Es gibt Bilder, die ihre Zeit lange überdauern. Wie das von Luz Long und Jesse Owens vom 4. August 1936 aus dem Berliner Olympiastadion.
Legendäres Foto mit tragischer Story
Die Fotografin und Regisseurin Leni Riefenstahl hat die beiden Sportler festgehalten, wie sie sich auf dem Bauch liegend unterhalten. Ausgerechnet die Schöpferin der berühmtesten NS-Propagandawerke hielt damit auch einen ikonischen Moment fest, der bis heute an den Schulen und Universitäten als Musterbeispiel für außerordentlich fairen sportlichen Umgang in politisch aufgeladenen Zeiten in den Büchern gelehrt wird.
Long, der heute vor 112 Jahren geborene Top-Athlet aus dem rassistisch regierten Nazi-Deutschland und der afroamerikanische Star aus den USA, die sich vor den Augen von Adolf Hitler zueinander verhalten wie gute Kumpels: Was für eine Geschichte. Wobei sie etwas komplizierter war, als sie oft erzählt wurde - und tragisch endete.
Jesse Owens: Der ungewollte Star von Hitlers Spielen
Man muss sich vor Augen führen, was der Kontext der Begegnung von Long und Owens war: Mit einem gewaltigen Aufwand inszenierte die Nationalsozialistische Partei Deutschlands (NSDAP) die Olympischen Spiele und wollten den sportlichen Wettkampf einerseits nutzen, um der Welt ein freundliches Gesicht des mörderischen Regimes zu zeigen - andererseits aber natürlich auch, um die von ihr propagierte Überlegenheit der arischen „Herrenrasse“ über den Rest der Welt zu präsentieren.
Tatsächlich brillierten die deutschen Athleten und räumten 36 Goldmedaillen ab. Kein anderes Land kam an diese Marke heran. Trotzdem zog ausgerechnet ein dunkelhäutiger Sportler mehr Blicke als alle anderen auf sich und sorgte auch beim deutschen Publikum für Jubelstürme: Jesse Owens.
Im Jahr zuvor unterbot der Ausnahmesportler aus den USA bei einem Wettkampf innerhalb von weniger als einer Stunde fünf Weltrekorde. Und auch in Berlin war er nicht zu schlagen. Owens, damals ein 22 Jahre junger Student, siegte bei den 100 und 200 Metern sowie in der Staffel.
Doch im Weitsprung hatte er mit Luz Long einen herausragenden Gegner.
Long und Owens verstanden sich trotz der Gegensätze gut
Der damals 23 Jahre Leipziger (eigentlich: Carl Ludwig Hermann Long) war der beste Europäer seiner Disziplin.
Der Student und angehende Jurist aus gutem Elternhaus galt als filigraner Techniker, der alle Ideale der Nationalsozialisten erfüllte - und auch keinesfalls ein Regimegegner war: Nach Olympia trat Long in den NS-Studentenbund und die SA ein, 1940 auch in die NSDAP.
Die Ideologie war das eine, die persönliche Begegnung mit Owens im Kontext des sportlichen Wettkampfs das andere: Er und Long verstanden sich gut und zeigten während ihres Duells ein faires und freundschaftliches Miteinander.
Freundschaftliche Umarmung nach Owens' Sieg
Im Finale sicherte sich der US-Amerikaner mit einem Sprung auf 8,06 Meter den Sieg. Long belegte mit 7,87 Metern Rang zwei. Long lief danach freudestrahlend in die Sandgrube zu Owens und umarmte ihn innig - immer noch im Blickfeld der Führerloge.
In der Neuen Leipziger Zeitung beschrieb Long nach dem Wettkampf die Szene: „Frei von Konkurrenzangst springt er, fliegt und landet unter Jubelschrei der Menge bei 8,06 Metern. Diese fast märchenhafte Weite bei diesem Wetter. Ich kann nicht anders, ich laufe zu ihm, bin der Erste, der ihn beglückwünscht, umarmt. Er antwortete mir: ‘You forced me, to give my best!’ Es ist für mich die höchste Anerkennung eines Sportsmannes, ihn zum Äußersten gezwungen zu haben.“
Die Szene hinterließ er auch bei Owens Jahre später noch großen Eindruck: „Selbst wenn man alle meine Medaillen und Pokale einschmelzen würde, könnten sie die 24-Karat-Freundschaft, die ich in diesem Moment für Luz Long empfand, kein bisschen goldener machen. Hitler muss wahnsinnig geworden sein, als wir uns umarmten.“
Eine Legende, die wohl nicht wahr ist
Um Owens und Long rankt sich bis heute eine noch weiter gehende Legende. Demnach stand Owens nach zwei ungültigen Versuchen in der Qualifikation kurz vor der riesigen Enttäuschung - und soll Hilfe von Long bekommen haben: “Warum legst du nicht ein Handtuch einen Fuß vor die Absprungmarke und nimmst das als Absprungpunkt?“, soll der gebürtige Leipziger seinem Konkurrenten gesagt haben. Das erklärte jedenfalls Owens bis zu seinem Tod 1980. Doch der Amerikaner deutete auch immer wieder an, dass er die nicht von weiteren Quellen gedeckte Geschichte erfunden hat, um die Erzählung um ihn und Long auszuschmücken.
Zu erwähnen ist auch, dass Owens im Olympia-Jahr 1936 nicht nur von Long, sondern auch von der freundlichen Fassade der Spiele im Allgemeinen durchaus eingenommen war: Owens - der das Ereignis anfangs boykottieren wollte - dementierte damals Medienberichte, dass Hitler ihn nach seinen Siegen absichtlich geschnitten hätte und hielt sich mit Kritik am Gastgeberland zurück.
Letzter Brief an Owens wohl auch ein Fake
Aus der emotionalen Begegnung zwischen Owens und Long konnte sich derweil keine echte Freundschaft bilden, anders als aus der der beiden Box-Ikonen Max Schmeling und Joe Louis nach ihrem Kampf im selben Jahr.
Owens und Long sahen sich nach diesem Tag in Berlin 1936 nie wieder, der Zweite Weltkrieg machte die Chance auf eine zweite Begegnung endgültig zunichte: Long kämpfte als Soldat auf der Seite der Achsenmächte und fiel am 14. Juli 1943: Bei der Einnahme Siziliens durch die Alliierten erlitt Long einen Oberschenkelschuss, an deren Folgen er in britischer Kriegsgefangenschaft starb.
Rund um seinen Tod gibt es bis heute eine weitere Legende um Long und Owens. So soll der deutsche Fairness-Held einen emotionalen letzten Brief von der Front an seinen „Bruder” Owens geschickt haben, in dem er die Freundschaft und die Völkerverständigung beschworen haben soll. Der Brief ist allem Anschein nach aber eine Fälschung.
Familien sind bis heute verbunden
Realität ist allerdings, dass sich in der Nachkriegszeit aus der symbolisch aufgeladenen Begegnung zwischen Long und Owens ein gutes Verhältnis der Familien beider entwickelt hat.
Longs Enkelin Julia Kellner-Long eröffnete 2009 das Berliner Olympiastadion gemeinsam mit Owens‘ Enkelin Marlene Dortch nach dessen Renovierung. Und bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris nahmen die beiden für ihre Großväter posthum die Auszeichnung „Olympians for Life“ entgegen.
Die Silbermedaille von damals hat die Familie übrigens verkauft. 2022 wurde das Edelmetall an ein spezialisiertes Auktionshaus in den USA gegeben und brachte 488.000 Dollar ein. Die Auktion trug den Titel „Beacon of Hope“ – Leuchtfeuer der Hoffnung.