Wer die deutschen Leichtathletik-Meisterschaften verfolgte, rieb sich das ein oder andere Mal verwundert die Augen. In den Siegerlisten oft weit vorne waren nicht etwa Athletinnen und Athleten der arrivierten Leichtathletikvereine, sondern immer wieder Sportler von Cologne Athletics.
Ein spektakuläres Projekt, das nicht jedem gefällt
Spektakuläres Projekt sorgt für Aufsehen
So krönte sich beispielsweise Hochsprung-Star Tobias Potye im Trikot des jungen Vereins zum Deutschen Meister. Auch Mohamed Abdilaahi, der einen neuen 5.000-Meter-Rekord erlief, ging für die Cologne Athletics an den Start.
Die beiden sind aber nicht die einzigen Top-Leichtathleten, die in Dresden im Trikot des neuen Vereins zu sehen waren - auch auf die Olympia-Starterinnen Imke Onnen oder Alexandra Burghardt trifft dies zu.
Doch was hat es mit dem neuen Projekt auf sich? Initiator ist der ehemalige Hammerwerfer und Unternehmer Claus Dethloff, der mit Bereitschaft und viel Eigenkapital den Leichtathletik-Sport wieder bedeutsamer machen will.
Germany Athletics lockt die großen Namen
„Der DLV (Deutscher Leichtathletik Verband) ist keine attraktive Marke für die Wirtschaft“, sagte Dethloff der Deutschen Presse-Agentur: „Ich will was in die Gänge bringen.“
Cologne Athletics steht beispielhaft für einen Stammverein, dahinter steckt ein simples Konzept: Städtename plus Standort, pro Metropole jeweils ein Verein. Neun Vereine gibt es schon im „Germany Athletics“-Universum. Dazu gehören unter anderem Frankfurt Athletics, Düsseldorf Athletics oder Hamburg Athletics.
Ziel des Franchise-Konzepts: sportliche Erfolge erzielen und gleichzeitig möglichst die großen Namen des Sports anlocken.
Gerade zweiterer Aspekt funktioniert derzeit bereits sehr gut und führt gleichzeitig zu großem Ärger bei der Konkurrenz, den etablierten Top-Adressen in der deutschen Leichtathletik-Szene.
Leichtathletik-Vereine beklagen Abwerben von Sportlern
„Konkurrenz kann produktiv sein - wenn sie fair ist. In diesem Fall erleben wir jedoch ein Modell, das versucht, sich einen Vorsprung durch den Zugriff auf bereits fertig entwickelte Athleten und Athletinnen zu verschaffen“, sagte Julia Riedl, Geschäftsführerin der LG Stadtwerke München, der Sportschau.
Diesen Vorwurf will Dethloff, selbst zweimal bei Olympia dabei, so nicht stehen lassen. Er erklärte in der Süddeutschen Zeitung: „Die Sportler kamen bisher alle von sich aus auf uns zu“. Die Vereine hätten es bisher verpasst, die Sportler angemessen zu vermarkten. Bei ihm würde dies nun anders laufen.
So oder so haben die Abgänge für die Vereine weitreichende Folgen, wie Jacob Minah, Präsident der LG Stadtwerke München, gegenüber der dpa erklärte: „Vereine sind nur dann erfolgreich, wenn sie auch vor Ort Unterstützung erfahren – und die hängt stark von den Erfolgen der Topathleten ab.“
Die Münchener verloren mit den Hochspringern Tobias Potye und Tim Kraus sowie in Sprinter Yannick Wolf gleich drei erfolgreiche Sportler. Ohne die Top-Athleten und die Erfolge dieser dürfte es in Zukunft noch schwerer werden, attraktiv für Sponsoren zu sein, befürchtet Minah.
Zudem könne die Anziehungskraft auf junge Sportlerinnen und Sportler sinken, wenn ihre Idole nicht mehr im Verein aktiv sind. Die Abgänge von Top-Athleten könnten zur Folge haben, dass sich lokale Vereine aus der Leichtathletik zurückziehen.
