Es ist der 18. Oktober 1968. Im Estadio Olimpico Universitario in Mexiko-Stadt hat der olympische Weitsprungwettbewerb gerade erst begonnen, da stehen die Weitenrichter schon vor einem Problem.
Mit 22 schuf er einen Sportmoment für die Ewigkeit - aber was dann?
Ikone mit 22 - aber was dann?
Im ersten Durchgang hat der US-Amerikaner Bob Beamon einen weiten Satz in die Grube gesetzt. Der Sprung sorgt für Raunen im Stadion, doch die Weitenrichter sind zunächst hilflos – bei einem der größten Momente der Leichtathletik-Geschichte.
Irrer Weltrekord stellt Kampfrichter vor Probleme
Das Problem der Verantwortlichen: Sie können die Weite nicht messen, weil die Weitenmessanlage zu kurz ist.
Während die Kampfrichter beraten, hat sich Beamon, der Springer mit der Startnummer 254, auf seinen Platz zurückgezogen und wartet. Erst zehn Minuten später haben die Kampfrichter die Lösung: ein klassisches Maßband wird Historisches offenbaren.
Beamons Sprung heute vor 57 Jahren war nicht nur ein Weltrekord, er war ein Sprung in neue Sphären, eine sportliche Mondlandung (die echte sollte erst ein Jahr später erfolgen).
Beamon pulverisiert vorherige Bestmarke
Sechs Sekunden Anlauf und 19 Schritte später katapultierte sich Beamon auf 8,90 Meter. Nie zuvor war ein Mensch weiter, geschweige denn annähernd so weit gesprungen. Vor ihm lag der Weltrekord bei 8,35 Metern. Gesprungen 1965 von Ralph Boston und 1968 von Igor Ter-Owanesjan aus der damaligen Sowjetunion, ebenfalls in Mexiko-Stadt.
Um 55 Zentimeter hatte Beamon, der 22-Jährige aus Texas, damals die Bestmarke überboten. Nachdem er in der Qualifikation wegen zweier Fehlversuche noch vor dem Aus stand und von Teamkollege und Mentor Boston beruhigt werden musste.
Nach dem Siegersatz dauerte es dann eine Weile, ehe der 1,91 Meter große Beamon realisiert hatte, was er da vollbracht hatte. Auf der Anzeige erschien die Weite in Metern, Beamon kannte als US-Amerikaner aber nur die Weitenangabe in Fuß und Inches. Als der Stadionsprecher die Weite mit 29 Fuß und 2,5 Inches durchsagte, wurde Beamon übermannt.
Er brach zusammen, kauerte auf der Bahn und vergrub sein Gesicht in den Händen. „Sagt mir, dass ich nicht träume“, waren Beamons erste Worte nach seinem „Sprung ins 21. Jahrhundert“.
Beamon: Von Schicksalsschlägen geprägt
Es war wirklich wie ein Traum, aber es sollte nie schöner werden für den jungen Studenten. Noch auf dem Siegerpodest stellte er sich die Frage: „Wohin gehe ich nachher?“ Und er ahnte, dass die Antwort nicht so leicht zu finden war. Bob Beamon war stets ein Suchender in seinem Leben, das von vielen schicksalhaften Ereignissen geprägt war.
Seine Stütze in den frühen Lebensjahren, die geliebte Mutter, starb, als er noch ein Kind war. Diese Lücke konnte er nie schließen. Der Junge suchte nach Wegen aus der Krise, war in der Schule verhaltensauffällig. „Meine Schulzeit war ein Dschungel. Man musste immer auf der Hut sein, bereit zu kämpfen oder zu laufen“, sagte Beamon.
Der Weg aus dem Dschungel führte zunächst zum Basketball, aber der US-Amerikaner war ein besserer Leichtathlet. Auf Anraten seines Coaches ging er zur North Carolina University und zog in die Nähe seiner kranken Oma. Als auch die starb, wechselte er ins texanische El Paso.
Dort wiederum geriet Beamon in politische Verstrickungen: Er und elf andere afroamerikanische Studenten flogen aus dem Team, weil sie sich weigerten, in einem Wettkampf gegen die Brigham Young University aus Utah anzutreten, weil institutioneller Rassismus dort noch virulent war. Es war die Woche nach der Ermordung von Martin Luther King, die Stimmung rund um das Thema Bürgerrechte besonders aufgeheizt.
Bei Olympia folgte der folgenschwere Wirbel um die Black-Power-Geste der Sprinter Tommie Smith und John Carlos. Beamon solidarisierte sich mit ihnen, zeigte die Geste bei der Siegerehrung zwei Tage nach Smith und Carlos auch selbst - es ging im Trubel um Beamons unglaubliche Leistung unter.
Beamon sucht Selbstverwirklichung in der Kunst
Nach dem Jahrhundertsprung passierte in Beamons sportlicher Karriere nicht mehr viel. Was ihm in Mexiko gelungen war, konnte er nicht mehr überbieten.
Beamon erwog schnell eine neue Karriere als Basketballer, wurde 1969 von den Phoenix Suns in die NBA gedraftet, spielte dort aber nie. 1972 beendete er ein Studium der Soziologie, betätigte sich als Trainer und für viele wohltätige Zwecke, wurde außerdem Grafikkünstler und Musiker.
2024 nahm Beamon mit 77 Jahren als Perkussionist ein Hip-Hop-Jazz-Album auf und versteigerte seine Goldmedaille für umgerechnet rund 410.000 Euro.
Bis heute ist Beamons Sprung von Mexiko der zweitweiteste gültige der Geschichte und weiterhin olympischer Rekord: Nur sein Landsmann Mike Powell übertrumpfte Beamon im Jahr 1991 beim legendären Duell mit Carl Lewis in Tokio bei der WM um fünf Zentimeter.
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Mit Sport-Informations-Dienst (SID)