Große Aufregung in der deutschen Leichtathletik! Wenige Monate vor dem Start der WM im September in Japan gibt es eine Auseinandersetzung, die sogar vor Gericht zu landen droht.
Um die Weltmeisterschaft betrogen?
Der Stein des Anstoßes: Der DLV hat Marathon-Läufer Hendrik Pfeiffer nicht für die Weltmeisterschaft nominiert - ganz zum Unverständnis des Athleten, der in den sozialen Medien heftig gegen den Verband schoss. Speziell im Fokus der Kritik: DLV-Vorstand Jörg Bügner.
„Ich habe wieder einiges darüber gelernt, wie Funktionäre ticken, insbesondere das Vorstandsmitglied Jörg Bügner, der in diesem Fall alles andere als ein angemessenes Führungsverhalten an den Tag gelegt hat. Ein Funktionär sollte für die Athleten da sein und nicht nur so weit hinter ihnen stehen, wie es den eigenen machtpolitischen Ambitionen in die Karten spielt“, schrieb Pfeiffer auf Instagram.
Er habe nach den Absagen der beiden Top-Läufer Sebastian Hendel und Samuel Fitwi fest damit gerechnet, dass „mein WM-Traum tatsächlich wahr wird“. Doch „leider habe ich die Rechnung ohne den DLV gemacht“, teilte Pfeiffer vielsagend mit.
Während schon Pfeiffers Text tief blicken ließ, wurde er in einem Video noch deutlicher: „Obwohl der Bundestrainer Alexander Fromm mir nach den Absagen von Sebastian und Samuel garantierte, dass er uneingeschränkt hinter meinem WM-Start steht, schien sich auf höherer Ebene Widerstand gegen meine Nominierung zu bilden.“
Nach einem Gespräch mit Vorstand Bügner hätte Bundestrainer Fromm seine Zusage widerrufen, was Pfeiffer süffisant mit einem „Hoppla“ kommentierte. Er habe sich an den Bundestrainer gewandt, um ein klärendes Gespräch mit Bügner führen zu können. Doch dieser Bitte sei bis heute niemand nachgekommen: „Inzwischen stelle ich mir die Frage, ob Jörg Bügner Angst vor dem Austausch mit seinen eigenen Athleten hat.“
Leichtathletik-Chef rechtfertigt Entscheidung
Der Verband rechtfertigte sich auf SPORT1-Anfrage und verwies auf ein öffentlich zugängliches Schreiben, in dem Bügner zu Wort kommt: „Das Verfahren ist transparent und bietet den Athlet:innen Planungssicherheit.“
Er fügte hinzu: „Zudem sind wir als bundesgeförderter Spitzenverband verpflichtet, die Richtlinien nicht nur fair und disziplinübergreifend anzuwenden, sondern auch am Weltmaßstab auszurichten.“
Jährlich würden in einem Call die Richtlinien mit dem Vorstand Leistungssport mit der Nationalmannschaft sowie in Gesprächen zwischen Bundestrainer:innen und Kaderathlet:innen erläutert werden.
Pfeiffer ärgert sich über nachträglich eingeführte WM-Norm
Doch warum ist Pfeiffers Ärger überhaupt derart groß? Aus verschiedenen Gründen fühlt er sich um seine WM-Teilnahme betrogen.
Der DLV hatte, unabhängig von den internationalen Qualifikationskriterien des Weltverbandes World Athletics, im Dezember 2024 zusätzlich eine interne Bestätigungsnorm von 2:07:50 eingeführt. Die eigentliche Norm des Weltverbandes hatte Pfeiffer geknackt.
Noch mehr als an der zusätzlichen Norm stört sich Pfeiffer daran, dass diese auch rückwirkend gilt, also auch für Wettkämpfe, die vor der Einführung stattgefunden haben – aber eben nicht für alle Läufe.
„Ein paar Monate zuvor bin ich in Houston mit meiner Zeit von 2:07:14 deutlich drunter geblieben. Das zählt für den DLV aber leider nicht. Beim Berlin-Marathon 2024 lief ich mit 2:08:20 Sekunden knapp vorbei. Jedoch existierte diese Norm damals noch gar nicht“, ärgert sich Pfeiffer.
Da er zu diesem Zeitpunkt noch nichts von einer Zusatznorm gewusst hatte, sei er das Rennen ganz anders angegangen. Er sei voll auf seine Bestzeit gelaufen, hätte völlig überpaced und sei letztendlich eingebrochen. Lediglich 30 Sekunden fehlten Pfeiffer dennoch zur nachträglich eingeführten Norm.
Pfeiffer geht juristisch gegen Norm vor
„Einige Monate später wurde die Norm dann knapp unter meiner Bestzeit von Berlin angesetzt, rückwirkend! Da stellt sich mir schon die Frage, ob das gerecht ist und juristisch überhaupt vertretbar ist. Das lasse ich übrigens gerade juristisch überprüfen“, erklärte Pfeiffer.
