Leichtathletik>

Leichtathletik: Warum deutsche Stars in die USA flüchten!

Goodbye Germany

Immer mehr deutsche Athleten ziehen in die USA, um unter optimalen Bedingungen zu trainieren. Leo Neugebauer und Co. zeigen, warum sich der Sprung über den Atlantik oft auszahlt.
Die Leichtathletik-WM findet dieses Jahr in Tokio statt. Wie oft gibt es Gold zu gewinnen? Welche Prämien werden gezahlt? Die wichtigsten Fragen und Antworten zur WM.
Immer mehr deutsche Athleten ziehen in die USA, um unter optimalen Bedingungen zu trainieren. Leo Neugebauer und Co. zeigen, warum sich der Sprung über den Atlantik oft auszahlt.

Nach dem abschließenden 1500-Meter-Lauf bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Tokio war Leo Neugebauer völlig erschöpft - so sehr, dass man ihn in einem Rollstuhl aus dem Stadion fahren wollte. Doch der deutsche Zehnkämpfer, der sich auf der allerletzten Rille ins Ziel geschleppt hatte, raffte sich auf und begab sich doch noch auf die Ehrenrunde.

Dass sich Neugebauer den WM-Titel schnappte, ist nicht nur ein Beweis für seinen Willen und sein Durchhaltevermögen – er ist auch ein Beispiel für einen wachsenden Trend in der deutschen Leichtathletik: Immer mehr Athleten verlassen Deutschland, um in den USA unter optimalen Trainingsbedingungen zu arbeiten und sich auf internationalem Niveau weiterzuentwickeln.

Leichtathletik: Der Sprung über den Atlantik

Neugebauer ist nur eines der prominentesten Beispiele dafür, dass dieser mutige Schritt häufig belohnt wird. Nach seinem Studium lebt und trainiert er weiterhin in Austin/Texas unter professionellen Bedingungen, die ihm helfen, sein Potenzial voll auszuschöpfen.

„Gar nicht so viel“ habe sich geändert, seit er das Studium abgeschlossen hat, erklärte Neugebauer bei Sports Illustrated – „außer, dass ich nicht mehr an die Uni gehe und Vorlesungen besuche“. Er könne sich jetzt noch stärker auf den Sport fokussieren und „nebenbei weiter Dinge, wie Content für Social Media, machen“. Das wegfallende Stipendium (über)kompensiert der 25-Jährige inzwischen durch lukrative Werbedeals.

Für Neugebauer bedeutet das US-Training nicht nur höhere Professionalität, sondern auch eine Trainingskultur, die den Leistungssport ganzheitlich denkt: kurze Wege, klare Strukturen, Unterstützung durch Physiotherapie, Ernährungsberatung und Mental-Coaching.

Neugebauers Weg ein Signal an den DLV

Neugebauers Weg vom Studenten zum Weltmeister dürfte auch dem Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) die Augen geöffnet haben – bis vor nicht allzu langer Zeit herrschte dort noch Skepsis, wenn Talente in den USA studierten.

Die Wettkampfplanung der US-Colleges, die ihre Studenten beinahe im Wochenrhythmus zu Wettkämpfen schicken, ist nur bedingt kompatibel mit dem DLV-Kalender. So reiste 800-Meter-Shootingstar Smilla Kolbe mit zahllosen Wettkampfkilometern in den Beinen nach Tokio und schied im Vorlauf aus.

Andererseits muss bezweifelt werden, dass Kolbe, die 2021 ihr Studium in Mississippi begann und ein Jahr später nach Florida wechselte, in Deutschland eine ähnliche Entwicklung genommen hätte.

„Das ist alles andere als einfach und ein bisschen anders als in Deutschland. Hier lernt man wirklich, wie man Wettkämpfe läuft“, erklärte Kolbe im Mai bei SPORT1. „Da geht’s dann nicht um die Zeit, sondern du musst mehrere Male auf den Punkt abliefern.“

Farken: „Schritt in die USA war sehr wichtig“

Auch Robert Farken entschied sich bewusst für die USA, wenn auch nicht als Student. Im Herbst 2024 schloss sich der heute 28-Jährige dem US-Erfolgstrainer Dathan Ritzenhein an, der in Boulder, Colorado, eine Trainingsgruppe von Weltklasseathleten betreut – darunter die kenianische Olympiasiegerin Hellen Obiri und US-Rekordhalter Yared Nuguse.

