Jan Frodeno ist einer der erfolgreichsten deutschen Sportler der Triathlon-Geschichte. Der gebürtige Kölner gewann nicht nur zwischen 2015 und 2019 drei Mal den legendären Ironman auf Hawaii - auch war er es, der sich die allererste Goldmedaille in einem Triathlon-Wettbewerb bei Olympia schnappte.
„Im sprichwörtlichen Olymp angekommen“
Vor rund einem Dreivierteljahr beendete der inzwischen 42-Jährige seine Karriere - und darf mit Stolz darauf zurückblicken. Im Interview mit SPORT1 im Vorfeld der Olympischen Spiele in Paris verrät Frodeno, weshalb er beruflich in Paris vor Ort sein wird, was er den deutschen Athleten zutraut und erzählt eine Anekdote zum erfolgreichsten Olympioniken der Geschichte.
SPORT1: Herr Frodeno, Ihr sportliches Karriereende liegt nun rund ein Dreivierteljahr zurück. Blicken Sie mit Freude und Stolz darauf zurück oder schwingt auch der Gedanke ‚Oh, ich hätte eigentlich noch Lust weiterzumachen‘ mit?
Jan Frodeno: Lust hätte ich dann meistens bis zur dritten Trainingseinheit schon nicht mehr. Ein bisschen Sport ist immer noch dabei, aber ich muss sagen, ich kann das für mich total genießen. Jetzt steht Olympia an, da ist viel Interesse dabei: Als Fan des Sports dabei zu sein, meinen eigenen privaten Sport zu machen und nach wie vor aktiv zu leben. Aber es sind seltene Momente, in denen ich sage: ‚Hier möchte ich mal mitspielen‘. Ich bin sehr zufrieden mit meiner Entscheidung.
SPORT1: Die Entscheidung wirkte unumstößlich oder hat sie zwischenzeitlich einmal geschwankt?
Frodeno: Nein, da hat nichts geschwankt. Da sind jetzt zu viele schöne Abenteuer dabei, einmal richtig Ski fahren oder auch mit dem Mountainbike in den Bikepark zu gehen, vielleicht das ein oder andere Abenteuer zu erleben. Da habe ich inzwischen deutlich mehr Lust drauf.
Olympia? „Ich freue mich besonders auf das deutsche Team“
SPORT1: In wenigen Tagen steigen die Olympischen Spiele. Hat man als einstiger Olympiasieger tatsächlich auch als Zuschauer die Gier auf dieses Event?
Frodeno: Dieses Mal bin ich zum ersten Mal aktiv am Streckenrand als Kommentator dabei und habe das Ganze ein bisschen näher verfolgt. Zu sehen, wie die ganze Qualifikation verläuft, was da für ein Stress dabei ist. Das sieht man ja gar nicht, wenn man selbst dabei ist. Dann siehst du einfach nur die Bäume, die links und rechts vorbeischießen. Ich freue mich besonders auf das deutsche Team. Wir haben diese spannende Mischung, mit der alles kann, aber nichts muss. Das ist wirklich eine tolle Grundvoraussetzung. Ich freue mich immens, besonders auf die Triathlon-Events.
SPORT1: Was wird Ihre genaue Rolle in Paris sein?
Frodeno: Ich werde die Triathlon-Events, das Radfahren und das Freiwasserschwimmen für das ZDF kommentieren.
SPORT1: Die Generalprobe für Olympia ist geglückt. Das deutsche Team hat vor wenigen Tagen in Hamburg den WM-Titel im Mixed Relay holen können. Das macht Mut für die Spiele, oder?
Frodeno: Ja, das stimmt. Daniel Unger hat es gut formuliert und gesagt: ‚In der Staffel wäre es eine Überraschung, wenn da nichts geht in Richtung Medaille.‘ Aber da muss man auch immer vorsichtig sein vor Olympia. Da sind nicht alle Top-Starter am Start - und auch nicht ausgeruht. Die Staffel ist dafür berühmt, dass eben diese Wechsel so viel Dynamik reinbringen. Das wird schon noch sehr, sehr spannend. Aber ich glaube, wir können guter Dinge sein und uns wirklich auf die deutschen Athleten freuen.
SPORT1: Deutschland hat in Paris sechs Athleten, drei Männer und drei Frauen sind dabei. Wie realistisch ist eine Medaille?
