Zwei Dinge hat Handball-Deutschland am vergangenen Wochenende gelernt: Neben den ohnehin offensichtlichen sportlichen Stärken sind die Füchse Berlin unheimlich nervenstark. Und wenn sie ein Möbelstück wären, dann eine Lampe aus den 70ern. So viel ist nach der ersten Meisterschaft der Klubgeschichte und der folgenden Partynacht wohl geklärt.
„Extrem schwer, uns zu schlagen“
Gerade war das Team nach dem dramatischen Saisonfinale und dem alles entscheidenden 38:33 gegen die Rhein-Neckar Löwen mit seiner Chartermaschine wieder in Berlin gelandet, da schallte auch schon „Wackelkontakt” von Oimara über das Rollfeld. Nicht zum ersten und erst recht nicht zum letzten Mal, dass dieser Song am Sonntag in die Playlist rutschte und die Helden der Füchse zum Tanzen brachte.
Zu Ende ist die Saison allerdings noch nicht. Am Wochenende kämpfen die Berliner wie auch der SC Magdeburg um den Titel in der Champions League. Samstag finden die Halbfinalpartien statt, das Spiel um Platz drei und das Finale folgen am Sonntag. Im ersten Halbfinale (Sa., 15.00 Uhr) trifft der frischgebackene Meister dabei auf den HBC Nantes aus Frankreich. SPORT1 hat im Vorfeld mit Füchse-Urgestein Fabian Wiede gesprochen und ihn gefragt, ob der Meister-Kater schon überwunden ist.
SPORT1: Herr Wiede, nach dem Gewinn der Meisterschaft wurde ausgiebig gefeiert. Wann haben Sie wieder an Training und die Vorbereitung auf das Final Four gedacht?
Fabian Wiede: Die Tage nach dem Titelgewinn waren für uns alle grandios. Wir haben die Zeit gut genutzt, um gebührend zu feiern, das kann ich versprechen. Sonntag und Montag ging die Post ab. Aber ab Dienstag haben wir dann mit der Erholung begonnen und uns wieder voll auf die Vorbereitungen für Köln konzentriert. Mittwoch stand das erste Training an, seitdem sind wir im Modus.
SPORT1: Sie durften die Meisterschale mit nach Hause ins Schlafzimmer nehmen. Wie war die gemeinsame Nacht?
Wiede: Ganz besonders (lacht). Die Schale nach so vielen Jahren endlich in den Händen zu halten, ist einfach nur wunderschön. Gerade, wenn man auch mal ein paar ruhige Minuten zu zweit hat.
Gidsel? “In seiner Form eine absolute Maschine”
SPORT1: Auf Instagram haben Sie ein Bild davon gepostet. Dem Ex-Nationalspieler Jens Schöngarth fiel dabei ein Detail auf. Sie hielten die Flasche Bier fester in der Hand als die Meisterschale.
Wiede: So muss das sein. Ich würde sagen, das Bild beschreibt ganz gut, wie die Tage nach dem Meistertitel aussahen (lacht).
SPORT1: Etwas kurios: Bei der Meister-Zeremonie fehlte noch die Gravur auf der Meisterschale. Gefeiert wurde bislang mit dem letzten eingravierten Schriftzug des SC Magdeburg von 2024. Die Füchse müssen sich nun selbst um ihre Gravur kümmern. Hat sich in dieser Sache schon etwas getan?
Wiede: Nein, das ist leider noch nicht geregelt und ich weiß auch gar nicht, wann sich darum jemand kümmert. Ich denke, wir behalten die Schale jetzt erst einmal so lange wie möglich. Und wenn wir sie zurückgeben, wird der Schriftzug kurz vorher noch eingraviert.
SPORT1: Die Füchse waren in den vergangenen Jahren schon häufig nah am Meistertitel dran. Was war dieses Mal das letzte Quäntchen, das vorher immer gefehlt hat?
Wiede: Es gibt viele Komponenten. Natürlich ist eine davon Mathias Gidsel, der in seiner Form eine absolute Maschine ist. Er hat viele, viele Spiele für uns gewonnen. Aber auch sonst verfügen wir über ein herausragendes Abwehr- und Tempospiel, das wir konsequent durchziehen konnten. Wenn wir das forcieren, ist es extrem schwer, uns zu schlagen. Für jede Mannschaft dieser Welt. Und zum Glück hatten wir über die ganze Saison nur wenige Verletzungen, die uns aus dem Konzept bringen konnten. Die Magdeburger erwischte es diesmal leider deutlich schlimmer, wodurch sie mehr Probleme hatten als wir.
