Malaika Mihambo ist seit vielen Jahren das wohl größte Aushängeschild der deutschen Leichtathletik. Die 31 Jahre alte Weitspringerin gilt auch für die anstehende Weltmeisterschaften in Tokio (13 . – 21. September) als sichere Bank für eine Medaille, auch wenn der bisherige Saisonverlauf noch etwas holprig war.
"Wir steuern sonst sehenden Auges auf eine Katastrophe zu"
„Steuern sonst auf Katastrophe zu“
Bei SPORT1 blickt Mihambo optimistisch auf die Titelkämpfe und beurteilt den aktuellen Zustand der deutschen Leichtathletik. Die Studentin der Umweltwissenschaften zeichnet darüber hinaus ein düsteres Bild von den künftigen Lebensbedingungen auf der Erde, falls politisch nicht schnell gegengesteuert wird.
SPORT1: Frau Mihambo, Sie sind in Dresden erneut Deutsche Meisterin geworden und hatten in der bisherigen Freiluftsaison einen Sieben-Meter-Sprung. Beim Diamond-League-Meeting in Chorzow wurden Sie dagegen nur Vierte. Läuft vor der WM in Tokio trotzdem alles nach Plan?
Mihambo: Ich bin sehr zufrieden. Wir setzen den Saisonhöhepunkt immer so, dass ich erst beim wichtigsten Wettkampf in Topform bin, und der wird in Tokio sein. Von daher war das bislang noch nicht der Fall - und es lief trotzdem sehr gut. Ich bin so schnell wie selten, zumindest wurde es so bei den Deutschen Meisterschaften gemessen. Da habe ich meine Bestleistung eingestellt, was die Anlaufgeschwindigkeit angeht. Wir sind auf einem sehr guten Weg und haben noch gar nicht alle Trainingsmittel ausgereizt. Ich bin also sehr zuversichtlich und freue mich schon auf den Wettkampf in Tokio.
Mihambo noch von Beschwerden geplagt
SPORT1: Sie hatten vor einiger Zeit Probleme mit dem Oberschenkel. Ist die Blessur ausgeheilt?
Mihambo: Es ist noch nicht komplett weg, aber ich hoffe, dass sich das in den nächsten Wochen gibt. Momentan kann ich sehr gut trainieren und habe keine großen Einschränkungen dadurch.
SPORT1: Bei der WM werden Sie wieder in dem Stadion springen, in dem Sie 2021 Olympiasiegerin wurden. Macht das etwas mit Ihnen?
Mihambo: Ich habe natürlich noch eine schöne Erinnerung an die Spiele. Gleichzeitig ist dieser Wettkampf aber abgekoppelt und losgelöst davon. Deswegen versuche ich mich auf das zu konzentrieren, was dieses Jahr ansteht. Man fängt quasi bei Null an und muss dann versuchen, im Finale seine Leistung zu erarbeiten, um die Platzierung zu erreichen, die man anstrebt.
SPORT1: In Ihren Wettkämpfen hatten Sie wiederholt Probleme, den Balken genau zu treffen. Etliche Versuche in dieser Saison waren übergetreten. Woran liegt das?
Mihambo: Es gibt verschiedene Arten von Fehlversuchen. Wir orientieren uns immer an der Zwischenmarke. Man kann sie überlaufen und Fehlversuche haben, man kann aber auch optimal bei oder zu weit weg von der Zwischenmarke sein und trotzdem Fehlversuche haben. Da muss man einfach schauen, wo man gerade steht. Spannenderweise ist meine Anlaufgenauigkeit sehr konstant und es waren in letzter Zeit eher die letzten Schritte, die das „Problem“ waren. Aber das lässt sich im Training zum Beispiel mit Hütchen am Brett beheben, wo man gezwungen wird, kurze Schritte perfekt aufs Brett zu setzen.
Neue Regularien für Olympia?
SPORT1: Apropos Brett: In der Hallensaison wurde die sogenannte Take-off-Zone getestet, durch die Fehlversuche minimiert werden sollen. Sie hatten sich damals offen dafür gezeigt, während viele andere dagegen waren. Hat sich Ihre Position ein halbes Jahr später verändert?
Mihambo: Aus meiner Perspektive hat sich nicht viel geändert. Ich habe es ausprobiert und kann sagen, dass es sich für mich exakt so anfühlt wie jeder andere Wettkampf auch. Ob die Einführung sinnvoll ist und welche technischen Vorbereitungen es dafür braucht, steht auf einem anderen Blatt. World Athletics muss sich Gedanken machen, ob sie das einführen wollen oder nicht.
SPORT1: Womöglich finden die Olympischen Spiele in Los Angeles 2028 dann mit der neuen Take-off-Zone statt. Ist es denkbar, dass Sie noch bis dahin weitermachen?
Mihambo: Ja, das ist denkbar.
„Das sollte man auch wertschätzen“
SPORT1: Blicken wir mal auf die gesamte deutsche Leichtathletik. DLV-Sportvorstand Jörg Bügner hatte vor knapp zwei Jahren die Devise ausgegeben, Deutschland müsse sich bis 2028 weltweit in den Top 5 etablieren. Ist dieses Ziel überhaupt noch erreichbar?
Mihambo: Das wäre natürlich schön, wenn man dies erreichen würde. Es würde mich für die deutsche Leichtathletik und vor allem die Athleten sehr freuen. Gleichzeitig gibt es da noch viel zu tun. Wir hatten zwar eine sehr starke U23-EM, was zeigt, dass der Pool an Athleten, die den Sprung bis spätestens 2028 schaffen können, da ist. Das gibt viel Rückenwind und Selbstvertrauen, allerdings müssen sie durchhalten und gesund bleiben - und es müssen die Rahmenbedingungen so gesetzt sein, dass dies möglich ist.
SPORT1: Derzeit scheint das aber mit den aktuellen Rahmenbedingungen eher schwierig zu sein, oder?
Mihambo: Das kann ich nicht beurteilen. Ich weiß aber natürlich, dass es vor allem etwas ältere Athleten gibt, die Teil- oder sogar Vollzeit arbeiten müssen, wenn sie nicht beim Militär oder bei der Polizei sind. Ich finde, dass es schon eine Leistung ist, sich überhaupt für eine WM zu qualifizieren. Das sollte man auch wertschätzen.
SPORT1: Abseits des Sports setzen Sie sich unter anderem für soziale und ökologische Projekte ein, vor allem auch für Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Was geht ihnen durch bei aktuellen Nachrichten zu dem Thema - etwa die Beendigung der Regulierung von Treibhausgasen durch die Trump-Regierung in den USA?
Mihambo: Das ist natürlich sehr bedenklich, weil das jeglicher Realität entbehrt, wenn man solche Beschlüsse trifft. Weltweit liegt der Ressourcenverbrauch aktuell bei etwa 1,7 Erden. Das heißt, wir nutzen pro Jahr 70 Prozent mehr als die Erde nachhaltig bereitstellen kann. Wäre der Verbrauch überall so hoch wie in Deutschland, bräuchten wir sogar rund drei Erden. So viele Erden haben wir aber nicht. Von daher ist das einfach irrational und ich hoffe, dass solche Beschlüsse schnellstmöglich revidiert werden. Sonst steuern wir sehenden Auges auf eine Katastrophe zu.