Die meisten TV-Zuschauer kennen ihn vorwiegend aus dem Fußball - aber auch zu Olympia hat Béla Réthy eine enge Verbindung.
TV-Legende über gröẞten Fauxpas
Seit den Olympischen Spielen 1988 in Seoul kommentierte der heute 67-Jährige für das ZDF nahezu durchgehend Sportarten wie Wasserball, Feldhockey und Langlauf. In Paris ist die in den Ruhestand verabschiedete Legende nicht mehr dabei.
Im Gespräch mit SPORT1 erzählt Réthy, wie er die Olympischen Spiele von Paris verfolgt und was ihn an seinem Karriereende störte. Zudem gibt er zahlreiche Anekdoten preis: von einem beinahe verschlafenen Wasserball-Spiel bei Olympia 1992 bis zu einer Bar-Begegnung mit einem der größten Sportler der Geschichte.
SPORT1: Herr Réthy, störe ich Sie im Urlaub oder beim Olympia schauen?
Béla Réthy: Ich bin Rentner, ich habe jetzt immer Urlaub (lacht). Ich arbeite schon noch freiwillig dieses und jenes, aber ich gucke wirklich viel Olympia. So viel, wie noch nie. Ich war ja seit den Winterspielen 1992 in Albertville mit Ausnahme von Sotschi 2014 bei allen olympischen Spielen in verschiedenen Funktionen dabei. Da hast du keine Zeit, das Programm zu gucken. Ich war selbst oft der Programmentscheider, der zuständig dafür ist, wo hingeschaltet wird. Jetzt entscheide ich selbst, wo ich hinschalte.
Olympische Spiele 2024: Réthy faszinieren alle Sportarten
SPORT1: Wohin schaltet denn Béla Réthy privat?
Réthy: Das ist ganz variabel, man entdeckt ständig neue Sportarten. Ich habe mir länger das Bouldern angeguckt. Kletternde Menschen, das fand ich toll. Ich bin auch fasziniert vom 3x3-Basketball, die deutschen Damen waren herausragend. Also alles Sportarten und Wettbewerbe, die es in meiner Zeit gar nicht gegeben hat. Aber natürlich auch Hockey, was ich viele Jahre lang selbst kommentiert habe. Da habe ich am Montagnachmittag das dramatische Ausscheiden der Danas betrachtet, wieder gegen Argentinien. Das Viertelfinal-Aus gegen Argentinien in Tokio habe ich noch selbst kommentiert. Aber ich gucke generell quasi alles, was mir vor die Flinte kommt: Bogenschießen habe ich für mich entdeckt, das sollte ich vielleicht mal machen, das ist nicht so laufintensiv (lacht). Ich werde in ein Loch fallen, wenn Olympia vorbei ist. Deshalb fahre ich jetzt nach Paris.
SPORT1: Ein privater Ausflug zu den Olympischen Spielen?
Réthy: Ich werde privat mit einem Kumpel, der Kameramann ist und auch früher ganz viele Spiele begleitet hat, für vier Tage nach Paris fahren. Wir haben zwar noch keine Tickets, aber wir lassen uns von der Atmosphäre dort anstecken. Und nach einem kräftigen Mittagessen schauen wir vielleicht einmal ins Netz: Wo ist heute Abend was los? Wo gibt es noch Tickets? Und dann dort einfach hingehen.
SPORT1: Gab es für Sie bisher schon diesen einen Olympia-Moment, den sie herausgreifen können und der sie besonders fasziniert hat?
Réthy: Jedes Spiel gebiert seine neuen Helden. Leon Marchand war mir beispielsweise noch gar kein Begriff, aber ich bin jetzt auch kein Schwimm-Fachmann. Ich war auch fasziniert von Lukas Märtens. Wir waren nicht sonderlich verwöhnt mit Medaillen im Becken in den vergangenen Jahren, das hat mir imponiert. Und: Ich habe meine Faszination für das Dressurreiten entdeckt. Da habe ich ein besonderes Sehverhalten. Ich achte auf die Musik und habe beispielsweise bei einer Dänin auf die linke Hufe des Pferdes geachtet. Das schafft kein Musiker so taktgenau, das war sensationell.
