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"Frustration und Wut“: Star-Schiri mit emotionaler Beichte

Star-Schiri mit emotionaler Beichte

Der englische Star-Schiedsrichter Anthony Taylor spricht über Beschimpfungen durch Fans - und wie sich das auf seine Familie auswirkt.
Trotz des Wirbels um einen möglichen Handelfmeter gegen Spanien sucht die deutsche Nationalmannschaft die Schuld für das EM-Aus nicht bei Schiri Anthony Taylor. Das erlebte dieser bei José Mourinho schon ganz anders. Ex-Weltschiri Dr. Markus Merk findet dazu im fenster.com EM Doppelpass klare Worte.
Der englische Star-Schiedsrichter Anthony Taylor spricht über Beschimpfungen durch Fans - und wie sich das auf seine Familie auswirkt.

Anthony Taylor, Top-Schiedsrichter aus England, hat in einem Interview mit der BBC die „Erwartung von Perfektion“, der Unparteiische ausgesetzt sind, kritisiert.

Zudem verriet Taylor, dass seine Familie aufgrund von Beschimpfungen gegen ihn nicht mehr ins Stadion kommt.

„Das war die schlimmste Situation“

So wurde Taylor nach dem Finale der Europa League im Jahr 2023 (4:1 im Elfmeterschießen für den FC Sevilla) von Fans der AS Rom angeschrien, als er mit seiner Familie durch den Flughafen von Budapest ging.

„Das war die schlimmste Situation, die ich in Bezug auf Beschimpfungen erlebt habe”, gestand er und fügte hinzu: „Nicht nur, weil ich zu diesem Zeitpunkt mit meiner Familie unterwegs war, sondern auch, weil es deutlich macht, welche Auswirkungen das Verhalten von Menschen auf andere haben kann. Selbst in einem Spiel wie diesem, in dem es eigentlich keine größeren Fehler gab.”

„Das lässt einen darüber nachdenken“

Taylor hatte nach dem Spiel das Gefühl, dass versucht wurde, „die Aufmerksamkeit auf jemanden zu lenken, dem man die Schuld geben kann“. Er ergänzte: „Für mich ist das eine große Quelle der Enttäuschung, Frustration und Wut.“

Taylor zog aus diesem Erlebnis folgende Konsequenz: „Das lässt einen darüber nachdenken, ob es überhaupt richtig war, mit seiner Familie zu reisen. Seitdem waren sie bei keinem Spiel mehr dabei.“

Mourinho mit scharfer Kritik

In dem Finale zeigte Taylor 13 Gelbe Karten und gab insgesamt 25 Minuten Nachspielzeit, weshalb der damalige Rom-Trainer José Mourinho ihn auf der Pressekonferenz als „Schande“ bezeichnete und den Schiedsrichter auf dem Parkplatz zur Rede stellte. Dafür wurde Mourinho vier Spiele gesperrt.

Auf die Frage, ob er glaube, dass Mourinhos Verhalten die Fans, die ihn beschimpft haben, beeinflusst haben könnte, antwortet er: „Ja. Ich denke, wenn wir ehrlich sind, ja.“

Die sozialen Medien meidet Taylor aus gutem Grund, denn er möchte keine „Zeit damit verschwenden”, negative Kommentare oder Meinungen zu lesen.

„Kann psychische Gesundheit beeinträchtigen“

„Wenn man ständig zu hören bekommt, dass man nicht gut genug ist, sei es von Medienvertretern, Experten oder sogar ehemaligen Schiedsrichtern, kann das die psychische Gesundheit beeinträchtigen“, sagt er.

Der 46-Jährige fügte hinzu: „Die Anstrengungen, die Menschen nach dem Spiel unternehmen, um falsche Darstellungen zu verbreiten, böswillige Verschwörungstheorien zu verbreiten... das schafft ein äußerst negatives Umfeld, in dem Menschen arbeiten müssen.“

Die Einführung des Videoschiedsrichters (VAR) habe, so Taylor, unrealistische Erwartungen geweckt. „In Wirklichkeit gibt es keine Perfektion. Wir erwarten von den Schiedsrichtern, dass sie jede Entscheidung richtig treffen. Es ist wirklich wichtig, dass wir anfangen, darüber zu sprechen, dass Menschen Angst vor Versagen oder Fehlern haben“, sagte er.

„Erwartung der Perfektion“

Taylor sagte, dass der VAR das Maß an Kontrolle „vollständig verändert” habe: „Es hat diese Erwartung der Perfektion mit sich gebracht, dass es absolut alle Probleme lösen und eine Utopie sein würde.“

„Die Leute müssen sich wirklich entscheiden, was sie wollen. Man kann nicht in der einen Woche sagen: ‚Wir wollen nicht eingreifen, weil es den Spielfluss ruiniert‘, und in der nächsten Woche dann sagen: ‚Es ist eine Schande, dass der VAR hier nicht eingegriffen hat‘“, stellte Taylor klar.

„Wir müssen manchmal unsere Köpfe aus den Wolken holen, um ein wenig logischer darüber nachzudenken, wozu die Technologie eigentlich da ist“, ergänzte er.

„Lohnt sich das alles überhaupt?”

Taylor fragte sich immer wieder: „Lohnt sich das alles überhaupt?” Doch er kam zu dem Schluss, dass es einer der besten Jobs der Welt sei, ein Spitzen-Schiedsrichter zu sein.

„Man ist mitten im Geschehen der spannendsten Liga der Welt”, meinte Taylor, der seit etwa 15 Jahren Schiedsrichter in der Premier League pfeift.