Die Sache war in den vergangenen Dekaden sehr, sehr eindeutig. Über 40 Jahre muss man zurückgehen, um in Schottland einen Meister zu finden, der nicht Celtic oder Rangers heißt. 1985 stand am Saisonende letztmals ein anderer Klub an der Tabellenspitze. Der FC Aberdeen, damals angeleitet von einem gewissen Alex Ferguson. Seitdem? Teilten sich Celtic und die Rangers alle Titel unter sich auf.
Eine tiefe Sinnkrise
Zwei Giganten taumeln
Beide Glasgower Großklubs feierten inzwischen je 55 Meisterschaften, liegen also gleichauf – wobei Celtic, auch The Bhoys genannt, zuletzt eine beeindruckende Aufholjagd hinlegte. Seit 2012 gingen alle Trophäen, abgesehen von einer, in den Osten der Stadt. Und in diesem Jahr wäre die Chance, endlich am großen Lokalrivalen vorbeizuziehen, eigentlich so groß wie selten zuvor.
Denn die Rangers taumeln gewaltig. Offenbar steckt der Verein in der ersten Saison seit der Mehrheitsübernahme durch ein US-Konsortium noch in der Findungsphase. Die Medien beschreiben den Zustand des Teams als langsam, lethargisch und schwach im defensiven Drittel. Von den ersten acht Ligaspielen gewannen die Rangers nur eines, sechs endeten mit einem Unterschieden. Ist der Weg für Celtic damit frei?
„Das ist eine durchschnittliche Celtic-Mannschaft“
Theoretisch ja, praktisch nein. Bei Celtic läuft es nämlich auch nicht viel besser. Die Mannschaft von Trainer Brendan Rodgers strauchelt ebenfalls durch die Saison. Mal erst in der Nachspielzeit erkämpfte Siege gegen Kilmarnock oder Motherwell, mal nicht mehr als ein Remis gegen Hibernian. Als der Klub Ende August bei den Rangers gastierte, schrie alles nach Topspiel. Das war es am Ende aber kaum. Weder tabellarisch noch spielerisch.
Nach 90 Minuten stand im berüchtigten Ibrox Stadium ein trostloses 0:0 auf den Anzeigetafeln. Celtic (0,17) und die Rangers (0,15) kamen dabei auf einen kombinierten Expected-Goals-Wert von 0,32, was schlichtweg katastrophal ist. Es war der niedrigste Wert in einem Premiership-Spiel seit Einführung dieser Statistik in der Saison 2019/20. Celtic gab im gesamten Spiel nur zwei Torschüsse ab, nicht einen davon in der ersten Halbzeit. Doch immerhin retteten sie so noch einen Punkt.
Das gelang Mitte Oktober nicht mehr, als der Abstiegskandidat Dundee FC erstmals seit 37 Jahren wieder ein Heimspiel gegen Celtic gewann. Somit liegen die Glasgower nun schon fünf Punkte hinter dem Tabellenführer Heart of Midlothian.
Der ehemalige Profi Chris Sutton machte anschließend die zurückliegende Transferperiode für die Krise verantwortlich. „Das ist eine durchschnittliche Celtic-Mannschaft, und ich glaube, Brendan ist sich dessen bewusst“, sagte er bei Sky Sports.
Celtic? „Sie haben einfach nicht die Qualität“
Die Grün-Weißen haben seiner Meinung nach massive Probleme. „Celtic fehlt es im letzten Drittel an Qualität. Das ist ein Problem“, fügte Sutton hinzu und fragte: „Wie soll das gelöst werden? Sie haben einfach nicht die Qualität, und das ist ein Problem. Sie müssen es bis Januar schaffen und dabei bleiben.“
Im Sommer verließ unter anderem der Deutsche Nicolas Kühn den Verein Richtung Como. Adäquaten Ersatz gibt es nach wie vor nicht. Immer mehr rücken deshalb Trainer Rodgers und die Vereinsführung ins Zentrum der Kritik.
„Wieder einmal muss man bis zum Transferfenster im Januar warten, aber sie haben Geld ausgegeben. Diese Mannschaft spiegelt genau den aktuellen Zustand von Brendan Rodgers wider. Schauen Sie ihn sich an. Er sieht aus, als hätte er einfach abgeschaltet“, betonte Kris Boyd, ein weiterer ehemaliger Spieler des Klubs. „Die Mannschaft ist platt, sie wirkt energielos.“
Die Fans knüpften sich wiederum den Vorstand vor. Aus Protest gegen die Beteiligten um Peter Lawwell, Michael Nicholson, Dermot Desmond und Chris McKay schmissen Celtic-Anhänger während der Pleite gegen Dundee Tennisbälle und Orangen auf den Rasen und sorgten damit für Verzögerungen. Ein Banner mit der Aufschrift „Ihre Inkompetenz ist offensichtlich. Treten Sie zurück!“ wurde entrollt. Dazu waren Sprechchöre zu hören, in denen die Fans die Entlassung des Vorstands forderten. Nicholson und McKay verfolgten das Schauspiel vor Ort.
Celtic scheiterte in der Champions-League-Qualifikation
Dass der Haussegen bei Celtic nach einer bislang völlig enttäuschenden Saison schief hängt, ist deutlich erkennbar. In der Liga steht der Verein überraschend unter Zugzwang und muss sich strecken, um den Anschluss an die Tabellenspitze nicht zu verlieren. Und auch international verbreitet er derzeit wenig Freude. In der Qualifikation für die Champions League scheiterte Celtic sensationell an Qairat Almaty.
Die schottische Zeitung The Scotsman schrieb im Anschluss von der „Horror-Nacht in Kasachstan”. Celtic tritt nun in der Europa League an und liegt nach drei Spielen mit nur einem Sieg auf Rang 21.
Es scheint, als könnte im Norden Großbritanniens das Undenkbare passieren und die Glasgower Dominanz tatsächlich bröckeln. Der Saisonstart deutet jedenfalls darauf hin. Denn Besserung ist erstmal keine in Sicht.