Réthy über Sostmeier: „Das ist unglaubliche Posie“
SPORT1: Ihr Ex-Kollege beim Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk, Carsten Sostmeier, ist mit seinem Dressur-Kommentar bei den Spielen viral gegangen. Holen derartige Emotionen auch Sie als Mann vom Fach ab?
Réthy: Das ist unglaubliche Poesie! Ich bin ein Freund der Literatur und des geschliffenen deutschen Wortes und kann nur sagen: Carsten Sostmeier ist sensationell. Er beginnt manchmal einen Satz und weiß gar nicht, wie der zu Ende geht. Aber er geht immer poetisch zu Ende. Das ist eine herausragende Performance, gerade, wenn man mitbekommt, wie die Sprache immer mehr verschludert. Dann ist das ein Faszinosum.
SPORT1: Sie selbst sind bereits Ende der 1980er-Jahre als Kommentator zu diversen olympischen Sportarten gekommen, haben anfangs Wasserball kommentiert, später auch Hockey. Wie kam es dazu?
Réthy: Ich habe 1988 in Seoul und 1992 in Barcelona Wasserball kommentiert, im Hinblick auf eine bevorstehende Fußball-Karriere. Der damalige Sportchef und mittlerweile leider verstorbene Karl Senne hat den Kollegen, die für den „großen“ Fußball vorgesehen waren, erst einmal Mikrofon-Sicherheit verpassen wollen. Und beim Hockey war es ganz einfach: Wenn man als erfahrener Reporter bei Olympischen Spielen dabei sein wollte, wurden wir gebeten uns einer olympischen Sportart anzunehmen. Ich habe dann mit Philipp Crone, der 2005 selbst Weltmeister wurde und inzwischen Journalist bei der Süddeutschen Zeitung ist, zusammen kommentiert. Wir haben vier Olympische Spiele zusammen gemacht und einmal Gold geholt: 2012 in London. Da gab es die legendäre Partynacht der Hockey-Nationalmannschaft auf einem Schiff mit erheblichem Sachschaden anscheinend. Die Spieler hatten mich eingeladen mitzufeiern. Aber irgendein Instinkt in meinem journalistischen Herzen hat mir gesagt: ‚Da gehst du mal nicht mit!‘ Und das war ganz gut so.
Réthy verschlief einst den Start einer Übertragung
SPORT1: Bei Olympia 1992 in Barcelona sind Sie noch nicht so früh ins Bett gegangen. Es kam zu einer ikonischen Wasserball-Episode, über die sie heute lachen können…
Réthy: Da haben sich über die Jahre immer mehr Legenden darum gebildet. Jeder Praktikant seit 1992 kam in den Sender und meinte: ‚Sie sind doch der, der das Wasserball-Spiel verschlafen hat.‘ Die ersten Minuten der Wasserball-Übertragung des Vorrundenspiels Deutschland gegen Tschechien war nur das Wasserplätschern zu hören.
SPORT1: Weil Sie zu spät kamen…
Réthy: In der Tat. Für einen in der Regel 25-minütigen Weg von Castelldefels auf den Olympia-Berg von Montjuic haben wir rund anderthalb Stunden gebraucht. Und ich habe ein bisschen verschlafen, weil wir in der Nacht zuvor erst um halb vier ins Bett gegangen sind. Aber das hatte einen Grund: Ich habe dort den Olympia-Rückblick geschnitten - und das natürlich nachts, weil während des Tages die Schnittplätze wegen der Aktualität belegt waren. So waren wir erst spät nachts wieder im Hotel, wurden dort allerdings noch an der Bar gesichtet. Man kann ja nicht nach einem dreizehnstündigen Arbeitstag einfach den Tsukahara (Element im Turnen; Anm. d. Red.) ins Bett machen (lacht). Also haben wir noch einen kleinen Absacker genommen, wurden gesehen und der Grund für das Verschlafen war plötzlich der 20-minütige Baraufenthalt. Das hört sich aber auch besser an.
