Nick Heidfeld fuhr von 2000 bis 2011 selbst in der Formel 1 Rennen - nun begleitet er sie mit seiner Expertise. Vor dem Großen Preis von Monaco (Sonntag um 15 Uhr im SPORT1-Livetiker) spricht der 48-Jährige im SPORT1-Interview über die aktuelle Lage in der Königsklasse des Motorsports um unter anderem Max Verstappen und McLaren.
Hamilton? „Man sieht Unterschiede“
Zudem lässt er eine Vermutung anklingen, was der Grund für den schwachen Start von Lewis Hamilton sein könnte.
SPORT1: Herr Heidfeld, Sie sind hier in Monaco in verschiedensten Klassen gefahren: Was ist Ihre schönste Erinnerung? Und Hand aufs Herz: Wie gut waren Sie hier?
Nick Heidfeld: Ich habe mein erstes Formel-1-Rennen 1989 hier live gesehen – das war schon besonders. Ein Highlight war dann 1996, als ich in der Formel 3 erstmals selbst hier gestartet bin. 1997 habe ich das Rennen gewonnen, aber das erste Mal durch den Tunnel fahren und den Sound zu genießen – das vergisst man nie. Ich habe später auch die Formel 3000 hier gewonnen, war in der Formel 1 Zweiter, in der Formel E auf dem Podium. Ich bin da schon ein bisschen stolz drauf. Monaco ist einfach eine unglaublich schöne Strecke, ich freue mich immer, hier zu sein.
SPORT1: Was macht Monaco aus Fahrersicht so speziell?
Heidfeld: Es gibt keine vergleichbare Strecke. Singapur kam später dazu, ist auch cool, aber Monaco ist einzigartig. Der Raum für Fehler ist hier fast null – und früher war das noch extremer. In der Schwimmbad-Schikane war rechts und links Mauer. Das klingt bescheuert, aber vielleicht macht genau das den besonderen Reiz aus. Dieser Kitzel, dieser Nervenkitzel – das war früher sogar noch ausgeprägter.
Verstappen-Manöver? „Das finde ich übertrieben“
SPORT1: Sie sind aktuell für Sky als Experte im Einsatz – wie verfolgen Sie die Formel 1 heute und wie gefällt Ihnen die Saison bislang?
Heidfeld: Ich finde sie relativ spannend. Vor ein paar Rennen dachten viele, McLaren macht den Durchmarsch – in Imola hat sich das aber nicht bestätigt. Ich hoffe, es bleibt spannend.
SPORT1: Max Verstappen hat in Imola dank eines spektakulären Manövers in der ersten Kurve gewonnen. Manche sagen, das war eines der besten Manöver aller Zeiten – wie sehen Sie das?
Heidfeld: Das finde ich übertrieben. Es war ein super Move, hat ihm das Rennen gewonnen – aber sowas hat man schon gesehen. Weltklasse, keine Frage. Aber ich finde es aber vor allem interessant, dass er nicht mehr im überlegenen Auto sitzt. Jetzt hat er Druck – und macht trotzdem keine Fehler. Beeindruckend. Und wie immer: Seine Teamkollegen tun sich schwer gegen ihn.
„Viele sagen, er ist ein Jahrhunderttalent“
SPORT1: Verstappen war zuletzt auch auf der Nordschleife unterwegs – als „Franz Herrmann“ – und hat direkt einen Rundenrekord aufgestellt.
Heidfeld: Ja, das war extrem beeindruckend. Formel 1 ist natürlich das Maß aller Dinge, aber als jemand, der selbst dreimal beim 24-Stunden-Rennen dort gefahren ist, weiß ich, wie schwierig das ist. Ich behaupte bis heute, dass ich die Strecke nicht perfekt kenne – vor allem mit Verkehr. Was Verstappen da gezeigt hat, ist außergewöhnlich. Viele sagen, er ist ein Jahrhunderttalent. Und das beweist er immer wieder.
SPORT1: Verstappen meidet Netflix, war nicht bei der Film-Premiere in Monaco – wird er jetzt auch zum Rebell?
Heidfeld: Schwer zu sagen. Aber man merkt: Er schwimmt nicht mit dem Strom. Er glaubt an sich, hinterfragt Dinge. Dass er Netflix nicht mitgemacht hat, weil es ihm zu viel Fake war – das spricht für ihn. Wichtig ist nur, dass er auf dem Boden bleibt und sich weiterentwickelt. Und genau das tut er.