Frodeno: Es ist in der Tat nicht üblich mit sechs Athleten an den Start zu gehen. Es heißt, dass wir das volle Pensum an Athleten haben. Das war auch schon ganz anders! Es gab einen großen Reset nach Tokio, wo wir eben keine ganze Mannschaft hingeschickt haben. Nun haben wir bei den Herren und auch bei den Damen eine echte Chance, eine Medaille zu gewinnen. Topfavoriten haben wir nicht. Aber wir wissen, dass Olympia Überraschungen mitbringt. Es ist so ein immenser Fokus und nur der, der es am Ende einfach nur schafft, seine PS am besten auf die Straße zu bringen, ohne irgendwelche Wunder herbeizuzaubern, der hat oftmals schon eine Chance, ganz vorn dabei zu sein.
Michael Phelps aß mit zwei Gabeln
SPORT1: Der prominenteste Name im deutschen Team ist sicherlich Laura Lindemann, sie hat die größte Erfahrung und sogar selbstbewusst angekündigt: „Ich will das Ding gewinnen“. Ist das ein Schlüssel zum Sieg?
Frodeno: Laura Lindemann hat vor allen Dingen ein großes Plus: Sie weiß, dass es wahrscheinlich ihr letztes Mal ist, dass sie bei Olympia dabei ist. Das schafft natürlich auch ein bisschen Druck, weil man weiß: ‚Ich habe jetzt noch eine Chance, die kann ich nutzen‘. Eine Nina Eim steht dahinter und klopft an der Tür, das kreiert eben den Druck und diese Dynamik, die man braucht, um auch wirklich alles aus sich herauszuholen. Ich würde ihr nichts mehr wünschen als eben diese Medaille. Und am schönsten wäre natürlich die goldene.
SPORT1: Nun schafft man bei Olympischen Spielen viele Erinnerungen, auch Ihre eigenen werden noch präsent sein. Was ist das für ein Luxus und für eine Schönheit, Olympische Spiele live zu erleben zu dürfen - und zwar als Aktiver?
Frodeno: Als Aktiver ist es etwas ganz, ganz Besonderes, dabei zu sein. Die besten Sportler aller Sportarten aus aller Welt treffen sich gemeinsam in einem olympischen Dorf. Ich weiß noch, das erste Mal, als ich dort reinkam, habe ich in der Mensa Michael Phelps gesehen, der so dicht über seinem Teller saß und mit zwei Gabeln gleichzeitig gegessen hat. Dann war damals auch noch ein Kobe Bryant im Olympischen Dorf. Das sind eben so Momente, in denen man auch als Profisportler kurz durchatmen muss, sich bewusst macht, dass man in diesem sprichwörtlichen Olymp tatsächlich angekommen ist und eine Chance hat, sich in die Geschichtsbücher einzutragen.
„Eine olympische Goldmedaille ist für die Ewigkeit“
SPORT1: Also auch der klare Rat an alle Aktiven: ‚Genießt es! Das kommt nicht so schnell wieder‘?
Frodeno: Ja, das ist mein Lebensmotto: Momento mori – Sei dir deiner Sterblichkeit bewusst. Du weißt nie, ob du noch einmal eine zweite Chance bekommst. Das macht es eben zu etwas ganz, ganz Besonderem. Es ist so eine rare Chance, sein Leben auch zu verändern. Das war mein großes Ziel, mein großer Traum. Und den habe ich bei Olympia umsetzen können. Ich glaube, die Athleten haben immer noch diesen Traum, denn eine olympische Goldmedaille ist etwas für die Ewigkeit.
SPORT1: Ist der Olympiasieg Ihrer Meinung nach also auch wichtiger als ein Sieg beim Ironman auf Hawaii?
Frodeno: Das wandelt immer so ein bisschen, gerade jetzt. Momentan ist natürlich Olympia wieder sehr präsent. Und andererseits wird für mich natürlich auch Hawaii immer ein ganz besonderer Stellenwert in meinem Medaillenkabinett haben.
SPORT1: Nun haben wir aktuell die Fußball-Europameisterschaft im eigenen Land erlebt. Es gibt die immer wiederkehrende Diskussion, ob Deutschland nicht noch einmal die Olympischen Spiele ausrichten sollte. Wie ist da Ihre Meinung?