SPORT1: Der Grund änderte jedenfalls nichts daran, dass Sie nicht rechtzeitig im TV zu hören waren. Wie ging das Malheur denn aus?
Réthy: Man hatte keine Handys, über die man sich melden konnte. Das muss man sich mal vorstellen, das war ja nicht zu Napoleons Zeiten, sondern 1992! Da war ich nervös. Gerade, als wir ankamen. Heute muss man sich nur noch hinsetzen und den Kopfhörer einstöpseln. In der Wasserball-Vorrunde war das damals anders. Man musste zu einem technischen Büro gehen, sich als deutsches Fernsehen ausweisen. Dann kam ein sehr gemütlicher Handwerker und brachte die ganze technische Einheit mit, der hat sich nicht sonderlich beeilt. Ich sagte nur ‚Vamos, vamos, vamos‘ - und er schlich da in Richtung Reporterplatz. Dann habe ich im zweiten Viertel im Sendezentrum anrufen können und die Reaktion war: ‚Ach! Schön, dass du da bist.‘
SPORT1: Hatten Sie kurzfristig Bammel vor den Konsequenzen, gar dem Jobverlust?
Réthy: Ursprünglich hatte mein Chef einen gelben Lufthansa-Umschlag herausgeholt und meinte: ‚Dein Flieger geht heute Abend um 18.30 Uhr.‘ Ich habe den Umschlag ohne große Empörung angenommen und wollte gehen, weil ich dachte ‚Ich bin bis dahin so durch Butter gegangen, jetzt kriegst du mal einen in die Schnauze.‘ Dann sagte er: ‚Setz dich hin du Idiot, ich werde doch nicht einen meiner besten Leute heimschicken. Aber es hätte passieren können.‘
SPORT1: Genau das war der Startpunkt ihrer legendären Karriere, richtig?
Réthy: Zwei Tage später kam mein Chef zu mir und meinte: ‚Nicht nur du machst Fehler, sondern wir auch.‘ Es gab direkt nach Olympia den deutschen Supercup zwischen Hannover 96 und dem VfB Stuttgart. Dort hatte man einen Kollegen eingeteilt, der den Sender kurz zuvor verlassen hatte. Man hatte also keinen Kommentator. Mir wurde mitgeteilt, dass ich nach Hannover fahren solle für mein erstes Fußball-Livespiel, drei Tage nach der Wasserball-Geschichte. So schließt sich der Kreis von den kleinen Sportarten zum großen Fußball.
Réthy fiebert bei Olympia mit den deutschen Athleten
SPORT1: Haben sie später noch einmal eine ähnlich besondere Olympia-Anekdote erlebt?
Réthy: Ein Vierteljahr vor den Winterspielen 2018 in Pyeongchang ist unser Langlauf-Kommentator ausgefallen. Ich bin dann gebeten worden, mich in den Langlauf einzuarbeiten. Jeden Tag saß ich also da, auch im Livestream, bei minus 20 Grad und habe Langlauf kommentiert. Ich habe auch schon Frauen-Skispringen gemacht und Nordische Kombination. Das war schon wirklich herausfordernd. Deutschland gegen Brasilien im WM-Finale machst du im Vergleich dazu aus dem Hut.
SPORT1: Brasilien ist ein gutes Stichwort. Sie sind als Kind ungarischer Eltern im brasilianischen Sao Paulo aufgewachsen, haben bis zu ihrem 13. Lebensjahr kein Wort Deutsch gesprochen. Dann sind Sie an ein ungarisches Internat in Bayern ausgewandert und haben eine beeindruckende journalistische Karriere in Deutschland hingelegt. Mit welcher Nation fiebern Sie bei Olympia eigentlich am meisten mit?