“Sind nicht hier, um mit leeren Händen nach Hause zu fahren”
SPORT1: Sowohl Mathias Gidsel als auch Sie selbst bezeichneten die Füchse als aktuell beste Mannschaft der Welt. Heißt das, Berlin geht als großer Favorit ins Final Four der Champions League?
Wiede: Laut den ganzen Experten sind wir das. Die haben uns schon alle ganz oben auf der Liste gepackt. Und natürlich wissen wir auch, dass wir das schaffen können, wenn wir an diesem Wochenende wieder die Form der letzten Monate abrufen können. Das und nichts anderes wollen wir. Genau so gehen wir in das Turnier rein. Wir sind nicht hier, um am Ende mit leeren Händen nach Hause zu fahren.
SPORT1: Als es in den Endspurt der Bundesliga ging und die Frage nach dem Meistertipp aufkam, stellte Torwart-Legende Silvio Heinevetter in einem Interview mit dem rbb folgende Faustregel auf: Die Mannschaft, in der Mathias Gidsel spielt, gewinnt. Bekanntlich sollte er Recht behalten. Gilt das auch für die Champions League?
Wiede: Das hoffe ich doch sehr. Es wäre sehr schön, wenn das so einfach wäre (lacht). Ich glaube, wir wären ihm alle sehr dankbar, wenn er noch mal zwei Weltklasse-Spiele abliefert und uns die nächste Trophäe beschert. Da lehne ich mich nicht weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte: Es würde sich niemand beschweren, wenn es am Sonntag so kommt.
SPORT1: Um den Namen Gidsel kommt man im Handball derzeit nicht herum. Ob außerirdisch, eine Maschine oder schlicht der beste Handballer des Planeten – es gibt kaum einen Superlativ, mit dem er in den vergangenen Tagen nicht beschrieben wurde. Was ist dieser Däne für ein Typ?
Wiede: Als Typ ist Mathias super nett. Total bescheiden, total fokussiert. Er gibt jedem in der Mannschaft das Gefühl, wichtig zu sein, und hat extrem gutes Handballwissen. Mathias weiß genau, wann er wo angreifen und wie er den Ball weiterspielen muss, und hat einen überragenden Wurf. Aber sein Abwehrspiel kann er noch verbessern, was mir zugutekommt (lacht). Dann kann auch ich noch ein bisschen Spielzeit sammeln (Wiede und Gidsel spielen beide im rechten Rückraum; Anm. d. Red.).
“Heißt nicht umsonst, dass wir die stärkste Liga der Welt sind”
SPORT1: Neben Berlin ist mit dem SC Magdeburg ein weiteres Team aus der Bundesliga in Köln vertreten. Damit sind zum zweiten Mal in Folge zwei deutsche Mannschaften dabei. Bleibt die Bundesliga also qualitativ das Maß aller Dinge?
Wiede: Absolut. Es heißt eben nicht umsonst, dass wir die stärkste Liga der Welt sind. Das sieht man genau daran. In diesem wie im letzten Jahr. Letztlich ist es sogar schade, dass wir nur zwei Startplätze für die Champions League haben. Wir haben ja mit dem THW Kiel, der SG Flensburg-Handewitt oder der MT Melsungen noch viel mehr Top-Mannschaften, die hier mithalten könnten. Vielleicht wäre da mal eine Anpassung des Systems nötig.
SPORT1: Im Halbfinale geht es gegen Nantes. Auf dem Papier sind die Franzosen der große Außenseiter. Aber: Gerade die Außenseiter haben in Köln oft triumphale Siege gefeiert. Hat euch Trainer Jaron Siewert schon gewarnt?
Wiede: Der Trainer muss uns nicht warnen. Wir sind voll fokussiert und wissen ganz genau, worum es hier geht. Hier sind keine schlechten Mannschaften mehr dabei – oder, wie Per Mertesacker sagen würde: keine Karnevalstrupps. Auch Nantes hat eine Reihe an überragenden Spielern wie Thibaud Briet, Julien Bos oder Nicolas Tournant am Kreis. Das wird garantiert eine große Herausforderung für uns, aber wir sind vorbereitet und freuen uns auf diese Aufgabe.