Auf diesen Quantensprung war nicht einmal sein Trainer vorbereitet. Als Heiko Gussmann beim ISTAF Indoor in Berlin seine 60-Meter-Bestzeit um unglaubliche 26 Hundertstel auf 6,57 Sekunden verbesserte, herrschte allerorts Fassungslosigkeit.
Deutscher mischt Sprint-Szene auf
„Die Zeit hat mich sehr überrascht, auch den Sieg hatte ich gar nicht im Blick“, sagt der Aufsteiger des Winters bei SPORT1. „Auch dass ich mit solch einer Zeit in die Hallensaison einsteigen würde, war nicht zu erwarten. Eine persönliche Bestzeit schon, aber keine Zeit unter 6,60 Sekunden. Das hat nicht mal mein Trainer erwartet.“
Sein Coach ist David Corell, der das Sprintteam Wetzlar mit Lisa Mayer, der Olympiadritten in der Staffel, und Top-Sprinter Kevin Kranz seit Jahren betreut. Gussmann schloss sich im vergangenen Jahr dem Team an - und er erntet nun die ersten Früchte.
„Ich habe elf, zwölf Kilo Muskelmasse zugelegt“
„Im Training schaukelt man sich hoch“, erklärt Gussmann. „Manchmal muss uns der Trainer bremsen, weil wir zu schnell sind. Aber es ist für uns beide ein Vorteil. Kevin ist froh, so einen starken Trainingskollegen zu haben.“
Dabei profitiert der 20-Jährige sichtbar vom Krafttraining. „Letztes Jahr hatte ich beim Umsetzen an der Hantel schon mit 60 Kilo ein Problem, aber jetzt kriege ich auch 75 oder 80 Kilo entspannt hin“, verrät er. „Seit meinem Umzug habe ich elf, zwölf Kilo an Muskelmasse zugelegt.“
Aus dem schmächtigen Bürschchen ist ein schnellkräftiger Sprinter geworden, der mit seinem Turboantritt die nationale Elite auch im Sommer aufmischen will. 10,34 Sekunden stehen noch als Bestwert über 100 Meter, gelaufen im Sommer 2023.
Da scheint es nicht unrealistisch, dass Gussmann auch diese Zeit ordentlich drücken wird, wenn die Freiluftsaison beginnt. „Realistisch betrachtet, möchte ich unter 10,20 Sekunden kommen, das wäre mein Wunsch.“
Verletzungspech bei der Hallen-DM
Pech hatte der Youngster bei der Hallen-DM in Dortmund, wo er verletzungsbedingt auf den Finallauf verzichtete. „Das war eine Vorsichtsmaßnahme, weil ich ein Ziehen in den Adduktoren hatte“, schildert Gussmann. Strukturell sei aber nichts kaputt gegangen.
Dass die am Donnerstag beginnende Hallen-EM im niederländischen Apeldoorn kein Thema sein würde, war schon vor der Hallen-DM klar. Gussmann bereitet sich schon auf die Aufgaben im Sommer vor, mit der U23-EM im norwegischen Bergen als Höhepunkt.
„Da ist mein Ziel, im Einzel anzutreten und aufs Treppchen zu kommen. Und in der Staffel haben wir gute Chancen, sogar Gold zu holen.“ Weil Gussmann mit seinen 6,57 Sekunden den U23-Europarekord, der Anfang des Jahres neu eingeführt wurde, knackte, dürfte er tatsächlich als Medaillenkandidat gelten.
Um dann auch bei den Großen anzugreifen? Sicher ist: In der zuletzt starken deutschen Sprint-Szene hat sich Gussmann in dieser Hallensaison einen Namen gemacht.
Gussmann träumt von Olympia 2028
Spannend wird sein, wie er sich beispielsweise gegen Owen Ansah, dem ersten DLV-Sprinter, der die Zehn-Sekunden-Schallmauer unterbot, schlägt. Unter zehn Sekunden zu laufen ist auch für den gebürtigen Badener „ein Ziel, langfristig gesehen.“
Mit einer solchen Zeit würde auch das größte Ziel von Heiko Gussmann näherrücken: „Mein Traum sind die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles. Einzelstart wäre schön, Staffel sollte auf jeden Fall drin sein.“
Geschmack fand er bereits im vergangenen Sommer, als er mit der deutschen 4x100-Meter-Staffel bei der U20-EM in Jerusalem Bronze holte. „Ich weiß noch, wie überrascht ich war, dass wir am Ende noch Dritte wurden“, erinnert sich Gussmann. „Es war ein schwieriger Wechsel, als ich den Stab abgeben musste. Mein Vordermann ist ein bisschen zu früh losgerannt, sodass ich zu kämpfen hatte, hinterherzukommen.“
Zu diesem Zeitpunkt war der jetzige Quantensprung noch nicht zu erahnen - nicht einmal für seinen Trainer.