Seit Farken Teil dieses Umfelds ist, zeigt seine Formkurve steil nach oben: Zwei deutsche Rekorde (1.500 Meter und die Meile) hat er seit dem Umzug bereits verbessert, die Meile sogar zweimal. Bei der WM in Tokio wurde der Mittelstreckenläufer hervorragender Sechster.

„Der Schritt in die USA und die Veränderung allgemein waren sehr wichtig für mich“, sagt Farken bei SPORT1. „Aber dieser Schritt wäre nicht möglich gewesen, wenn man in den Jahren vorher mit gutem Training und guter Basisarbeit nicht die Grundlage gelegt hätte. Diese Arbeit trägt jetzt mit ein bisschen mehr Veränderung und einer anderen Herangehensweise Früchte.“

Boulder, Texas und Florida: Trainingszentren der Profis

So etwas wie die Pionierin dieser Bewegung ist Konstanze Klosterhalfen, die sich 2018 dem „Nike Oregon Project“ anschloss und auch nach dessen Ende in den USA blieb. Seit 2025 trainiert sie wieder unter ihrem alten Coach Pete Julian in Boulder, verpasste die WM allerdings.

Dort, in der Höhenluft Colorados, finden Athleten ideale Bedingungen für Mittel- und Langstrecken. Boulder hat sich zu einem internationalen Zentrum für Läufer entwickelt: hochkarätige Trainingsgruppen, moderne Infrastruktur, Physiotherapie, Kraftanlagen und Sportwissenschaftler an einem Ort – alles unter einem Dach.

Auch Sprinterin Gina Lückenkemper in Florida und Hindernisläuferin Lea Meyer in Boston nutzen die US-Trainingsbedingungen, um auf höchstem Niveau zu performen. Bei der WM führte Lückenkemper die deutsche Sprintstaffel zur Bronzemedaille, Meyer erreichte den Endlauf über 3.000 Meter Hindernis.

Nova Kienast: Neue Wege im Hammerwurf

Einen etwas anderen Weg wählte die deutsche Hammerwerferin Nova Kienast, die vor einem Jahr nach Kanada zog und seitdem unter Erfolgscoach Dylan Armstrong trainiert.

„Das Training mit Dylan läuft wirklich super. Ich bin jetzt in einer Trainingsgruppe mit Ethan Katzberg und noch zwei weiteren Athleten“, verriet Kienast bei SPORT1. Katzberg gewann in Tokio den WM-Titel, nachdem er 2024 in Paris Olympiasieger wurde.

Für die U20-Europameisterin bedeutet der Wechsel nicht nur professionelles Training, sondern auch die Chance, sich mit Weltklasseathleten zu messen und Erfahrungen auf internationalem Spitzenniveau zu sammeln – ein entscheidender Vorteil für ihre Karriere.

Nicht nur in der Leichtathletik ist der Trend sichtbar. Auch Schwimmerin Anna Elendt trainiert – wie Neugebauer – in Austin unter renommierten Coaches. Im Sommer gewann die 24-Jährige Gold über 100 Meter Brust und stellte dabei einen deutschen Rekord auf. Auch Elendt profitiert von der konzentrierten Trainingsumgebung, der Nähe zu starken Trainingspartnern und Wettkampfmöglichkeiten auf höchstem Niveau.

Risiko und Chance zugleich

Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass es auch Gegenbeispiele von Athleten gibt, die in Deutschland den Sprung in die Weltklasse schafften. Exemplarisch dafür steht Weitsprung-Olympiasiegerin Malaika Mihambo, die bei der WM in Tokio Silber gewann oder der Hammerwerfer Merlin Hummel, der mit seinem zweiten Platz überraschte.

Überhaupt: Der Schritt über den Atlantik ist kein Selbstläufer. Neue Umgebung, andere Trainingsphilosophien, Konkurrenzdruck, all das verlangt Mut, Anpassungsfähigkeit und Durchhaltevermögen.

Doch wer das Risiko eingeht, kann die internationale Spitze möglicherweise schneller erreichen – wie Neugebauer, Farken, Kienast, Elendt und Co. eindrucksvoll bewiesen haben.

„Goodbye Germany“ heißt für diese Athleten nicht Abschied von der Heimat, sondern der bewusste Schritt, den eigenen Horizont zu erweitern und unter optimalen Bedingungen auf höchstem Niveau zu konkurrieren. Und sich am Ende selbst zu belohnen.