So unberechenbar der Fußball auch sein mag, es gibt sie immer wieder, diese wenigen Dinge, die auf den ersten Blick recht diffus wirken, bei etwas genauerem Hinsehen aber doch eindeutig Signale sind.
Ein Albtraum-Szenario droht
Dazu gehört zum Beispiel, wenn weit mehr „über“ als „mit“ einem verdienten Spieler gesprochen wird, dessen sportliche Zukunft unsicher ist. Wenn das ungute Gefühl entsteht, verscheucht zu werden. Das ist im Endeffekt überall so. Natürlich auch in Spanien.
Wie sich das anfühlt, erlebt gerade Marc-André ter Stegen am eigenen Leib. Noch vor exakt einem Jahr schien eine solche Situation für ihn undenkbar. Am Ende einer Spielzeit zum Vergessen hat sich das Bild, das der deutsche Nationalkeeper beim FC Barcelona vorfindet, allerdings um nicht weniger als 180 Grad gewendet.
Eine einst erfolgreiche Beziehung
Nun droht ihm ein unrühmliches Ende, das seiner Karriere durchaus einen empfindlichen Knacks geben könnte.
So bleiben Fragen: Was ist passiert? Wie geht es weiter? Und was hat all das für Folgen? Nicht leicht, in dieser schwierigen Lage den Überblick zu behalten. Denn feststeht zweifellos: Die Beziehung von ter Stegen und dem FC Barcelona war sehr erfolgreich.
Schließlich performte der Schlussmann, der im Sommer 2014 als 22-Jähriger von Borussia Mönchengladbach zu den Katalanen gewechselt war, über Jahre hinweg auf absolutem Spitzenniveau und galt als unumstritten. National wie international. Bis jetzt zumindest.
Was ter Stegen bitter enttäuscht hat
Auslöser: Im vergangenen Herbst verletzte sich ter Stegen schwer und fiel für den Großteil der Saison aus. Barca reagierte und reaktivierte Wojciech Szczesny aus dem Ruhestand – ein Schachzug, der sich nicht nur als Notlösung herausstellen sollte. Rund zwei Monate später hatte der Pole seinen Trainingsrückstand aufgeholt. Ab Januar stand er dann im Tor und wusste auf Anhieb zu überzeugen.
So sehr, dass sich rasch die Forderungen mehrten, er solle auch nach ter Stegens Rückkehr die Nummer eins bleiben.
Für ter Stegen, immerhin Kapitän, war dies so etwas wie der Anfang vom Ende. Doch das unwürdige Schauspiel begann erst richtig, als er wieder fit war.
Ter Stegen scheint frustriert
Ende der Saison spielte der Deutsche nur zweimal in der Liga und musste zusehen, wie Szczesny im Clásico gegen Real Madrid und im Champions-League-Halbfinale zwischen den Pfosten stand. Laut der spanischen Zeitung Sport hat ihn das bitter enttäuscht. Aus Frust soll er daheimgeblieben sein, anstatt sein Team zum Rückspiel nach Mailand zu begleiten. Das sei wiederum Trainer Hansi Flick und der Klubführung aufgestoßen.
Offensichtlich litt ter Stegens Ruf auch darunter. Wie es für ihn nun weitergeht, soll der Verein ihm nicht einmal mitgeteilt haben. Im Gegenteil: Sie holten bereits einen jüngeren Keeper, den 24-jährigen Joan García vom Lokalrivalen Espanyol – als mutmaßlich neuen Stammtorwart zulasten ter Stegens.
Der gebürtige Gladbacher wollte über seine Situation gerne reden. Aber derzeit reden die Katalanen nur über ihn – und zwar gar nicht gut. Sportdirektor Deco wies seinen Kapitän in seltener Offenheit zurück.
