Beim mit Spannung erwarteten ersten Auftritt von Carlo Ancelotti seit Bekanntgabe seines Wechsels von Real Madrid nach Brasilien wanderte seine berühmte linke Augenbraue mehrmals hoch und runter.
Neue Rätsel um Ancelotti
Als ein Journalist am Dienstag im prallgefüllten Pressesaal des spanischen Rekordmeisters meinte, er sehe nicht glücklich aus, entgegnete Ancelotti: „Ich bin sehr glücklich, wenn ich heute nicht die Pressekonferenz hätte, wäre es fantastisch.“ Das sorgte für Gelächter im Raum.
Groß war das Interesse an seinen Ausführungen. Es war der erste öffentliche Auftritt, nachdem der brasilianische Verband (CBF) am Montag die Verpflichtung des 65-Jährigen als Nationaltrainer ab dem 26. Mai bekannt gegeben hatte.
Auch brasilianische Medienvertreter waren anwesend, doch Ancelotti wollte nicht allzu viel über seine zukünftige Aufgabe sprechen, sondern lieber den Fokus auf die anstehenden letzten drei Spiele mit Real Madrid legen - auch wenn ihm ein letzter Titel angesichts von sieben Punkten Rückstand auf Spitzenreiter FC Barcelona wohl verwehrt bleiben wird.
Rätsel um Ancelotti-Verkündung
„Es gibt Dinge, die ich jetzt nicht erklären kann, weil ich in Madrid bin und ich dieses Trikot respektieren will“, sagte Ancelotti.
Zu diesen Rätseln zählt die Art und Weise der Verkündung - auch wenn der Inhalt angesichts der entsprechenden Spekulationen der vergangenen Wochen und Monate eigentlich ein offenes Geheimnis war.
Dass aber nun am Montag Brasiliens Verband vorpreschte und im Gegenzug noch immer kein offizielles Statement von Real vorliegt, mutet etwas merkwürdig an. Auch die offizielle Klärung seiner Nachfolge steht noch aus. Nachdem Xabi Alonso am Freitag seinen Abschied von Bayer Leverkusen verkündet hatte, gilt die Personalie eigentlich als Formsache.
„Sie werden dann eine Erklärung abgeben, wenn sie es wollen, es gibt überhaupt kein Problem“, hielt Ancelotti lapidar fest. Und warum die Eile bei Brasiliens Verband? „Jeder hat so gehandelt, wie er es für richtig hielt“, gab sich Ancelotti diplomatisch.
Fragen warf das Vorpreschen des CBF-Präsidenten Ednaldo Rodrigues auch aus einem anderen Grund auf.
Wirbel in Brasilien
Noch in der Vorwoche kursierten in Brasiliens Medien Meldungen, dass Ancelotti eine renommierte Anwaltskanzlei in Rio de Janeiro beauftragt habe, ein Auge auf die prekäre Lage des gerade unter zwielichtigen Umständen wiedergewählten Rodrigues zu werfen.
Es gab Berichte über eine gefälschte Unterschrift, Forderungen nach seiner sofortigen Absetzung wurden laut. Nun vermeldete Rodrigues die Einigung mit Ancelotti am Montag im Alleingang - nur wenige Stunden vor einer Gerichtsanhörung, die seine Rechtmäßigkeit als CBF-Boss infrage stellen könnte.
„Im Großen und Ganzen waren die Reaktionen sehr positiv“, sagte Rodrigues: „Und Ancelotti selbst hat sich sehr gefreut, als wir miteinander gesprochen haben.“
Dekoriert mit fünf Champions-League-Triumphen und Meistertitel in den fünf großen Ligen Europas, ist die Erwartungshaltung an Ancelotti in Brasilien entsprechend groß. Den Traum vom „Hexa“, dem 6. WM-Titel für die Selecao, soll Ancelotti bei der Endrunde im kommenden Jahr in den USA, Mexiko und Kanada erfüllen.
„Alle brasilianischen Vereine haben reagiert und uns zu dieser Verpflichtung gratuliert. Auch Nationalspieler haben uns gratuliert und uns gesagt, dass er ein hervorragender Trainer ist“, ergänzte Rodrigues: „Wir sind zuversichtlich, dass wir das Bestmögliche getan haben.“
Zuspruch von Staatsoberhaupt Lula - und Zweifel
Doch es gibt auch Bedenken. Dabei gab es nun sogar Zuspruch von Staatspräsident Luiz Inacio Lula da Silva, der im Rahmen eines Staatsbesuchs in China Ancelottis Berufung begrüßte.
Er bezeichnete Ancelotti als „großartigen Trainer“ und er glaubt, dass dieser die Selecao aus der momentan schwierigen Phase führen wird. „Ich hoffe, dass er als ein strategisch und taktisch gut vorbereiteter Mensch der brasilianischen Nationalmannschaft helfen kann.“
Doch es klang auch eine gewisse Skepsis durch. „Ich habe ehrlich gesagt nichts dagegen, dass er Ausländer ist. Ich denke, dass wir in Brasilien auch Trainer haben, die die Nationalmannschaft führen können.“
Vor zwei Jahren meldete er bereits Zweifel an. „Ich schätze Ancelotti, aber er war nie der Trainer von Italien. Warum löst er nicht das Problem, dass Italien nicht an der letzten Weltmeisterschaft teilgenommen hat?“, sagte Lula damals dem TV-Sender SPT angesichts der ersten Gerüchte um Ancelotti.
In der langen Geschichte des brasilianischen Fußballs ist Ancelotti der erste hauptamtliche ausländische Trainer seit dem Uruguayer Ramón Platero - vor wohlgemerkt 100 Jahren. Platero betreute die Selecao 1925 bei der Südamerikameisterschaft. Eine Weltmeisterschaft gab es damals noch nicht, die erste WM fand bekanntlich 1930 statt.
Aufregung um Ancelottis Gehalt
Vorbehalte gibt es nicht nur wegen Ancelottis Staatsangehörigkeit. Auch sein angebliches Gehalt sorgt für Aufsehen. Laut Folha de Sao Paulo soll er bis zur WM zehn Millionen Euro verdienen und damit doppelt so viel wie sein Vorgänger Dorival Júnior. Bei einem WM-Triumph kämen nochmals fünf Millionen an Prämien hinzu.
Wohnen wird Ancelotti in einem Luxus-Apartment unterm Zuckerhut, mit einem gepanzerten Auto in der Garage und einem Privatjet.
Seinen neuen Job bezeichnete der frühere Bayern-Trainer am Dienstag nur als „neue Herausforderung“. Begonnen hat er ihn im Hintergrund allerdings schon längst. Mit Superstar Neymar telefonierte er bereits, das Comeback seines einstigen Real-Schützlings Casemiro leitete er in die Wege.
Die Zeit drängt. Anfang Juni stehen in der WM-Qualifikation, in der Brasilien aktuell nur Vierter ist, die wichtigen Spiele in Ecuador und gegen Paraguay an.
Wie sein Kader denn aussehen werde, wurde Ancelotti am Dienstag auch noch gefragt - und seine Augenbraue wanderte wieder nach oben. „Jetzt muss ich mich auf die Spiele von Madrid vorbereiten, das habe ich ganz klar im Kopf“, blockte Ancelotti ab, „und ab dem 26. Mai habe ich etwas anderes zu tun.“
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Mit Sport-Informations-Dienst (SID)