Leichtathleten dauerhaft finanziell abgesichert
Hochspringer Potye startete lange für den Münchner Klub und kann die Enttäuschung und Trauer „mancher Leute“ nachvollziehen. „Für mich war das die richtige Entscheidung“, sagte der EM-Zweite von 2022 in Dresden: „Mit Munich Athletics hat sich die Perspektive für mich aufgetan, die ich gehen wollte, und das werde ich jetzt auch im Herbst tun.“
Gleiches gilt für sein Pendant bei den Damen. Auch Imke Onnen schloss sich einem lokalen Team von Germany Athletics an und verbesserte gleich nach fünf Jahren erstmals ihre Bestleistung auf 1,97 Meter. „Da haben nicht mehr so viele dran geglaubt“, sagte die 30-Jährige der Süddeutschen Zeitung.
Einer der Hauptgründe für diese Steigerung seien ganz klar die neuen Bedingungen im Team von Dethloff. „Er kann sich sehr gut in Athleten hineinversetzen und weiß, wie wichtig Konstanz für sie ist“, erklärte Onnen.
Diese Konstanz hat die Hochspringerin jetzt speziell in Form von stetiger finanzieller Unterstützung. Früher hätte sie nur von Jahr zu Jahr planen können, da das deutsche Fördersystem an Leistungen geknüpft sei. Das ist bei Dethloff anders. „Wenn ich mich jetzt verletzen sollte, weiß ich, ich habe ein Backup aus Ratschlägen einerseits, aber eben auch in finanzieller Hinsicht.“
In ihrem täglichen Training habe sich zwar nicht viel geändert, sie trainiere noch immer in Hannover mit ihrer Mutter als Trainerin. Ein Trainingslager, um an Details zu arbeiten, sei nun aber deutlich entspannter möglich: „Ich investiere in diesem Jahr das, was ich benötige, um besser zu werden. Die Möglichkeit war vorher gar nicht gegeben.“
Kooperation mit Dubai sorgt für Fragezeichen
Aktuell scheint sich das Konzept von Dethloff voll auszuzahlen. Die Athletinnen und Athleten können sich voll auf ihre Leistungen fokussieren und sportlich abliefern. Fragezeichen umgeben jedoch die Nachhaltigkeit der Finanzierung - insbesondere eine viel diskutierte Zusammenarbeit zwischen Germany Athletics und dem Leichtathletikverband der Vereinigten Arabischen Emirate.
Die Kooperation sei nur für die Vernetzung der Athleten gedacht, betonte Dethloff. Das Geld für sein Projekt stamme nur aus Deutschland und nicht etwa aus Dubai. Die Zusammenarbeit solle seinen Athleten ermöglichen, für internationale Meetings gebucht zu werden, was ohne erfahrenen Manager kaum noch möglich sei.
„Das ist eine große Chance für viele Athleten, überhaupt in solche Wettkämpfe reinzukommen“, sagte auch Onnen der SZ. Bei diesen Events könnten die Athleten dann wichtige Punkte sammeln, um sich für internationale Meisterschaften zu qualifizieren.
Dass die Zusammenarbeit mit dem Verband eines Staates, in dem Menschenrechte immer wieder verletzt werden, verwerflich sein könnte, ist für Dethloff kein großes Thema: „Wir sollten uns nicht zurückziehen und schimpfen, sondern aufeinander zugehen, dann haben wir die größte Möglichkeit einer Einflussnahme. Das gilt für beide Seiten.“
Dethloff will sein Projekt durchziehen, seine Leichtathleten scheinen davon sehr zu profitieren. Fraglich bleibt allerdings, ob wirklich der gesamte Sport einen Schub erhält - oder nur ausgewählte Athletinnen und Athleten profitieren.
Der DLV zeigt sich zumindest offen, was das neue Vereinsgebilde angeht. Der Vorstandsvorsitzende Idriss Gonschinska stellte zwar gegenüber der dpa klar, dass es noch keinen Austausch mit Dethloff gegeben habe, betonte aber: „Jeder, der sich für unseren Sport einbringt, ist willkommen. Und dann müssen wir herausfinden: Wo gibt es Schnittstellen und wo nicht?“