Eine öffentliche Schlammschlacht sei eigentlich nicht in seinem Interesse, bekräftigte Pfeiffer. Deswegen hätte er zunächst auch versucht, Bügner per Mail mit Argumenten zu überzeugen. Neun Punkte zählte er auf.
Er habe sich mit seiner Platzierung im Worldranking sportlich deutlich für die WM empfohlen. Zudem habe er mit seinen Leistungen in London bei einem Major Marathon (7. Platz) und in Houston bei einem Gold Lable Marathon (3. Platz), „deutlich gezeigt, dass ich durchaus in der Lage bin, bei einer WM vorne reinzulaufen, auch in die Top 8, die für den DLV so wichtige Nationenpunkte bringen.“
„Ist das euer Ernst?“
Dass der DLV ihn wegen einer nachträglich eingeführten Norm nicht mit nach Tokio nehmen würde, bezeichnet er deshalb als „absurd“. Ersatz für Pfeiffer? Fehlanzeige!
„Ihr lasst lieber ohne Not einen Platz unbesetzt, als einen international qualifizierten Athleten zu nominieren, der dafür brennt, sein Land vertreten zu dürfen. Ist das euer Ernst?“, ärgerte sich Pfeiffer.
Ein weiterer Kritikpunkt: Pfeiffer habe auf Anraten seines Bundestrainers im vergangenen Jahr freiwillig auf die EM-Teilnahme verzichtet, um sich vorzeitig an der Ferse operieren zu lassen und so rechtzeitig für die WM wieder fit zu sein.
DLV-Vorstand Bügner hätte stets betont: „Für den Verband sind WMs und Olympia das Entscheidende, speziell wegen der Fördergelder, wo EMs keine Rolle spielen“. Deswegen habe er sich „dieser Linie gebeugt und dementsprechend meine Saison darauf ausgerichtet“, erklärte Pfeiffer.
Auch um sich weitere Rückendeckung zu holen, habe er all seine Argumente vor dem Versenden der E-Mail auch mit Bundestrainer Fromm besprochen, der ihm zunächst seine Rückendeckung zugesichert habe.
Brisanter Kurswechsel in Deutschland
Doch dann hätte dieser nach Rücksprache mit Bügner plötzlich seine Meinung geändert und ihm schriftlich mitgeteilt, dass er seine Nominierung nicht befürworte.
„Ich will nicht sagen, dass da jemand unter Druck gesetzt wurde und auf Linie gebracht wurde, aber ich finde diesen Kurswechsel schon bemerkenswert“, sagte Pfeiffer.
Nur wenig später hätte er dann auch schon von seiner endgültigen Ausbootung erfahren, aber nicht in einem persönlichen Gespräch, sondern durch die vom DLV veröffentlichte Pressemitteilung.
Diese habe ihn zusätzlich verärgert: „Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man über den Satz aus der Veröffentlichung fast schon lachen. Ich zitiere: ‚Weitere deutsche Marathon-Läuferinnen und -Läufer mit erfüllten Nominierungsanforderungen verzichten in diesem Jahr auf den internationalen Höhepunkt und stehen dem DLV nicht zur Verfügung.‘“
Pfeiffers Fazit: Der Verband habe einfach kein Interesse daran gehabt, ihn zur WM zu schicken. Er sei in der Vergangenheit zu unbequem gewesen. Tatsächlich hatte Pfeiffer in den vergangenen Jahren häufiger für Aufsehen gesorgt. Bei den Olympischen Spielen schoss er beispielsweise gegen den Verband und seine Teamkollegen.
Marathon-Läufer bekommt Rückendeckung von Teamkollegen
Von diesen bekommt er nun Rückendeckung. „Das tut mir leid, Hendrik”, kommentierte der Marathon-Europameister von 2022, Richard Ringer, den Post von Pfeiffer: „Es ist schade, dass andere Athleten ihre Nominierung nicht annehmen und der DLV dann sogar seine besser platzierten Athleten nicht mitnimmt.“
Der ehemalige Hammerwerfer Claus Dethloff, der große Pläne für die Zukunft der deutschen Leichtathletik hat, bezeichnete die Entscheidung in den sozialen Medien als „unfassbar“ und griff dabei auch Bügner spöttisch an.
Pfeifer selbst zeigte sich trotz der harten Kritik übrigens weiterhin kompromissbereit: „Ich hoffe, dass die Verantwortlichen ihre Entscheidung nochmal überdenken und würde Deutschland bei der WM weiter zur Verfügung stehen. Denn kaum jemand brennt so wie ich dafür, im Nationaltrikot zu starten.“
Die Chancen des Läufers stehen allerdings nicht gut, denn Bügner teilte in seinem Statement abschließend mit: „Wir haben großes Verständnis dafür, dass Athletinnen und Athleten enttäuscht sind, wenn sie nicht nominiert werden und am Ende nicht alle Startplätze vergeben werden. Solche Entscheidungen sind nie einfach. Gleichzeitig sind wir verpflichtet, die festgelegten Kriterien fair und einheitlich anzuwenden - und unserem eigenen Leistungsanspruch treu zu bleiben.“