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Olympia 2024: Wackelt jetzt sogar der umstrittene DDR-Rekord?

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Olympia 2024: Wackelt jetzt sogar der umstrittene DDR-Rekord?

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Wackelt jetzt sogar der DDR-Rekord?

Der Weltrekord über 400m der Frauen ist einer der ältesten in der Leichtathletik - und zugleich der wohl umstrittenste. Über Jahrzehnte schien er unerreichbar, doch bei Olympia in Paris mehren sich die Anzeichen, dass die Fabelzeit aus der DDR-Ära doch ins Wanken geraten könnte.
Marileidy Paulino (m.) läuft der Konkurrenz davon
Marileidy Paulino (m.) läuft der Konkurrenz davon
© IMAGO/Xinhua
Jonas Nohe
Jonas Nohe
Der Weltrekord über 400m der Frauen ist einer der ältesten in der Leichtathletik - und zugleich der wohl umstrittenste. Über Jahrzehnte schien er unerreichbar, doch bei Olympia in Paris mehren sich die Anzeichen, dass die Fabelzeit aus der DDR-Ära doch ins Wanken geraten könnte.

Die Zuschauer im Stade de France staunten nicht schlecht und es ging ein Raunen durchs weite Rund, als Marileidy Paulino aus der Dominikanischen Republik im zweiten Halbfinale über 400m bei den Olympischen Spielen in Paris aus der letzten Kurve auf die Zielgerade einbog.

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Schon zu Beginn der Schlusskurve hatte sie zu den drei vor ihr laufenden Starterinnen auf den Außenbahnen aufgeschlossen, auf die letzten 100 Meter bog sie mit einem Vorsprung von rund zehn Metern auf sämtliche Konkurrentinnen ein.

Die Uhr hatte zu diesem Zeitpunkt gerade die 35-Sekunden-Marke überschritten, im offiziellen Rennbericht wurde nach 300 Metern eine Zwischenzeit von 35,33 Sekunden für Paulino verzeichnet. Der eine oder andere Beobachter stellte sich schon die Frage, ob hier gleich Historisches passieren könnte.

DDR-Sprinterin Koch hält umstrittenen Weltrekord

Der Weltrekord über die 400m der Frauen ist einer der ältesten überhaupt in der Leichtathletik - und zugleich einer der umstrittensten: Am 6. Oktober 1985 war DDR-Sprinterin Marita Koch im australischen Canberra nach 47,60 Sekunden ins Ziel gekommen. Eine Marke, an die seither nicht annähernd jemand heranreichen konnte.

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Die nächstbeste Zeit in der Geschichte der 400m gehört mit 47,99 Sekunden in Jarmila Kratochvilova jener Frau, die bis heute den ebenfalls nicht unumstrittenen Weltrekord über 800m hält - und der passenderweise am selben Tag in München aufgestellt wurde, als Koch eben jene 47,99 Sekunden über 400m am anderen Ende der Welt unterbot.

Um zu verstehen, in welch eigenen Sphären sich Kochs Rekord bewegt: Zwischen dem Aufstellen der Bestmarke 1985 und 2019, also 34 Jahre lang, schaffte es weltweit nur eine Frau (Marie José-Pérec bei Olympia 1996 in 48,25 Sekunden), schneller als 48,63 Sekunden zu laufen. Allyson Felix, erfolgreichste Leichtathletin bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften sowie Weltmeisterin und mehrfache olympische Medaillengewinnerin über 400m, war in ihrer rund 20-jährigen Karriere nie schneller als 49,26 Sekunden.

„Das ist wirklich ein hart zu knackender Rekord“, sagte Felix in Paris auf SPORT1-Nachfrage zu Kochs Fabelzeit, „aber man sollte niemals nie sagen. Wir sehen aktuell über die 400m Zeiten, die wir so schon länger nicht mehr erlebt haben.“ Sie glaube, „dass wir uns schon hier bei den Spielen auf einen Leckerbissen freuen können“.

Paulino glaubt an neuen 400m-Weltrekord

Und damit zurück zu Paulino: Die bremste im Halbfinale im Gefühl des sicheren Weiterkommens schon rund 50 Meter vor dem Ziel merklich ab und kam dennoch in beachtlichen 49,21 Sekunden ins Ziel. „Das Publikum ist gut, die Bahn ist schnell und wir können gute Zeiten erwarten“, meinte die 27-Jährige hinterher - und sprach dann tatsächlich die folgenden Worte aus: „Wenn ich die richtigen Bedingungen habe, können wir sogar an den Weltrekord denken.“

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Jenen Weltrekord, zu dem die BBC einmal die Frage stellte: „Marita Koch: Können wir glauben, dass ihr 400m-Weltrekord sauber ist?“. Eine verständliche Frage angesichts der bekannten Doping-Praktiken in der DDR, die sogar dazu führten, dass sich einige Leichtathletinnen im Nachhinein aus Rekordlisten streichen ließen.

