Ein Jahr nach Olympia-Silber hat Leo Neugebauer Sportgeschichte geschrieben: In einem packenden Thriller gewann der 25-Jährige den WM-Zehnkampf in Tokio.
"Ein absoluter Hammer für den deutschen Sport"
„Absoluter Hammer für deutschen Sport“
Mit einem Kraftakt über die abschließenden 1.500 Meter sicherte er sich mit 8.804 Punkten die Goldmedaille – hauchdünn vor Ayden Owens-Delerme aus Puerto Rico (8.784). Bronze ging an den US-Amerikaner Kyle Garland (8.703). Niklas Kaul, Weltmeister von 2019, landete auf Rang vier (8.538). SPORT1 sprach mit Deutschlands Zehnkampf-Legende Jürgen Hingsen über Neugebauers Sensationssieg.
Neugebauer? „Hab gezweifelt, ob er noch zurückkommt“
SPORT1: Herr Hingsen, wie haben Sie den Zehnkampf von Tokio erlebt?
Hingsen: Es war unglaublich! Ich habe das bis zum Schluss verfolgt und musste gerade nochmal zurückspulen, so spannend war das! Dabei habe ich zwischendurch gedacht: ‚Das wird schwer!‘ Vor allem nach dem Hürdenlauf - die 14,80 Sekunden sahen sehr holprig aus. Da habe ich wirklich gezweifelt, ob er noch zurückkommt.
SPORT1: Was hat den Umschwung gebracht?
Hingsen: Ganz klar der Diskus. Da hat er einen rausgehauen – das war der Wahnsinn! Das zeigt seine Kampfstärke und sein Selbstvertrauen. Danach hat er sich von Disziplin zu Disziplin gesteigert.
SPORT1: Beim Stabhochsprung sah es zwischendurch wackelig aus...
Hingsen: Ja, das ist bei ihm nie einfach. Er ist zwei Meter groß, da hängt viel von der Technik ab. Aber dass er die 5,10 Meter noch gepackt hat, das war schon der entscheidende Schritt in Richtung Gold.
„Alles gegeben, bis zum allerletzten Tropfen“
SPORT1: Dann kam der Speerwurf.
Hingsen: Auch da hat er sich deutlich gesteigert – fast fünf Meter weiter als bisher. Von knapp 59 auf über 64 Meter. Das war eine unglaubliche Verbesserung und der nächste große Schritt.
SPORT1: Vor dem abschließenden 1.500-Meter-Lauf war klar, dass Neugebauer eine persönliche Bestzeit laufen muss…
Hingsen: Da hat er wirklich sein Herz in die Hand genommen. Er ist kein geborener 1.500-Meter-Läufer, dafür bringt er zu viel Gewicht mit. Aber er hat alles gegeben, bis zum allerletzten Tropfen. Die Batterie war komplett leer - und genau so gewinnt man Weltmeistertitel.
WM-Bilanz: „Der Zehnkampf hat alles rausgerissen“
SPORT1: Wie bewerten Sie die Leistung von Niklas Kaul?
Hingsen: Niklas hat auch stark gekämpft, aber der Stabhochsprung hat ihm das Genick gebrochen. Im Speerwurf ist er zwar sehr gut, aber da konnte er nicht mehr ganz nach vorne kommen. Trotzdem: Platz vier ist eine tolle Leistung.
SPORT1: Was bedeutet dieser Erfolg für die deutsche Leichtathletik?
Hingsen: Der Zehnkampf hat wieder alles rausgerissen. Das ist ein absoluter Hammer für den deutschen Sport. Und mit der Bronzemedaille in der deutschen Sprintstaffel war das ein perfekter Abschluss.