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Mit 13 von einem Betrunkenen angeschossen - heute bei der Leichtathletik-WM

Mit 13 angeschossen - nun bei der WM

Die österreichische 800-Meter-Läuferin Caroline Bredlinger gilt als großes Talent, als ihr Leben im Alter von 13 Jahren völlig aus den Fugen gerät. Gut elf Jahre später feiert sie einen erstaunlichen Erfolg, mit dem sie wohl selbst nicht mehr gerechnet hat. Bei SPORT1 erzählt die heute 24-Jährige ihre unglaubliche Geschichte.
Die Leichtathletik-WM findet dieses Jahr in Tokio statt. Wie oft gibt es Gold zu gewinnen? Welche Prämien werden gezahlt? Die wichtigsten Fragen und Antworten zur WM.
Die österreichische 800-Meter-Läuferin Caroline Bredlinger gilt als großes Talent, als ihr Leben im Alter von 13 Jahren völlig aus den Fugen gerät. Gut elf Jahre später feiert sie einen erstaunlichen Erfolg, mit dem sie wohl selbst nicht mehr gerechnet hat. Bei SPORT1 erzählt die heute 24-Jährige ihre unglaubliche Geschichte.

Caroline Bredlinger nahm ihre Beine in die Hände und zog durch.

Trotz der gewaltigen Sommerhitze, die vor zweieinhalb Monaten im slowenischen Maribor herrschte, rannte die 800-Meter-Läuferin bei der 2. Division der Team-EM im Alleingang zum Sieg und bescherte ihrem Heimatland die volle Punktzahl.

Dass Bredlinger im Ziel fassungslos auf die Anzeigentafel starrte, lag aber weniger an ihrem Erfolg, sondern vor allem an der Zeit: Die 1:58,95 Minuten katapultierten die Wienerin in die erweiterte Weltklasse und bedeuteten die direkte WM-Norm.

Heute Nachmittag deutscher Zeit, wenn in Tokio die Vorläufe in ihrer Disziplin beginnen, erntet Bredlinger die Früchte ihrer Arbeit. Und ein größeres Publikum wird ihre erstaunliche Geschichte kennenlernen.

Als Bredlinger Opfer einer irrsinnigen Tat wurde

Am 31. Oktober 2014 wurde die damals 13-Jährige Opfer einer irrsinnigen Tat. Als sie an diesem Abend gemeinsam mit einigen Freunden in ihrer burgenländischen Heimat unterwegs war, um den Halloween-Abend zu feiern, sackte sie plötzlich zu Boden.

Ein Schuss war ertönt, doch ehe klar wurde, was wirklich passiert war, sollten noch einige Stunden vergehen. „Ich bin angeschossen worden – einfach so, auf der Straße“, schilderte Bredlinger nach ihrer WM-Qualifikation im Gespräch mit SPORT1: „Ich habe nicht gleich gemerkt, was genau passiert ist, weil wir die Schüsse nicht zuordnen konnten. Es hätte auch ein Böller sein können, in den ich hineingetreten bin.“

Erst als der Teenager ins Krankenhaus nach Eisenstadt gebracht wurde und der Arzt sie nach einem Blick auf die Röntgenbilder fragte, ob sie mal eine Operation im Beckenbereich hatte, weil dort einige Metallteile zu sehen waren, kam Licht ins Dunkel.

Das Projektil eines Repetiergewehrs hatte sich in ihr Gesäß gebohrt, bevor es in 24 Splitter zerbarst. „Nur ein Millimeter daneben und es wäre ganz anders ausgegangen“, sagte ihre Mutter (und Trainerin) Ursula Bredlinger damals.

Wie sich später herausstellte, hatte ein alkoholisierter junger Mann von der Dachterrasse des Hauses seines Bruders mit dem Gewehr einige Schüsse abgegeben und zumindest billigend in Kauf genommen, einen der feiernden Jugendlichen zu erwischen.

Bredlinger eines der größten Leichtathletik-Talente Österreichs

Bredlinger war damals bereits eine der größten Leichtathletik-Talente Österreichs, doch dieser Vorfall bremste ihre Entwicklung nachhaltig aus. Eine Operation kam nicht in Frage, weil die Ärzte Angst hatten, noch mehr zu beschädigen. „Also wurde das Projektil drin gelassen, in der Hoffnung, dass es sich abkapselt“, sagte Bredlinger.

Die Schmerzen wurden zwar mit der Zeit erträglicher, doch bis zum heutigen Tage hat die Mittelstrecken-Spezialistin mit den Folgen zu kämpfen. „Mein linkes Bein ist immer noch schwächer als das rechte“, erklärte sie: „Die zweieinhalbstündige Busfahrt von Maribor nach Hause habe ich fast nicht ausgehalten.“

Probleme machte ihr die wahnsinnige Tat aber vor allem psychisch – und es grenzt fast an ein Wunder, dass Bredlinger zurück in die Spur fand.

„Mit 13 Jahren bist du nicht darauf eingestellt, dass du tausende Fragen von irgendwelchen Polizisten beantworten musst, die teilweise auch in die Richtungen gingen, ob nicht deine Freunde geschossen haben“, erzählte sie.

Mit einem Schlag aus ihrer Kindheit herausgerissen

Sie sei damals mit einem Schlag aus ihrer Kindheit herausgerissen worden: „Da gab’s auf einmal Sorgen, mit denen du nie gerechnet hättest. Ein Arzt meinte zum Beispiel, dass es sein könnte, dass ich keine Kinder kriegen kann, was aber offenbar nicht der Fall ist.“

Das Laufen, das sie so liebte, war nicht mehr auf gleichem Niveau wie zuvor möglich, was sie zunehmend belastete. „Ich habe mir gedacht: ‚Scheiße, was ist, wenn ich jetzt nicht mehr laufen kann?‘“

Bredlinger nahm an keinen Wettkämpfen mehr teil, weil sie sich selbst Druck machte, ihr altes Niveau auf Biegen und Brechen wieder zu erreichen: „Es war ein ständiges Auf und Ab, ich bin dann zu den 400 Metern gewechselt, weil ich da keine Vergleichswerte hatte. Ich habe mich mental geplagt, auch wegen der Schule.“

Halbes Jahr ihre Laufschuhe nicht mehr angefasst

Sechs Jahre lang kämpfte die Leichtathletin darum, doch noch den Anschluss zu finden, bis sie sich dazu entschloss, eine Auszeit zu nehmen. Ein halbes Jahr lang fasste sie ihre Laufschuhe so gut wie nicht mehr an, trainierte allenfalls hobbymäßig - und versuchte es 2020 noch einmal.

„Ab dann habe ich wieder Leistungssteigerungen geschafft, wenn auch zunächst auf bescheidenem Niveau mit 2:14 Minuten über 800 Meter. Seitdem ist es mir immer besser ergangen“, blickte sie strahlend zurück.

Nun will sie auch auf größerer Bühne für Furore sorgen und weitere Erfolge einheimsen. Den größten Sieg hat sie aber ohnehin schon errungen.