Kaum ein Bild könnte die Verwurzelung Liverpools besser beschreiben als das über 4,6 Millionen Mal geklickte Video von Richy Sheehy aus dem Jahr 2018. Als Kevin Murphy, Corks größter Liverpool-Fan, trällert der Comedian mit fettigen Haaren auf dem Boden sitzend vor einer einfachen Matratze zu Klängen, die aus dem Handy-Lautsprecher ertönen: „Salah do do do do do doo, ohhh Mané Mané.“ Das Umfeld mutet wenig einladend an, bodenständig, um nicht zu sagen äußerst schlicht.
Vom Mythos der Vergangenheit ist wenig übrig
Der Imagewandel des FC Liverpool
Doch ebenso wenig hat es in Liverpool verwundert, dass ebenjenes Video viral ging, Sheehy plötzlich zu einem Kult-Fan emporstieg und nicht nur ein professionell produziertes Musikvideo bekam (über 17 Millionen Aufrufe) und bei Liverpools Meisterfeier 2018 auftreten durfte, sondern auch eine besondere Beziehung zu Jürgen Klopp aufbaute.
Einmal fragte er Klopp in einem Interview, ob er denn das für Philippe Coutinho eingenommene Geld in neue Spieler oder in Bitcoin investieren wolle. Er habe gehört, einige Freunde hätten damit eine Menge Geld verdient. Scherzhaft natürlich, aber die Essenz ist – auch mit einem Augenzwinkern - klar: In Liverpool ist der Ruf des Geldes längst angekommen.
Klopp: „Wenn du einen Spieler für 100 Millionen kaufst…“
Kaum noch etwas ist übrig von dem Mythos des vergangenen Jahrhunderts, in dem der eng mit der Arbeiterklasse verwobene Klub in der Stadt an der Irischen See noch gegen die finanzstarke Konkurrenz anzukämpfen hatte. Spätestens mit dem Einstieg der US-Eigentümergemeinschaft, der Fenway Sports Group, im Jahr 2010 war das längst passé, das wussten auch alle. Und doch ertönt heute, 15 Jahre später, das Echo des Geldrufes lauter denn je…
Dem Ruf des Geldes ist übrigens inzwischen auch Klopp selbst gefolgt. Als Head of Global Soccer bei Red Bull dürfte der einst in Dortmund und Mainz so abgekultete Trainer ein ordentliches Salär einstreichen, frühere Statements hatte er schon selbst revidieren müssen.
2016 beispielsweise hieß es noch: „Wenn du einen Spieler für 100 Millionen kaufst und der sich verletzt, kannst du alles in den Kamin schmeißen. An dem Tag, an dem das Fußball ist, werde ich meinen Job nicht mehr machen.“ Später nahm Klopp die Aussagen zurück, im Juli sagte er im Gespräch mit der Welt endgültig bekehrt: „Ich weiß, ich habe einmal gesagt, dass ich raus bin, wenn wir 100 Millionen Euro für einen Spieler zahlen. Aber die Welt verändert sich. So ist der Markt nun mal.“
Premier League: Liverpool knackt Transfer-Rekord
Und so muss man sich wohl auch in Liverpool von kapitalorientierten Marktgewohnheiten treiben lassen. Nahezu eine halbe Milliarde Euro wanderte in diesem Transfersommer von Liverpool aus über die Ladentheke.
144 Millionen Euro flossen nach Newcastle für Alexander Isak, neuer Rekord-Transfer der Premier League. Dazu überwiesen die Reds 125 Millionen Euro nach Leverkusen für Florian Wirtz, 95 Millionen Euro für Hugo Ekitiké nach Frankfurt, 47 Millionen Euro für Milos Kerkez nach Bournemouth, 40 Millionen Euro für Jeremie Frimpong ebenfalls nach Leverkusen und 31 Millionen Euro für Giovanni Leoni nach Parma.
Liverpool tätigte allein in diesem Sommer drei Transfers, die mindestens genauso teuer waren wie der teuerste Bundesliga-Transfer jemals!
Dass man in Liverpool inzwischen über Financial Fairplay spricht, während das noch vor ein paar Jahren ein exklusiver Fall für den scheichgesponserten großen Ligakonkurrenten aus dem himmelblauen Teil Manchesters oder die Blues aus London schien, ist normal geworden.
Zwar halten die Reds die Rentabilitäts- und Nachhaltigkeitsregeln der Premier League, vergleichbar mit den von der UEFA vorgegebenen Finanzregeln, ein, wonach ein Klub über eine Zeitspanne von drei Jahren hinweg „nur“ rund 120 Millionen Euro Minus machen darf.
Kann sich der FC Liverpool so einen Transfer-Sommer leisten?
Denn Liverpool hat zwar knapp 500 Millionen Euro ausgegeben, um die Mannschaft von Arne Slot weiter zu stärken, jedoch mit den Verkäufen von Luis Díaz, Darwin Nunez und Co. auch über 200 Millionen Euro eingenommen, TV-Gelder in unerhörten Größenordnungen abgesahnt und noch im Frühjahr die Premier League gewonnen, was noch einmal rund 200 Millionen Euro in die Kassen spülte.
Ein neuer Ausrüster-Vertrag mit Adidas, eine Stadionaufrüstung um rund 7.000 Plätze und Schwups klingt alles nach einem finanziell darstellbaren Modell.
Doch von dem Image einer sozial geprägten Industrie- und Hafenstadt mit den unzähligen einfachen Arbeitern und den Reds, die sich mit ihren Anhängern verbrüderten, Schulter an Schulter, und bis aufs Blut gegen die übermächtigen Klubs aus Manchester oder der Hauptstadt ankämpften, ist nicht mehr viel übrig. Und eine Vereinslegende wusste das schon früher.
Bill Shankly, der den Verein selbst mit einem Führungsansatz des kollektiven Zusammenhalts steuerte und zu einer englischen Spitzenmannschaft formte, sagte einmal: „Einige Leute halten Fußball für einen Kampf um Leben und Tod. Ich versichere Ihnen, dass es weit ernster ist!“
Klar. Denn wenn es ums Geld geht, versteht man bekanntlich keinen Spaß mehr.