Dirk Gerresheim verfolgt Tottenham Hotspur seit Jahrzehnten – als Fan, Dauerkarteninhaber und Vorstandsmitglied des South Germany Spurs Supporters’ Club. Neben seinem Interesse an der Premier League verfolgt er auch die Bundesliga, insbesondere Borussia Mönchengladbach, wo er als leidenschaftlicher Allesfahrer regelmäßig die Fohlen anfeuert.
Kane zu Bayern „hat mich getroffen“
Im Gespräch mit SPORT1 spricht Gerresheim über die Spurs, die Entwicklungen rund um Mathys Tel und Timo Werner sowie das bevorstehende Europa-League-Duell gegen Eintracht Frankfurt.
„Fußball, wie er sein sollte“
Wann immer es ihm möglich ist, reist er nach London, um seine Mannschaft live im Stadion zu unterstützen. Sein erstes Spiel an der White Hart Lane war im Januar 2017. Die Spurs gewannen dank eines Dreierpacks von Harry Kane 4:0 gegen West Bromwich Albion. „White Hart Lane – das war noch Fußball, wie er sein sollte. Ein schönes altes Stadion mit einer viel besseren Atmosphäre als in diesem modernen Milliarden-Tempel", erklärt Gerresheim.
Mit einer Mischung aus Wehmut und Stolz spricht er über die Veränderungen bei Tottenham. Das alte Stadion war eine Festung, in der Tottenham nur selten Punkte abgab. In dieser Saison ist von dieser Dominanz wenig zu sehen. Tottenham steckt in einer sportlichen Krise: Mit nur 37 Punkten aus 31 Spielen liegt der Verein auf dem 14. Platz – weit hinter den eigenen Ansprüchen.
Kanes Abgang wiegt schwer
Seit Harry Kane Tottenham verlassen hat, fehlt dem Team nicht nur ein verlässlicher Torjäger, sondern auch ein Spieler, der das Offensivspiel maßgeblich geprägt hat. „Er hat sich als Mittelstürmer nicht nur vorne reingestellt, sondern hat sich auch hinten mal die Bälle geholt“, beschreibt Gerresheim die Qualitäten des Rekordtorschützen. Kanes Abgang hat eine Lücke hinterlassen, die bis heute nicht geschlossen werden konnte.
„Persönlich hat es mich schon sehr getroffen, dass er ausgerechnet zu Bayern gegangen ist“, gibt Gerresheim zu. Auf die Gerüchte über eine mögliche Rückkehr Kanes in die Premier League kann sich Gerresheim ein Lachen nicht verkneifen: „Es hängt davon ab, zu welchem Verein er gehen möchte.“
„Ein erfolgsverwöhntes Publikum“
„Die Premier League ist nicht die Bundesliga. Da kommen einige Spieler nicht an. Es ist ein erfolgsverwöhntes Publikum“, erklärt er und betont, dass nicht jeder Spieler mit dem hohen Erwartungsdruck in England zurechtkommt. Ein Beispiel dafür ist Timo Werner.
„Er war in der Bundesliga immer ein sehr guter Spieler”, doch seine Zeit in der Premier League verlief insgesamt enttäuschend. Nach seinem Wechsel zum FC Chelsea im Sommer 2020 konnte er nie an seine Torquote aus Leipziger Zeiten anknüpfen: „Bei den Vereinen in London ist er nicht angekommen und ich glaube, dass er in der Bundesliga besser aufgehoben ist.“ Tatsächlich kehrte Werner nach zwei durchwachsenen Jahren bei Chelsea im Sommer 2022 zurück zu RB Leipzig, bevor er im Januar 2024 auf Leihbasis zu Tottenham wechselte.
Doch auch bei den Spurs konnte er bislang nicht überzeugen. Zwar kam er in dieser Saison auf 18 Einsätze in der Premier League, stand aber nur viermal in der Startelf und schoss kein einziges Ligator. Sein einziges Tor erzielte er im League Cup im Oktober, als er beim 2:1-Sieg gegen Manchester City traf.
Seine Abschlussstärke von früher scheint verloren gegangen zu sein. Gerresheim erinnert sich: „Ich kenne ihn noch aus Leipziger Zeiten, da war er sehr treffsicher. Jetzt vergibt er selbst 100%-Chancen, die er sonst blind gemacht hätte.“
Besonders bitter für Werner: Nach der Verpflichtung von Mathys Tel im Februar 2025 wurde er aus dem Europa-League-Kader gestrichen, um Platz für den 19-jährigen Franzosen zu schaffen. Die Spurs durften laut UEFA-Reglement nur drei neue Spieler nachmelden – Werner fiel der Entscheidung zum Opfer.
„Tel passt besser zum Verein“
Während Werner vor dem Abschied steht, schätzt Gerresheim die Perspektiven von Mathys Tel deutlich positiver ein: „Tel passt besser zum Verein. Das Potenzial ist eher da als bei Timo Werner.“ Der 19-Jährige wechselte Anfang Februar auf Leihbasis vom FC Bayern zu Tottenham.
Gerresheim ist optimistisch, dass Tel seinen Weg gehen wird: „Er ist noch jung und muss sich erst beweisen. Aber man hat in den letzten Spielen schon gesehen, dass er Talent hat. Es gibt Hoffnung, wie man auch an seinem Tor in der U21 gesehen hat.“ Während der Länderspielpause gelang Tel ein echtes Ausrufezeichen: Beim 4:0-Sieg der französischen U21-Nationalmannschaft gegen die Slowakei erzielte er einen Doppelpack.
Auch in der Liga bejubelte Tel nun seinen ersten Torerfolg: Beim 3:1-Sieg gegen den FC Southampton verwandelte er in der Nachspielzeit einen Strafstoß und erzielte damit sein erstes Tor in der Premier League. Es war Tottenhams erster Sieg seit neun Spielen – langersehnte drei Punkte.
„Frankfurt ist schlagbar“
Im Viertelfinale der Europa League trifft Tottenham auf Eintracht Frankfurt (ab 21 Uhr im LIVETICKER). Gerresheim erwartet ein schwieriges Spiel: „Eigentlich ist es die absolut letzte Chance, nächstes Jahr international zu spielen.“
Gegen die Hessen wird Tottenham vermutlich in Bestbesetzung antreten. Sollte das der Fall sein, bleibt Gerresheim zuversichtlich: „Wenn die Spieler einen guten Tag haben, ist es machbar.“
Eintracht Frankfurt hat in den letzten Jahren bewiesen, wie man diesen Wettbewerb ernst nimmt. 2022 gewann die SGE die Europa League und mit dieser internationalen Erfahrung reist der Klub nach London. Gerresheim zeigt sich dennoch zuversichtlich: Für ihn ist klar, dass „Frankfurt schlagbar“ ist. Einen möglichen Knackpunkt sieht er im Spielplan: „Es ist ärgerlich, dass das Rückspiel in Frankfurt ist – andersherum wäre es natürlich besser gewesen.“
Für Gerresheim geht es am Ende jedoch um mehr als nur Platzierungen und Titel. „Wenn ich nur auf Siege und Erfolg aus gewesen wäre, hätte ich mich auch für Manchester City, Liverpool, Bayern oder PSG entscheiden können. Ich hänge an Tottenham.“ Die Spurs sind nicht nur ein Fußballverein für ihn – es ist „wahre Liebe“.