Frodeno: Paris wird für die Olympischen Spiele richtungsweisend sein ist. Diese ganze olympische Bewegung braucht eine Art der Modernisierung. Es muss wieder inklusiver werden, dass die Zuschauer auch wirklich die Wettkämpfe sehen und erleben wollen. Ich meine, damals war es so, dass völlig egal war, was lief. Man hat es geguckt, weil es Olympia war. Und wenn es Kegeln gewesen wäre. Obwohl es das nicht gibt, hätte man es bei Olympia genauso gefeiert, wie den 100-Meter-Lauf. Diese Chance muss Olympia jetzt in Paris nutzen: eine europäische Metropole, um den Menschen den Sport wieder näherzubringen. Wenn das gelingt, könnten auch in Deutschland oder in anderen Ländern wieder Türen aufgehen, die eigentlich schon als geschlossen gelten.
SPORT1: Hilft dabei beispielsweise auch das Schwimmen in der Seine, wie es beim Triathlon praktiziert werden wird? Es hat den Anschein der Rückkehr zum Ursprung, weil jeder zugucken kann.
Frodeno: Ja, absolut. Die Seine ist auch ein Teil der Eröffnungsfeier. Das ganze Drumherum, das ist extrem zum Greifen nah. Das ist das Schöne, dass man nicht nur hinter einem großen Zaun zuschauen kann und winken darf, sondern mittendrin dabei ist. Ich finde das Konzept von Paris toll und wünsche mir, dass das ein maximales Sommersportfest mit großem Erfolg wird.
Frodeno zu Schröder und Co.: „Werde vielleicht noch ein Ticket ergattern“
SPORT1: Unter anderem auch mit den deutschen Basketballern. Das DBB-Team ist als Weltmeister momentan eine der wenigen deutschen Mannschaften, die wirklich die Trümpfe in der Hand haben. Sehen Sie das genauso?
Frodeno: Ja, natürlich. Die Basketballer haben natürlich letztes Jahr die Sensation geschafft, das war schon etwas ganz Besonderes. Ich saß neben ihrem Trainer (Gordon Herbert, Anm. d. Red.) bei einem Presseball. Er ist so ein bodenständiger Mensch, der aber auch ein Konzept hat. Er weiß, dass ein Quäntchen Glück dazugehört. Man muss sich immer wieder fokussieren. Und in diesem Hype um Olympia wird einem nichts geschenkt. Insofern werde ich bei jedem Spiel mitfiebern und vielleicht auch noch ein Ticket ergattern.
SPORT1: Nach den Olympischen Spielen liegt im Triathlon der Fokus dann auf dem Ironman Hawaii, am 26. Oktober wird der berühmteste Dreiteiler stattfinden. Die lange Distanz hat jedoch in Deutschland einen großen Bruch erlebt, mit Sebastian Kienle und Ihnen sind zwei Dinosaurier der Sportart abgetreten. Gibt es dennoch vielversprechende Nachkömmlinge, die den Stellenwert halten können?
Frodeno: Mit Sicherheit! Mit Patrick Lange haben wir noch einen zweimaligen Sieger von Hawaii und ein heißes Eisen im Feuer. Der ist gerade in diesen Bedingungen nochmal extrem heiß. Er weiß auch, dass seine Tage nicht ewig weitergehen werden und wird hoffentlich seine Chance nutzen können. Wir haben ein paar junge Athleten, die nachkommen, die aber glaube ich, noch nicht ganz da sind. Es wird noch ein bis zwei Jahre dauern, bis wir auf Hawaii wieder ganz vorne mitreden. Aber wir haben tolle Talente: Jan Stratmann hat gerade ein gutes Debüt in Roth gefeiert. Und viele, viele andere, die konstant gute Leistungen zeigen und vor allen Dingen diese Stimmung hochhalten, in der eben nur die ganz großen Erfolge zählen. Das war schon immer unser Erfolgsrezept in Deutschland.
SPORT1: Und Deutschland hat Anne Haug. In Roth holte sie sich in acht Stunden und zwei Minuten die Weltjahresbestzeit. Welches Kompliment kann man ihr für ihre Leistungen im zugegeben fortgeschrittenen Triathlon-Alter überhaupt noch machen?
Frodeno: Es gibt wenige, die so viel Liebe und Leidenschaft in ihr Handwerk stecken wie Anne Haug. Ich meine, sie ist im zarten Alter von 41! Einen solchen Rekord aufzustellen, ist extrem beeindruckend. Vor allen Dingen, weil sie nochmal an ihren Schwächen gearbeitet hat und ihre Stärke noch mehr ausgespielt hat. Sie ist den Marathon in zwei Stunden und 38 Minuten gelaufen, das war unvorstellbar. Ich gönne es ihr einfach! Sie ist schon so lange dabei und hat so viele Rückschläge erlebt.