Doping? Koch beteuert ihre Unschuld

Marita Koch gehört nicht dazu, sie hat immer ihre Unschuld beteuert. „In Helsinki (bei der Leichtathletik-WM 1983, Anm. d. Red.) musste ich dreimal zur Dopingprobe und war immer clean. Das gilt für meine Karriere überhaupt, denn ich war - erst recht als Medizinstudentin - eine sehr mündige Athletin“, betonte sie 2005 in der FAZ. 1986 hatte sie im DDR-Fernsehen erklärt, das „sogenannte Geheimnis“ hinter den sportlichen Erfolgen der DDR sei „eine ganz normale Sache - der real existierende Sozialismus in unserem Arbeiter- und Bauernstaat“.

Als Paulino nach ihrem Halbfinal-Lauf auf die Gründe für die starke Generation von Sprinterinnen und Sprintern aus der Dominikanischen Republik angesprochen wurde, klang das nicht ganz so pathetisch, aber irgendwie doch ähnlich.

„Unser Land bringt großartige Athleten hervor, insbesondere in den letzten beiden Jahren. Es geht nur um harte Arbeit und den Glauben an Gott“, sagte sie, ehe sie mit Blick auf sich selbst ergänzte: „Und ich bin auch eine sehr ehrgeizige Person.“ Sie liebe den Wettkampf und genau darum gehe es in ihrem Sport, „da zu sein, wenn es darauf ankommt, und sich nicht zu verstecken“.

Hochrechnung lässt auf neue Fabelzeit hoffen

Ob nun wirklich Gottesglaube und die entsprechende Einstellung allein für den Erfolg verantwortlich sind oder nicht: Im Halbfinale, so viel lässt sich sagen, war Paulino da. Wie nah sie dem Weltrekord gekommen wäre, wenn sie nicht hätte austrudeln lassen? Schwer zu sagen, aber im Durchschnitt lief sie auf den ersten 300 Metern eine Zeit von 11,78 Sekunden pro 100 Meter - was hochgerechnet auf eine 47,11 hinauslaufen würde.

Klar: Die letzten 100 Meter sind generell die langsamsten, ein wenig Puffer zu den 47,60 Sekunden von Marita Koch wäre aber noch vorhanden gewesen. Und im Startblock hatte Paulino sogar die langsamste Reaktionszeit aller Athletinnen in ihrem Lauf - auch da ist also noch Luft nach oben.

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„Es war ein guter Lauf und ich will mein Maximum im Finale zeigen“, kündigte sie anschließend an: „Ich fühle mich gut und stark.“ Stark genug, um tatsächlich den Weltrekord anzugreifen, über den der Tagesspiegel zum 25. Jubiläum im Jahr 2010 noch getitelt hatte: „Marita Koch: Zu schnell für die Gegenwart“?

US-Star Felix prophezeit „Leckerbissen“

Die Gegenwart im Jahr 2024 ist allerdings, auch das gehört zur Einordnung dazu, eine andere als noch vor 14 Jahren: Vermehrt haben in den vergangenen Jahren Läuferinnen zumindest die 49-Sekunden-Marke deutlich geknackt. Neben Paulino, deren persönliche Bestzeit bei 48,76 Sekunden steht, sind im 400m-Finale am Freitagabend in der Polin Natalia Kaczmarek (48,90 Sekunden in diesem Jahr) und vor allem in Salwa Eid Naser aus dem Bahrain mit einem persönlichen Rekord von 48,18 Sekunden gleich mehrere Läuferinnen dabei, die sich gegenseitig in neue Höhen pushen könnten.

Dass obendrein die Bahn im Stade de France für Rekordzeiten gut ist, hat sich in den vergangenen Tagen des Öfteren gezeigt: Sydney McLaughlin-Levrone pulverisierte über die 400m Hürden ihren eigenen Weltrekord von 50,65 Sekunden und drückte diesen gleich um satte 28 Hundertstelsekunden. Über die 400m der Männer sprintete der US-Amerikaner Quincy Hall in 43,40 Sekunden zur fünftschnellsten je gelaufenen Zeit, auf den Plätzen dahinter folgten ein Europarekord und zwei nationale Bestzeiten.

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Gute Voraussetzungen also, dass die Leichtathletik-Fans den von Allyson Felix prophezeiten „Leckerbissen“ zu sehen bekommen. Die Zuschauer im Stade de France sollten sich besser darauf einstellen, erneut in Staunen versetzt zu werden.