mal stand er bislang in der Bundesliga für die Freiburger zwischen den Pfosten, 20 Mal musste er dabei nicht hinter sich greifen.
„Er ist in seinem zweiten Jahr, er ist unglaublich jung, er ist sehr, sehr fleißig, investiert viel“, lobte ihn sein Vereinscoach Julian Schuster vor einigen Wochen.
Im Verein hat sich Atubolu bereits in jungen Jahren ein Standing erarbeitet – und auch beim DFB wird ihm großer Respekt entgegengebracht. Bereits im März 2022 debütierte er für die U21, mit seinem Auftritt im Halbfinale absolvierte er nun das 21. Spiel für den deutschen Nachwuchs und löste damit Manuel Neuer als Rekordtorhüter der deutschen U21 ab.
Atubolu will in die A-Nationalmannschaft
Der Freiburg-Keeper selbst würde Neuer aber noch viel lieber langfristig in der Nationalmannschaft beerben. Und rechnet sich dafür durchaus Chancen aus. „Ich würde schon sagen, dass ich jetzt gerade einen guten Zeitpunkt habe, weil Manuel Neuer nicht mehr da ist und Marc-André ter Stegen wahrscheinlich auch nicht mehr lange in der Nationalmannschaft spielen wird“, so der Freiburger.
Wie das am besten gelingen kann, dafür hat er bereits einen Plan. „Ich hatte schon ein bis zwei Gespräche mit dem Torwarttrainer der A-Nationalmannschaft, den ich auch aus Freiburg kenne (Andreas Kronenberg, von 2011 bis 2022 in Freiburg, Anm.d. Red.). Er hat mir gesagt, dass ich mich auf die U21-EM fokussieren soll, weil dieses Turnier das Sprungbrett ist und darüber alles läuft.“
Dass er diese Chance bislang gut nutzen konnte, bescheinigte ihm zuletzt bereits Antonio Di Salvo. „Noah spielt eine überragende Europameisterschaft“, konstatierte der U21-Bundestrainer.
Sollte er auch im Finale glänzen, dürfte ihm die wachsende Aufmerksamkeit von ganz oben gewiss sein.