Piastri vor Norris? „Frage mich noch, woran das liegt“
SPORT1: Wie schätzen Sie das Duell Norris gegen Piastri bei McLaren ein?
Heidfeld: Sehr interessant und ein bisschen überraschend. Man hätte gedacht, das hätte sich eingependelt – Norris war vorne. Aber dieses Jahr scheint Piastri mit dem Auto besser klarzukommen. Ich frage mich noch, woran das liegt – Erfahrung allein erklärt das nicht.
SPORT1: Lando Norris ist extrem selbstkritisch. Ist das eher eine Stärke oder eine Schwäche?
Heidfeld: Beides. Fehler eingestehen ist wichtig, um sich zu verbessern. Aber ob es clever ist, sich öffentlich so zu hinterfragen? Im Haifischbecken der Formel 1 kann das zum Problem werden, weil andere Schwächen ausnutzen wollen.
Hamiltons Alter wird vergessen
SPORT1: Kommen wir zu Ferrari: Lewis Hamilton ist neu an Bord – aber tut sich schwer. Kommt da noch was?
Heidfeld: Ich denke schon. Wenn das Auto zu ihm passt, kann er immer noch top performen. In China hat man’s gesehen. Aber im Vergleich zu Leclerc ist er aktuell hinten – vor allem im Qualifying. Und klar, auch wenn einige das jetzt nicht gerne hören: Er ist nicht mehr der Jüngste. Wenn man ihn mit dem Hamilton vor fünf oder zehn Jahren vergleicht, sieht man Unterschiede.
SPORT1: Ist das mit Michael Schumachers Comeback bei Mercedes vergleichbar?
Heidfeld: Nicht ganz. Michael war mehrere Jahre raus, Lewis dagegen ist durchgefahren. Aber es zeigt: Nach vielen Jahren im selben Umfeld ist ein Teamwechsel schwierig. Lewis war bei Mercedes perfekt eingebunden – jetzt muss er sich an ein neues Auto gewöhnen. Und je älter man wird, desto schwerer fällt so ein Neuanfang.
Die größte Überraschung dieses Jahr
SPORT1: Welcher Fahrer hat Sie dieses Jahr besonders positiv überrascht?
Heidfeld: Carlos Sainz. Ich war überrascht, dass er zu einem schlechteren Team wie Williams geht – aber gemeinsam haben sie sich extrem gesteigert.
SPORT1: Zuletzt gab’s Ärger um Franco Colapintos Fans und ihre verbalen Angriffe auf Jack Doohan und auch Yuki Tsunoda. Muss die Formel 1 bei Hass und Hetze in den Sozialen Medien stärker eingreifen?
Heidfeld: Ich habe nur die Überschriften gelesen. Aber klar: Social Media ist teilweise furchtbar. Wie man dagegen vorgeht, ist schwer – ein Kampf gegen Windmühlen. Ich verstehe solche Leute nicht. Aber das passiert leider auch in anderen großen Sportarten immer wieder.
Sauber: „Man muss dem Team Zeit geben.“
SPORT1: Was erwarten Sie von Ihrem Ex-Team, ehemals BMW Sauber – heute Sauber-Audi?
Heidfeld: Eine Steigerung – die muss passieren. Aber klar ist auch: Es ist nicht einfach, neu in die Formel 1 einzusteigen. Man muss dem Team Zeit geben. Damals war es wichtig, dass die beiden Seiten – BMW und Sauber – zusammengefunden haben.
Wenn ein großer Hersteller zu einem kleineren Team stößt, prallen zwei Welten aufeinander. Meistens gibt es dann Probleme, weil große Konzerne ganz andere Strukturen haben – sie brauchen viel länger für Entscheidungen. Und das kannst du dir in der Formel 1 nicht leisten.
Ich hoffe, dass Audi aus früheren Fehlern von anderen Autobauern gelernt hat. Das Wichtigste: Sie haben mehr Geld zur Verfügung – das war auch bei BMW ein entscheidender Punkt. Da habe ich das einzige Mal in meiner Karriere erlebt, dass ein Auto am Anfang schwach war, wir aber während der Saison noch die Kurve gekriegt haben.
Wichtig ist, dass man das Geld und das Know-how richtig einsetzt – aber auch, dass man Prozesse nicht endlos in die Länge zieht und nicht alles in Task Forces versickert, wie es bei BMW anfangs der Fall war. Das ist auch das, was die Formel 1 für Hersteller interessant macht – die extrem hohe Entwicklungsgeschwindigkeit.