Es war eine Szene, die symbolischer nicht hätte sein können: Nach nur 33 Minuten Spielzeit im Spiel gegen Atlético Mineiro brach Neymar unter Tränen zusammen. Erneut hatte sein Körper versagt, wieder einmal zwang ihn eine muskuläre Verletzung zum vorzeitigen Gang in die Kabine.
Neymar? „Niemand hat Mitleid“
Was Ende Januar als emotionale Heimkehr zum FC Santos gefeiert wurde, gleicht mittlerweile einer tragischen Geschichte ohne Happy End. Der einstige Superstar, der bei Barcelona und Paris Saint-Germain die Fußballwelt verzauberte, kämpft inzwischen nicht mehr um Titel, sondern um seine Karriere.
„Ich glaube nicht, dass er jemals wieder fit genug sein wird, um auf höchstem Niveau Fußball zu spielen“, sagt Julio Gomes, renommierter Sportjournalist aus Brasilien, im Gespräch mit SPORT1. „Er achtet einfach nicht gut genug auf seinen Körper.“
Diese vernichtende Diagnose eines Landsmanns fasst zusammen, was viele längst denken. Seit seinem Wechsel nach Saudi-Arabien im Sommer 2023 hat Neymar kaum noch Fußball gespielt. Ein Kreuzbandriss im Oktober 2023 während eines Länderspiels setzte ihn fast für ein ganzes Jahr außer Gefecht.
Bei Al Hilal, wo er einen Vertrag über umgerechnet 150 Millionen Euro pro Jahr unterschrieben hatte, kam er gerade einmal auf sieben Einsätze.
Geld für Neymar „die oberste Priorität“
Der Wechsel nach Saudi-Arabien war von Anfang an umstritten. „Neymar konnte nirgendwo hin, nachdem er PSG verlassen hatte. Niemand hatte das Geld, das er und sein Vater wollten“, erklärt Gomes. „Er hat getan, was er tun musste, wenn Geld die oberste Priorität ist – und das war in seiner Karriere schon immer so.“
Besonders deutlich wurde der brasilianische Journalist, als er die Professionalität des Superstars infrage stellte: „Er hat sich viel mehr Zeit gelassen als üblich, um zum Fußball zurückzukehren, er empfand keine Verpflichtung gegenüber seinen Geldgebern.“
Anfang 2025 folgte dann die vermeintliche Rettung: Neymar kehrte zu seinem Jugendverein FC Santos zurück, nachdem er seinen Vertrag in Saudi-Arabien einvernehmlich aufgelöst hatte.
Neymar mit großer Symbolik empfangen
Der Brasilianer, der bei Santos von 2009 bis 2013 gespielt und in 228 Spielen 138 Tore erzielt hatte, unterschrieb einen Vertrag bis zum Sommer 2025. Mit großer Symbolik empfing der Verein seinen verlorenen Sohn – inklusive eines KI-generierten Videos, in dem ihn kein Geringerer als der verstorbene Pelé zur Rückkehr ermutigte.
In Brasilien sind die Meinungen über den Nationalhelden derweil tief gespalten. „Die Hälfte des Landes denkt, dass Brasilien Neymar braucht. Die andere Hälfte denkt, dass er eine Last ist und keine Bereicherung“, erklärt Gomes bei SPORT1.
Besonders interessant: „Ich glaube nicht, dass viele Leute Mitleid mit ihm haben. Nach der letzten Verletzung, eine Woche vor dem Finale der Paulista-Meisterschaft gegen Corinthians, tanzte er auf dem Karneval. Niemand hat also Mitleid mit ihm.“
Diese Szene verdeutlicht das Kernproblem: Trotz seines außergewöhnlichen Talents steht Neymar regelmäßig in der Kritik. Bei Santos läuft er zwar mit der historischen Nummer 10 auf, die einst Pelé unsterblich machte, doch während das Trikot von Tradition und Größe zeugt, kommt seine eigene Karriere nicht mehr vom Fleck.
Seit seiner Rückkehr Ende Januar kam er auf neun Einsätze, erzielte drei Tore und gab drei Vorlagen. Die jüngste Verletzung beim Spiel gegen Atlético Mineiro, das Santos in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag immerhin mit 2:0 gewann, war bereits der dritte Rückschlag seit seiner Rückkehr.
Santos kommt auch ohne Neymar zurecht
Der FC Santos beweist derweil in der noch jungen Liga-Saison, dass er auch ohne seinen Superstar funktionieren kann. Vier Spieltage sind zwar kaum mehr als eine Momentaufnahme, doch der 13. Tabellenplatz gibt dem Aufsteiger erst einmal Luft zum Atmen.
Die bisherige Bilanz von einem Sieg, einer Niederlage und zwei Unentschieden lässt sich durchaus sehen. Beim Sieg gegen Atlético Mineiro klappte es auch ohne Superstar Neymar, der früh ausgewechselt wurde - an den ersten beiden Spieltagen hatte der Brasilianer ohnehin wegen einer Oberschenkelverletzung gefehlt.
Bei der Campeonato Paulista, dem regionalen Turnier des Bundesstaates Sao Paulo, erreichte Santos immerhin das Halbfinale.
Brasilien ohne Neymar
Währenddessen steht die brasilianische Nationalmannschaft an einem Scheideweg. Im März 2025 wurde Nationaltrainer Dorival Júnior nach nur einem Jahr im Amt entlassen.
Die Entscheidung folgte auf eine deutliche 1:4-Niederlage gegen den Erzrivalen Argentinien in der WM-Qualifikation. Brasilien liegt in der südamerikanischen WM-Qualifikation derzeit nur auf dem vierten Platz.
In dieser angespannten Situation der Nationalmannschaft wäre ein in Topform spielender Neymar eigentlich ein wertvoller Faktor. Mit 79 Toren in 128 Einsätzen ist er schließlich Rekordtorschütze der Selecao.
Doch die Realität sieht anders aus: Zwar war Neymar ursprünglich für die entscheidenden WM-Qualifikationsspiele gegen Kolumbien und Argentinien nominiert worden, doch musste er kurz vor den Spielen wegen seiner wiederkehrenden Oberschenkelprobleme passen.
Sein lang ersehntes Comeback im Nationaltrikot platzte, er wurde aus dem Kader gestrichen und durch Youngster Endrick ersetzt. Während Brasilien also um die WM-Qualifikation kämpft, scheint der einstige Leistungsträger weit entfernt von einer internationalen Rückkehr.
„Nie wieder auf den großen Bühnen Europas“
Spekulationen über eine mögliche Rückkehr nach Europa, etwa zurück nach Barcelona oder zum FC Bayern München, wischt Journalist Gomes entschieden beiseite.
Solche Gerüchte seien nichts als strategisch platzierte Informationen, hinter denen bestimmte Interessen stünden. Der Journalist war überzeugt, dass kein europäisches Spitzenteam ernsthaftes Interesse an einer Verpflichtung Neymars habe – seine Zeit auf der großen Fußballbühne Europas sei vorüber.
„Ja, er kann fit genug sein, um bei einem kurzen Turnier oder in der brasilianischen Liga zu spielen, aber nie wieder auf den großen Bühnen Europas“, urteilt Gomes schonungslos.
So bleibt die Zukunft des einstigen Wunderkinds ungewiss. Mit 33 Jahren steckt Neymar in einer Sackgasse, aus der es vielleicht keinen Ausweg mehr gibt.
Seine Geschichte, die einst als Märchen begann, droht zu einer Warnung für kommende Generationen zu werden: Talent allein reicht nicht aus, wenn der Körper nicht mitspielt – und die eigene Einstellung fragwürdig ist.