Ohne Auto geht gar nichts, wenn man als Fan an den derzeit angesagtesten Ort im schwedischen Fußball gelangen will.
Eine der größten Sensationen im Klubfußball bahnt sich an
Eine große Sensation bahnt sich an
Das Stadion Strandvallen – ein kleiner, viereckiger Kasten für lediglich 7000 Zuschauer - befindet sich direkt am Meer. Mit dem Zug kommt man da ebenso wenig hin wie mit dem Bus.
„Es ist, als würde man in der Zeit zurückreisen. Es liegt mitten im Nirgendwo“, sagt einer, der es wissen muss. So erklärte der Journalist Michael Wagner von der Zeitung Aftonbladet dem Fußballmagazin 11 Freunde den Standort des Stadions von Mjällby AIF.
Der Verein, der vor sieben Jahren noch drittklassig war, steht derzeit mit vier Punkten Vorsprung an der Tabellenspitze der Allsvenskan und ist drauf und dran, ein modernes schwedisches Märchen zu schreiben.
In Schweden wird – im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Ligen – nicht zwischen Spätsommer und Frühjahr gespielt, sondern über das Kalenderjahr. 18 von insgesamt 30 Spielen sind schon absolviert.
Schon jetzt ist Mjällby die Sensation der schwedischen Liga
Es wäre auch in diesem Stadium des Saisonverlaufs noch vermessen zu behaupten, der Meistertitel sei zum Greifen nah. Dass er aber in Reichweite ist, dürfte niemand ernsthaft bestreiten.
Schon jetzt ist das Team aus Südschweden die Sensation der Liga - in jeglicher Hinsicht. Mit 1400 Einwohnern ist Mjällby, gelegen in der Provinz Blekinge län, so klein, dass der Ort vom Schweizer Boulevardblatt Blick schon als „Kaff“ bezeichnet wurde.
Die Nachbarortschaft Hällevik, wo das Stadion des Klubs steht, verzeichnet immerhin 100 Einwohner mehr. In den Strandvallen, das auf Deutsch „Strandmauer“ heißt, strömen im Schnitt 4400 Fans – und damit 1500 Leute mehr, als die beiden Orte Einwohner haben.
Übertragen auf den FC Bayern wäre das ungefähr so, als ob knapp zwei Millionen Fans zu den Heimspielen in die Münchner Allianz Arena pilgern würden - zu jedem einzelnen wohlgemerkt.
Zu den Leistungsträgern von Mjällby AIF zählen der gambische Linksaußen Abdoulie Manneh, Innenverteidiger Axel Norén oder Mittelfeldspieler Elliot Stroud.
Ein Wissenschaftler ist der Erfolgsgarant von Mjällby
Der eigentliche Erfolgsfaktor aber steht nicht auf dem Feld, sondern daneben. Karl Marius Aksum ist Co-Trainer des Teams und hat das Training – man kann das so drastisch formulieren – revolutioniert.
Dem norwegischen Wissenschaftler ist es zu verdanken, dass aus einer Mannschaft, die vorrangig mit weiten Bällen und Einwürfen operiert hatte, eines der spielstärksten Teams der Liga geworden ist.
Eine Entwicklung, die zurückgeht auf Aksums Promotion zum Thema „visuelle Wahrnehmung im Spitzenfußball“. Dabei geht es vereinfacht ausgedrückt darum, die aktiven Kopfbewegungen der Spieler kurz vor und während der Ballannahme zu verbessern, indem sie in kürzester Zeit so viele Informationen wie möglich aus ihrer unmittelbaren Umgebung wahrnehmen und speichern.
„Das ist eine entscheidende Fähigkeit im modernen Fußball, denn die Bewegungen der Spieler sind schneller und das Pressing besser geworden, sodass man seine Umgebung ständig im Blick haben muss“, erklärte Aksum bei BBC Sport.
„Das ist besonders wichtig für Spieler, die sich in der Mitte des Spielfelds befinden, weil auf sie Bewegungen und visuelle Informationen aus 360 Grad einwirken.“
Er arbeite am „Scannen“ der Spieler, um sie zu „besseren Passspielern sowohl in der Offensive als auch in der Defensive“ zu machen, erklärte der Norweger, der in Mjällby seit Januar 2024 Co-Trainer ist und vorher noch nie im Profifußballbereich gearbeitet hatte.
Der Erfolg gibt ihm und Trainer Anders Torstensson, den er mit seiner Herangehensweise längst überzeugt hat, recht.
Mit 53,8 Prozent hat Mjällby mittlerweile den vierthöchsten Ballbesitzanteil in der Liga, nachdem das Team vor drei Jahren noch im Schnitt nur 47,5 Prozent Ballbesitz hatte. Mit 35 Treffern haben die Südschweden nach 18 Spieltagen die meisten Tore aller Mannschaften in der Liga erzielt.
Mjällby setzt auf Jugend und Transfererlöse
Dabei ist es alles andere als normal, dass der Verein überhaupt in der ersten Liga spielt. Vor neun Jahren schrammte er haarscharf am Bankrott vorbei. Erst am letzten Spieltag wurde der Abstieg in die vierte Liga verhindert, der wohl das wirtschaftliche Aus bedeutet hätte.
Die Erfahrungen von damals führten zu einem radikalen Umdenken, das die Entscheidungen des Vereins bis heute beeinflusst.
„Wir haben nun endlich wieder die Kontrolle über unsere Ausgaben. Wir haben zwar einen der geringsten Umsätze der Liga, gehören aber auch zu den Klubs mit den geringsten Ausgaben“, erklärte Mjällbys Geschäftsführer Jacob Lennartsson bei BBC Sport und ergänzte: „Bei jeder schwedischen Krone, die unseren Klub verlässt, fragen wir uns: Macht sie uns besser?“
Mjällby setzte fortan auf eine Verjüngungskur, das Durchschnittsalter der Spieler beträgt gerade einmal 24 Jahre.
Wer sich ins Rampenlicht spielt und den Klub verlassen will, wird vergleichsweise teuer verkauft – wie Colin Rösler, der Sohn der deutschen ManCity-Legende Uwe Rösler.
Der Innenverteidiger wechselte vor einem Jahr für 1,1 Millionen Euro zu Meister Malmö FF. Mit dem spielt er jetzt zwar in der Champions-League-Qualifikation. In der Meisterschaft aber ist Malmö mit zehn Punkten Rückstand auf Mjällby nur Vierter.
Am kommenden Samstag empfängt der Titelverteidiger den Emporkömmling zum direkten Schlagabtausch. Es könnte das Duell des alten mit dem neuen Meister werden.