Ter Stegen? “Muss nicht mit ihm reden"
„Ich muss nicht mit ihm reden“, gab der frühere Mittelfeldspieler der Zeitung La Vanguardia zu Protokoll und fügte vielsagend hinzu: „Meine Pflicht ist es, die bestmögliche Mannschaft für den Trainer aufzubauen. Es gibt keinen Vertrag, der besagt, dass man auf jeden Fall spielen muss. Von nun an trifft der Trainer die Entscheidungen.“
Sätze, die tief blicken lassen – und eine weitere Zusammenarbeit von ter Stegen und Barca nahezu unmöglich erscheinen lassen. Vielmehr dürften die Zeichen klar sein: Der Deutsche soll gehen.
Wenngleich Deco betonte, dass García keinen Freifahrtschein habe („jeder, der hierherkommt, fängt bei null an, niemand kommt mit einem Vorteil gegenüber den anderen“), wirkt es, als würde ter Stegen beim FC Barcelona trotz seiner enormen Verdienste immer mehr gegen eine Wand fahren.
Víctor Font, der ehemalige Kandidat für das Amt des Präsidenten, schoss daher heftig gegen seinen Herzensverein. Im Gespräch mit Catalunya Radio verglich er den Umgang der Katalanen mit seinem langjährigen Stammkeeper mit „Mobbing“.
Ter Stegen ohne Glück bei Flick
Ob ter Stegen ähnliche Gefühle empfindet, wird er eines Tages vielleicht noch verraten. Womöglich dann, wenn die Fronten final geklärt sind, das riesige Fragezeichen gelöst ist. Vorher ist all das für ihn vor allem eines: extrem bitter.
Da er vor erst zwei Jahren in Barcelona zum Kapitän ernannt und sein Vertrag noch bis 2028 läuft, schien sein Platz in einem der besten Teams der Welt nie in ernsthafter Gefahr. Für ihn wichtiger denn je. Denn eine Saison als Ersatzmann kann sich ter Stegen aktuell nicht leisten.
Gerade erst hatte ter Stegen den Status als Nummer eins im DFB-Team ergattert. Ob er diesen ohne Spielpraxis behalten könnte, ist überaus fraglich. Eine entscheidende Rolle spielt dabei einmal mehr Trainer Flick, der sich bereits in der Vergangenheit gegen ter Stegen entschieden hat.
Als deutscher Nationaltrainer setzte er bei der WM 2022 in Katar, wie schon sein Vorgänger Joachim Löw, lieber auf Manuel Neuer. Seine Karten bei Flick sind offenbar nicht die besten. Diesmal könnte die Degradierung vom Kapitän auf das Abstellgleis folgen.
Folgt ter Stegen Sané?
Sollte es tatsächlich so weit kommen, wäre das ohnehin belastete Verhältnis zwischen Flick und ter Stegen aus gemeinsamen Zeiten im deutschen Nationalteam wohl nicht mehr zu retten. Der naheliegende Ausweg wäre ein Wechsel.
Galatasaray Istanbul, wo sich schon Leroy Sané für einen WM-Platz empfehlen will, ist angeblich interessiert. Wie die Mundo Deportivo berichtet, denken auch Manchester United, Paris Saint-Germain und die AC Mailand über eine Verpflichtung nach.
Ter Stegen selbst gibt sich noch ungerührt. „Ich weiß, dass ich nächstes Jahr in Barcelona bin“, sagte er kürzlich im Lager des DFB-Teams. Doch innerlich wird es in ihm brodeln.
Mit Blick auf die WM 2026 gerät er unter Zugzwang, damit nicht auch im DFB-Team seine Position bröckelt - was für ter Stegen das persönlich ultimative Albtraum-Szenario wäre.
Bislang stand er bei einer Welt- oder Europameisterschaft noch keine Minute auf dem Rasen. Nach dem Abschied von Manuel Neuer hätte er bei der WM in den USA die große Chance - und ausgerechnet jetzt droht er in Barcelona alles zu verlieren.