In der deutschen Leichtathletik ist es seit einiger Zeit eine leichte Fingerübung, wenn es bei Großveranstaltungen darum geht, die eingeheimsten Medaillen zu zählen.
Der Lauf, der alles verändert
Viermal Edelmetall war zuletzt die Ausbeute bei Olympia in Paris, was zumindest eine Steigerung zu den vergangenen Weltmeisterschaften bedeutete. Dabei ist augenfällig, dass der DLV bei den Junioren noch immer regelmäßig zu den besten Nationen gehört, zumindest auf europäischer Ebene.
In der Übergangszeit zum Erwachsenenbereich schaffen allerdings viele Talente nicht den erforderlichen Leistungssprung und verschwinden so schnell von der Bildfläche, wie sie dort aufgetaucht sind.
Auf den Spuren von Leo Neugebauer
Dass jemand den Weg andersherum einschlägt, ist alles andere als alltäglich – und doch ist die deutschen Läuferin Smilla Kolbe gerade drauf und dran, sich von einem unauffälligen Youngster zu einer möglichen Medaillenkandidatin bei künftigen Titelkämpfen zu entwickeln.
Als Kolbe sich vor dreieinhalb Jahren an einem College in Mississippi einschrieb, um ihr Glück in den USA zu versuchen, war die damals 20-Jährige hierzulande noch ein unbeschriebenes Blatt.
Neben ihrem Studium der Psychologie war sie vor allem deswegen in die Vereinigten Staaten gegangen, um als Leichtathletin die nächsten Schritte zu gehen – so wie es etwa Zehnkampf-Star Leo Neugebauer vorgemacht hatte.
So richtig Aufmerksamkeit erregte sie allerdings erst im Trikot der University of North Florida, in die sie 2023 gewechselt war – der nächste und entscheidende Schritt, um endgültig durchzustarten.
Im vergangenen Jahr drückte sie bereits ihre Bestzeit in die Nähe der magischen Zwei-Minuten-Grenze, die über 800 Meter als Eingangstor in die erweiterte Weltklasse gilt.
Doch das war erst der Anfang: Nach einer beeindruckenden Hallensaison sorgte Kolbe am vergangenen Samstag für einen echten Paukenschlag bei ihrem ersten Rennen der Sommersaison.
„Ein Heimspiel: “Kolbe knackt Schallmauer
Bei einem Wettkampf in ihrem Standort Jacksonville knackte sie in 1:59,02 Minuten die besagte Schallmauer – und dies gänzlich ohne Windschatten.
„Ich wusste, dass es irgendwann passiert. Es war ein Heimspiel, ich bin allein vorneweg gelaufen“, sagt Kolbe im Gespräch mit SPORT1.
Dabei ist der Formaufbau verständlicherweise gar nicht darauf angelegt, schon im Frühjahr derlei Zeiten auf die Laufbahn zu bringen. „Die wichtigen Wettkämpfe kommen erst in zwei Monaten, deswegen sind wir eigentlich noch gar nicht in der echten Rennform“, berichtet sie.
Entsprechend locker sei sie ins Rennen gestartet: „Ich dachte: ‚Lass einfach mal gucken, was rauskommt‘ – und es scheint auf jeden Fall gut zu sein.“
Schneller als Konstanze Klosterhalfen
Wie besonders ihr Auftritt war, verdeutlicht ein Blick in die Statistik: Kolbe, die in Deutschland für Eintracht Frankfurt startet, ist erst die sechste deutsche Läuferin, die in den vergangenen zehn Jahren die Zwei-Minuten-Marke unterbieten konnten.
Mit Fabienne Kohlmann (2015; 1:58,34 Minuten), Majtie Kolberg (2024; 1:58,52 Minuten) und Katharina Trost (2021; 1:58,68 Minuten) waren in diesem Zeitraum nur drei DLV-Athletinnen schneller. Die persönliche Bestzeit von DLV-Star Konstanze Klosterhalfen (1:59,20 Minuten), die aus dem Jahr 2016 stammt, unterbot sie sogar um 18 Hundertstel.
„Ich war überrascht, dass ich so deutlich unter den zwei Minuten war“, sagt Kolbe. “Man trainiert die ganze Zeit darauf hin, stellt es sich vor – aber das finale Ergebnis schwarz auf weiß zu sehen, war dann noch etwas anderes.“
Neben ihrem Coach Jeff Pigg („Ich habe einen tollen Trainer gefunden, mit dem es zwischenmenschlich extrem gut funktioniert. Wir vertrauen uns blind“), gibt Kolbe auch ihrem Studium einen gewissen Anteil am Erfolg.
„Dass es jetzt geklappt hat, ist megacool. Aber in meinem Kopf ist es sowieso schon oft passiert. Ich glaube, dass da mental viel reinspielt. Ich studiere Psychologie und wende das auch bei mir selbst an“, schmunzelt sie.
Die vergangene Saison habe ihr so viel Selbstbewusstsein gegeben, dass sie sich nun problemlos solche Ziele setzen könne.
Olympia 2028 in Los Angeles im Hinterkopf
Apropos Ziele – da hat sie bereits die Spiele 2028 in Los Angeles im Hinterkopf, den Rest lässt sie auf sich zukommen. „Olympia ist mein großes Ziel, bei allem anderen auf dem Weg dahin habe ich noch nicht so die wilden Pläne“, gesteht Kolbe.
Dennoch wolle sie im kommenden Sommer endlich auch in ihrer Heimat zeigen, was in ihr steckt. „Ich hatte noch nie ein Deutschland-Dress an und habe noch nicht einmal eine Medaille bei Deutschen Meisterschaften geholt. Da ist auf jeden Fall noch einiges nachzuholen.“
Gut möglich, dass sie ihre Premiere im Nationaltrikot bei der WM in Tokio feiern wird, die im September stattfindet. „Die WM-Norm ist nur 0,02 Sekunden entfernt, die will ich auf jeden Fall laufen.“
Zunächst hat die 23-Jährige aber vor, in ihrer Wahlheimat weiterhin für Furore sorgen. Das große Ziel sind die Nationals in Oregon Anfang Juni, für die sie sich erst noch qualifizieren muss.
„Bei den Regionals muss man durch mehrere Runden durchgehen, das ist alles andere als einfach und ein bisschen anders als in Deutschland. Hier lernt man wirklich, wie man Wettkämpfe läuft“, erklärt Kolbe. „Da geht’s dann nicht um die Zeit, sondern du musst mehrere Male auf den Punkt abliefern.“
Bis es soweit ist, kann Smilla Kolbe noch weiter an ihrem Formaufbau feilen – und das gute Wetter in Florida genießen. So wie am Sonntag, als sie auf Instagram ein Strandbild bei Instagram postete. Auf ihrer Haut zu sehen war eine mit Sonnencreme geschriebene 1:59.