Tief in der Nacht herrschte Ausnahmezustand in einem kleinen Örtchen an der niederländischen Küste.
Fußballmärchen wird wahr! Kultklub steigt nach 47 Jahren auf
Kultklub ist nach 47 Jahren zurück
In IJmuiden (mit großem J, kein Rechtschreibfehler), gut 20 Kilometer von Amsterdam entfernt standen die Fans des SC Telstar mit Pyros Spalier, als der Bus mit ihren Helden aus Tilburg zurückkehrte: 47 Jahre nach dem Abstieg aus der Eredivisie ist der kleinste Profiklub der Niederlande wieder erstklassig.
Der SC Telstar schreibt ein Märchen
Der 3:1-Sieg im Relegations-Rückspiel gegen Willem II ließ am Sonntag dieses unverhoffte Fußballmärchen wahr werden.
Als Siebter der regulären Saison der Keuken Kampioen Divisie kämpfte sich Telstar durch die Playoffs. Schaltete erst ADO Den Haag aus, dann den FC Den Bosch - inklusive anschließender Prügelei zwischen beiden Fanlagern beim Platzsturm. Und bestand nun auch die letzte Prüfung gegen den Drittletzten der Eredivisie.
Die Aufstiegshelden wurden bei ihrem Empfang am späten Sonntagabend auf Händen getragen. Torjäger Youssef El Kachati entzündete in der Euphorie gar selbst eine Fackel.
„Das Raubtier“ wird zum Aufstiegsheld – und zieht weiter
Der 25 Jahre alte El Kachati - De Volkskrant taufte ihn liebevoll „das Raubtier“ - ist einer der Hauptdarsteller des Wunders. „Ich bin etwas emotional, wie man sieht“, sagte El Kachati kurz nach dem Abpfiff bei ESPN.
Mit 19 Toren in der regulären Saison, dazu weiteren fünf in der Aufstiegsrunde, hatte El Kachati enormen Anteil am überraschenden Aufstieg. Für ihn war es ein krönender Abschluss. Er wird den Verein verlassen, Schalke und Hannover 96 gelten als interessiert.
Auch deswegen hatte sich El Kachati für sein letztes Spiel viel vorgenommen: „Ich dachte: Ich werde mich völlig verausgaben. Selbst wenn sie mich auf einer Trage vom Platz tragen müssen: Ich fahre mit den Jungs in die Eredivisie.“
Gesagt, getan! Von dem frühen Doppelschlag durch Mees Kaandorp (6.) und eben El Kachati (12.) erholte sich Willem II nicht mehr. Zwar gelang noch der Anschluss durch Rob Nizet (17.), aber ein weiteres Tor von Kaandorp (58.) bedeutete nach dem 2:2 im Hinspiel die Entscheidung.
Trainer-Novize Correia beweist Weitsicht
„Als das 3:1 fiel, wusste ich, dass wir es nicht hergeben“, sagte Trainer Anthony Correia - und sah sogleich Unheil in Form einer unfreiwilligen Dusche auf sich zukommen: „Ich glaube, ich werde Wasser abbekommen. Ich kann es schon sehen.“
Und schon wurde Correia von seinen Spielern mitten im Interview auf dem Rasen mit Wasser überschüttet. „Ich habe noch eine saubere Hose dabei. Irgendwie habe ich schon gedacht, dass es passieren wird“, präsentierte sich der 43-Jährige auch hier weitsichtig.
Vor der Saison war daran nicht zu denken. Der „Aufstieg schien eine Illusion“, schrieb ESPN rückblickend. Telstar hatte eine Saison im Tabellenkeller der zweiten Liga, in der es außer bei Nachwuchsteams keinen sportlichen Absteiger gibt, hinter sich und landete schließlich auf dem viertletzten Platz.
Mit Koeman-Sohn im Tor, von Jonker gelernt
Klubidol Correia, der seine gesamte Profikarriere bei Telstar verbracht hatte, übernahm. Der ehemalige Abwehrspieler setzte zunächst auf eine kompakte Defensive. Torwart Ronald Koeman Junior, Sohn des Bondscoaches hielt in der regulären Saison 15 Mal seinen Kasten sauber - Ligabestwert. Und vorne konnte sich Correia unter anderem auf Torjäger El Kachati verlassen.
Für den in der ehemaligen niederländischen Kolonie Suriname geborenen Coach Correia ist Telstar die erste Trainerstation im Profifußball. Zuvor hatte er sieben Jahre dort als Co-Trainer gearbeitet – auch unter dem früheren Bayern-Nachwuchscoach Andries Jonker.
„Ich denke zurück an 2019, als das Stadion so kaputt war, dass jede Woche weniger Lichter funktionierten. Fantastisch, wie es ihnen heute geht, auf und neben dem Platz“, erinnerte sich Jonker, jetzt Trainer der Oranje-Frauen, dieser Tage an seine Zeit bei Telstar zurück.
Benannt nach Satellit - abgestiegen mit van Gaal
„De Witte Leeuwen“, also „die Weißen Löwen“ hatten in den 60er-Jahren ihre Glanzzeiten, immerhin fünf Mal landete Telstar unter den besten Zehn der Eredivisie.
Der Name des Klubs, der 1963 aus der Fusion zweier Vereine aus der Gemeinde Velsen hervorging, geht übrigens auf den Kommunikationssatelliten Telstar zurück. Mit seiner kugelrunden Form mit den darauf angebrachten Solarzellen erinnerte der Satellit an einen Fußball.
Doch auf den frühen Höhenflug folgte der Absturz. 1978 spielte der SC Telstar letztmals erstklassig - mit einem gewissen Louis van Gaal als Spieler auf dem Rasen.
Kultklub mit „Beinahe-Pleiten und kleinem Stadion“
Mit der Zeit rückte die Eredivisie immer weiter in die Ferne. Und Telstar bekam das Image eines Kultklubs mit „Mini-Budget, Beinahe-Pleiten und kleinem Stadion“, wie de Volkskrant schrieb.
Der 1948 erbaute Sportpark Schoonenberg wurde zwar immer wieder saniert und trägt seit 2023 ganz im Sinne des modernen Fußballmarketings den Namen eines Online-Casinos. Doch das kleine Schmuckkästchen bietet nur etwas mehr als 5.000 Zuschauern Platz.
Um die Auflagen für die Eredivisie zu erfüllen, muss der Kunstrasen gegen einen Naturrasen ausgetauscht werden. Die zwei Millionen Euro, die der Sieg in den Aufstiegs-Playoffs an zusätzlichen Einnahmen garantierte, kommen da ganz gelegen. Doch auch bei der Flutlichtanlage muss nachgerüstet werden.
Und vielleicht schreibt der SC Telstar dann im nächsten Jahr mit dem Klassenerhalt dann sogar die Fortsetzung seines unverhofften Fußballmärchens.