Die Kritik am Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) nach dem Debakel bei der Leichtathletik-WM 2023 wird nicht leiser. Nun hat sich auch Erfolgstrainer Dieter Kollark zu Wort gemeldet und seinem Unmut freien Lauf gelassen.
Erfolgstrainer lässt Dampf ab
„Wir müssen einfach feststellen, dass uns viele andere Nationen mittlerweile überlegen sind. Deutschland ist in der Leichtathletik nur noch drittklassig“, wird der 78-Jährige, der aktuell die deutschen Diskuswerferinnen Claudine Vita und Julia Harting betreut, vom Nordkurier zitiert. Für Kollark steht fest: „Die Ergebnisse sind noch schlechter als bei der WM in Eugene, aber niemand übernimmt Verantwortung.“
In Budapest war die DLV-Mannschaft erstmals überhaupt ohne WM-Medaille geblieben. Laut Kollark, der mit seinen Athletinnen bislang 29 Medaillen bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften sammeln konnte, hat die deutsche Misere mehrere Ursachen.
Leichtathletik-Trainer wird deutlich: „Das System ist krank“
„Das System ist krank“, stellte der erfolgreiche Trainer klar. Leichtathletik sei eine Individualsportart, die Sportler müssten auch dementsprechend trainiert werden. Doch beim DLV verstehe man sich eher als Team, welches gemeinsam trainiert: „Die wollen eine Gruppendynamik aufbauen, behandeln Leichtathleten wie Mannschaftssportler.“
Diese Handhabe kann Kollark ganz und gar nicht nachvollziehen. „Der DLV schreibt vor, wie und wo die Athleten trainieren sollen. Das gab es nicht mal in der DDR. Aber der DLV wiederum wird von der Politik und vom DOSB gegängelt, die das Geld geben. Und die sind alle so weit weg von der Praxis“, erklärte er.
Bereits bei der WM 2005 in Helsinki, als Deutschland nur eine Goldmedaille gewann, hatte Kollark diese Thematik angesprochen. „Was bin ich damals für diese Sätze kritisiert worden. Daran hat sich aber nichts geändert“, blickte der Trainer nun zurück.
„Da müssen wir wieder hinkommen“
Als Lösungsansatz führte Kollark das Leistungssportsystem der 90er-Jahre an: „Da gab es für Trainingsgruppen feste Budgets, über die man frei verfügen konnte, für Trainingslager und Wettkämpfe. Obendrein gab es bei Erfolgen noch Prämien. Da müssten wir wieder hinkommen.“
Mentale Probleme der Top-Sportler sieht der Leichtathletik-Coach ebenfalls als Ursache für die erfolglose Medaillenjagd. „Ich kann das verstehen, denn die wenigen, die noch Medaillen holen können, kriegen so einen Druck, dass sie einfach verkrampfen“, meinte Kollark.
Der DLV mit Präsident Jürgen Kessing und dem in diesem Jahr berufenen Sportdirektor Jörg Bügner hatte am Montag das Ziel kommuniziert, bei den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles wieder unter den Top Fünf zu sein - ungeachtet des jüngsten Debakels.
DLV-Zielsetzung sorgt für Unverständnis
Kollark kann dieser Zielsetzung nichts abgewinnen: „Wenn ich jetzt höre, dass wir 2028 in Los Angeles wieder zu den besten fünf Nationen gehören wollen, müsste jetzt erst einmal jemand Verantwortung übernehmen.“
Heftige Kritik am DLV gab es auch von einigen ehemaligen Athleten. So stellte Ex-Zehnkämpfer Rico Freimuth den Verantwortlichen ein teils vernichtendes Zeugnis aus. „Man hat das Gefühl, dass der Rotwein mittlerweile wichtiger als die Trainingseinheiten ist. Und das zieht sich über die gesamte Führungsebene“, äußerte der Vize-Weltmeister von 2017.
Der frühere Weltklasse-Diskuswerfer Robert Harting bemängelte: „Das Problem im deutschen Leistungssport ist die Konsequenz bei Fehlleistungen durch Entscheider, aber vor allem die fehlenden Investitionen ins Know-How von allen Beteiligten.“