Réthy: Ich lebe seit mehr als 50 Jahren in Deutschland, also habe ich auch den deutschen Blick. Aber ich habe meine Sprachkenntnisse auch zum Vorteil nutzen können. 1992, noch bevor ich das Wasserball-Spiel verpennt habe, war ich beim Schwimmen. Es gab dort einen ungarischen Superstar: Krisztina Egerszegi. Sie hat einige Goldmedaillen gewonnen, die Abstufung der heutigen Frau Ledecky. Da habe ich sie auf Ungarisch angesprochen, als sie aus dem Becken stieg. Aufgrund der Sprache hat sie reagiert, wir hatten sie live auf dem Sender und ich habe dann konsekutiv übersetzt.
Réthy erlebte magischen Moment mit Pelé
SPORT1: Auch die portugiesische Sprache hat in ihrer Karriere geholfen. Nicht nur bei Olympia, sondern auch bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko.
Réthy: Da habe ich Pelé kennengelernt, er war TV-Experte bei Globo und wir waren im selben Hotel untergebracht. Ich war schon drei Wochen vor der WM dort und hatte durch meine kommunikative Ader schon das ganze Hotel im Griff. Und: Ich hatte schon einen Stammplatz an der Bar. Da saß ich an der Ecke und habe eine Margarita getrunken. Der Barkeeper hat einige Messing-Schilder gekloppt und auf einem stand dann ‚Don Margarita‘ drauf. Kaum saß ich da, kam ein Typ mit tiefer Stimme auf Englisch zu mir: „You‘re supposed to be ‚Don Margarita‘?“ Das war Pelé. Dann habe ich auf Portugiesisch geantwortet und man kam ins Gespräch. Vier Jahre später bei der WM in Italien gab es dann einen riesigen Pulk von Menschen, Pelé sah mich, löste sich aus dem Haufen, umarmte mich und sagte ‚meu amigo` (zu Deutsch: mein Freund). Mein Kollege Marcel Reif sagte mir danach: ‚Das hast du arrangiert! Zu mir kommt Rudi Michel (ehem. ARD-Journalist; Anm. d. Red.) und zu dir kommt Pelé.‘
SPORT1: Wie besonders waren für Sie deshalb die Fußball-WM 2014 und die Olympischen Spiele 2016 in Brasilien?
Réthy: Super! Wenn das Arbeiten beginnt und das rote Aufnahme-Lichtlein brennt, dann kann das in Kasachstan sein, oder auf Madagaskar. Aber ich bin ungarisch-portugiesisch aufgewachsen und das erste Spiel der WM 2014 zwischen Kroatien und Brasilien fand auch noch in der Stadt statt, in der ich aufgewachsen bin, in Sao Paulo. Das war total emotional! Ich habe anschließend noch zwei Wochen Urlaub gemacht dort (lacht).
„Ich hätte mir das Ende meiner Karriere attraktiver vorstellen können“
SPORT1: Ihr letztes Mal Olympia waren dann die „Corona-Spiele“ von Tokio. Ärgert Sie das, zumal zuvor so viele tolle Erlebnisse stattgefunden haben?
Réthy: Klar, jetzt kommen die ganzen geilen Sachen: Olympia in Paris, Fußball-WM in Amerika, Kanada und Mexiko, Olympia in Los Angeles und danach in Brisbane. Sagen wir mal so: Ich hätte mir das Ende meiner Karriere attraktiver vorstellen können. In Paris wäre ich gerne dabei gewesen, alleine diese Stimmung in der ganzen Stadt, alles ausverkauft ...
SPORT1: Dann wären Sie immerhin schon im Südwesten Europas. Sie hatten sich nach ihrem Karriereende vorgenommen, einen Bulli zu kaufen und sämtliche Weingüter auf der iberischen Halbinsel abzuklappern. Wie steht es um dieses Vorhaben?
Réthy: So weit ist es noch nicht gekommen. Ich werde aber im Herbst mit einem ganz normalen Auto für zwölf Wochen nach Portugal fahren. Dort habe ich mir ein Apartment gemietet mit Meeresblick, nehme zehn Bücher mit und nebendran ist Fernando. Der macht die beste Dorade oder Seezunge. Die grillt er dann für neun Euro und wir reden über Fußball.