Riesen-Überraschung am vorletzten Tag der Leichtathletik-Wettkämpfe bei den Olympischen Spielen in Paris!
DLV verschmähte Ogunleye einst
Nachdem zuvor die deutsche Sprint-Staffel der Frauen Bronze geholt hatte, setzte Yemisi Ogunleye im Kugelstoßen der Frauen noch einen drauf.
Mit exakt 20,00 Meter schnappte sich die Athletin der MTG Mannheim die Goldmedaille. In ihrem letzten Versuch konterte Ogunleye die Neuseeländerin Maddison Lee-Wesche, die im fünften Durchgang 19,86 Meter gestoßen hatte. Dritte wurde die Chinesin Jiayuan Song (19,32 m).
Ogunleye stürzt beim ersten Versuch
Ihre ersten Gedanken nach dem Triumph galten ihrer Trainerin Iris Manke-Reimers: „Dass sie diesen Moment miterlebt haben, war unglaublich. Ich habe sie erst einmal in den Arm genommen. Und wir haben gemeinsam geweint: Tränen der Freude“, sagte sie in einer Presserunde.
Einen kleinen Schreckmoment musste sie überstehen, als sie im ersten Versuch ausrutschte und stürzte. „Ich bin in meinem ersten Versuch auf mein Knie gefallen, also hat er (der Regen, d. R.) definitiv gestört. Aber ich hatte schon vor einer Woche das Gefühl, dass es regnen wird. Ich habe mich im Training darauf vorbereitet.“
Dann habe sie die Männer im Ring stürzen sehen und habe gedacht: ‚Oh Gott, hoffentlich wird das nicht passieren.‘ Im ersten Versuch ist es mir passiert. Dann hatte ich die Entscheidung, ob ich wieder aufstehe. Ich bin wieder aufgestanden.“
Vor ihrem letzten Versuch habe sie „eine so unglaubliche Ruhe in diesem Moment verspürt, die nicht von dieser Erde ist“, sagte die 25-Jährige im ZDF. „Ich war so fokussiert und in dem Moment da. Meine Trainerin hat mir vor dem Versuch gesagt: ‚Yemi, der Weg ist noch nicht zu Ende. Du kannst dich noch zu Gold stoßen. Glaub daran, dass du es kannst und, dass du Berge versetzen kannst, wenn du daran glaubst.‘“
Ogunleye: „Ich weiß noch, wie ich ungläubig gelacht habe“
Anschließend schilderte die gläubige Christin detailliert, wie sie diesen letzten Versuch erlebte. „Ich bin in den Ring gegangen, habe die Hände nach oben gereckt und gesagt: ‚Gott, das ist der Moment, den du mir versprochen hast.‘ Ich gehe da mit vollem Glauben rein und gebe alles.“
Als sie sah, dass die Kugel bei 20 Metern gelandet war, sei dies „unglaublich“ gewesen. „Mir fehlen die Worte, weil mein Herz so erfüllt mit Dankbarkeit ist. Ich bin dankbar für mein Team, die an mich geglaubt haben, als ich es selber nicht getan habe.“
28 Jahre nach Astrid Kumbernuss holte damit wieder eine Kugelstoßerin Olympia-Gold für Deutschland, es war zudem die vierte Medaille für die deutschen Leichtathleten in Paris.
Nachdem sie schon im März völlig unerwartet die Silbermedaille bei der Hallen-WM gewonnen hatte und drei Monate später bei der EM in Rom Bronze holte, habe ihre Mutter zu ihr gesagt: „Jetzt fehlt noch eine Medaille, Yemi.‘ Ich weiß noch, wie ich ungläubig gelacht habe. Gold bei den Olympischen Spielen? Diesen Schritt zu gehen, mutig zu sein und zu wissen, dass Gott mich liebt, mit oder ohne Medaille. Das soll den Wert nicht runterspielen, aber das hat mich bis zu dem heutigen Tag getragen.“
Zwei Kreuzbandrisse lassen Zweifel aufkommen
Dass Ogunleye jedoch auch im bislang größten Moment ihrer Karriere buchstäblich die andere Seite der Medaille im Blick hat, könnte auch an früheren Tagen in ihrem Sportlerleben liegen.
Weil sie sich als Jugendliche zweimal einen Kreuzbandriss zugezogen hatte, stand ihre Karriere damals auf der Kippe, auch weil sich der DLV (Deutscher Leichtathletik-Verband) nicht wirklich für sie interessierte.
„Ich war mitten im Studium und hatte noch nicht die finanzielle Absicherung“, erzählte sie im März bei SPORT1. „Durch den Verband habe ich nicht die erhoffte Rückmeldung bekommen - und das hat mich ein bisschen ins Zweifeln gebracht.“
Beim DLV habe man sie fast schon gleichgültig behandelt, bedauerte sie. „Ich hatte das Gefühl, dass es vom Verband nicht das große Interesse gab, ob ich jetzt aufhöre oder nicht. Die Bundestrainer haben nie gesagt: ‚Du kannst 19 Meter stoßen‘ - das hat mir einfach gefehlt.“
„Bist du jetzt bereit, weitere Opfer zu bringen und den Weg zu gehen?“
Die Zweifel hätten sich verfestigt, nachdem sie eine Absage von der Landespolizei wegen ihres Kreuzbandrisses bekommen habe. „In dieser Phase habe ich abgewogen: ‚Okay. Bist du jetzt bereit, weitere Opfer zu bringen und den Weg zu gehen?‘ Da macht man sich halt schon Gedanken, wenn man 20 Jahre alt ist und darüber hinaus. Wie willst du dein Leben so weiterleben?“
Doch Ogunleye, deren Vater aus Nigeria stammt, kämpfte sich zurück. Dass sie nun mit 25 Jahren plötzlich zur Weltspitze gehört, lag an mehreren glücklichen Fügungen, zu denen am Ende sogar der zweite Kreuzbandriss gehörte.
Weil ihr Knie die Belastung des Angleitens nicht mehr standhielt, musste sie zwangsweise auf die Drehstoßtechnik umsteigen – es war der Startschuss in eine Erfolgsstory, die mit dem Olympiasieg einen vorläufigen Höhepunkt erlebte.