Eine Nachricht hat jüngst den Schwimmsport aufhorchen lassen: Bei den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles werden erstmals 50-Meter-Wettkämpfe in Rücken, Brust und Schmetterling ins Programm aufgenommen. Für manche eine lang ersehnte Aufwertung des Sports, für andere ein Wettbewerb zu viel.
Deutschland hat „das verschlafen“
Einer, der zu dieser Entwicklung eine besondere Beziehung hat, ist Mark Warnecke. Der heute 55-Jährige war als mehrmaliger Weltmeister und Europameister über 50 Meter Brust einer der erfolgreichsten Schwimm-Sprinter Deutschlands und hätte von dieser Entscheidung zu seiner aktiven Zeit massiv profitiert.
Im Gespräch mit SPORT1 erklärt Warnecke, warum Deutschland diese Entwicklung „verschlafen“ hat, welche Chancen die neuen Wettbewerbe bieten und wie sie den Schwimmsport für Zuschauer attraktiver machen könnten.
SPORT1: Herr Warnecke, Sie haben im Vorfeld gesagt, dass Sie bei der Nachricht, dass die 50-Meter-Wettkämpfe in Rücken, Brust und Schmetterling ab 2028 olympisch sein werden, ein Tränchen vergossen haben – war das eines der Freude oder ein kleiner Anflug von Frust, dass die Entscheidung nicht ein paar Jahre früher gefallen ist?
Mark Warnecke: Frust ist das falsche Wort, aber es geht schon in die Richtung. Es geht eher Richtung Frust als Freude. Es wäre natürlich schön gewesen, wenn das früher gekommen wäre. Einerseits sage ich mir ‚Scheiße, so einen Olympiasieg hätte ich auch gern gehabt‘ und andererseits ist es aber auch schade für die Nachfolgegeneration, weil es für die jetzt auch schon zu spät ist.
Warnecke: „Es interessiert kaum jemanden“
SPORT1: Was bedeutet die Entscheidung für den Schwimmsport insgesamt – sportlich und symbolisch?
Warnecke: Der Schwimmsport muss wieder verständlicher und attraktiver für ein breites Publikum werden. Nehmen Sie das Freiwasserschwimmen – da sind wir in Deutschland sehr erfolgreich, aber es interessiert kaum jemanden außerhalb der Szene. Sprintdistanzen hingegen bieten ein ganz anderes Format: Die Athleten sehen athletisch aus und sie müssen auf den Punkt Leistung bringen – mit maximaler Kraft und perfekter Technik. Das ist für mich persönlich die höchste Kunst im Sport. Und für Zuschauer deutlich spannender.
SPORT1: Also kann diese Änderung auch das Zuschauerinteresse wieder steigern?
Warnecke: Bei anderen Schwimmdistanzen kannst du dir noch auf der Strecke überlegen, was optimiert werden muss, das kannst du im Sprintbereich nicht. Und das ist das, was mir ganz persönlich und ich denke, auch den Zuschauern mehr Spaß macht. Wenn sich der Sprint weiter spezialisiert, wird das irgendwann eine Augenweide werden. Das fängt schon beim Start an: Ein 1500-Meter-Krauler gleitet irgendwie ins Wasser, ein Sprinter reißt den Block weg. Das wird in einer Perfektion sein, auch die Eintauchphasen und die Eintauchwinkel. Und das ist das Tolle, das reizt mich. Das wird schön werden für uns als Zuschauer, das bin ich ja jetzt.
SPORT1: In Los Angeles werden statt 35 nun 41 Goldmedaillen im Schwimmen vergeben. Was heißt das konkret für die Athletinnen und Athleten?
Warnecke: Das hätte man kommen sehen können. Aber wir haben das verschlafen – und das finde ich ein bisschen traurig. Man hätte viel früher anfangen müssen, für diese Strecken gezielt auszubilden, sodass wir jetzt fertige Sprinter hätten, auch im Nachwuchs. Stattdessen fallen die in der Jugend noch immer durchs Raster. Wer zum Beispiel in der Jugend keine 200-Meter-Zeiten bringt, fällt aus dem Kader und aus der Förderung. Das ist komplett am Thema vorbei. Man hat damit die Entwicklung schon im Ansatz unterbunden. Jetzt, wo diese Strecken olympisch sind, ist es offensichtlich: Wir hätten längst Spezialisten haben können, vielleicht sogar als eine der ersten Nationen. Aber das haben wir verpasst. Jetzt können wir nur noch umwandeln und schauen, dass wir Talente finden. In der Leichtathletik ist die Attraktion der 100m Sprint – so etwas wollen die Leute sehen. Darauf hätte man sich vorbereiten müssen, dann hätten wir jetzt alles in der Hand gehabt und hätten auch Riesenvorteile gehabt. Man hätte sich viel besser drauf vorbereiten können und das finde ich traurig.
Sprintstrecken? „Die Reinform von Athletik“
SPORT1: Sie sind selbst mit 35 Jahren Weltmeister geworden – eben genau über die 50 Meter. Haben erfahrene Schwimmer und Schwimmerinnen in solchen Sprintstrecken psychologische Vorteile?
Warnecke: Es gibt schon ein paar, die dadurch neue Chancen haben. Gerade ältere Athleten haben da Vorteile, weil der Sprintbereich eine hohe psychische Belastung ist. Du kannst dich nicht in den Lauf reinarbeiten – im Sprint muss ab dem ersten Moment alles passen. Da hilft Erfahrung natürlich. Aber die Sportler der Zukunft werden ganz anders trainieren. Denen sagt man mit zwölf oder 13: Du machst jetzt hauptsächlich Kraftraum und Technik. Und dann schwimmst du eben keine 12-15 Kilometer mehr am Tag. Ich habe selbst auch schon mal bis zu 20 Kilometer pro Tag trainiert, aber das ist absolut Gift für einen Sprinter. In der Leichtathletik kommt auch kein 200-Meter-Läufer auf die Idee, einen Marathon zu laufen, jeden Tag. Wir werden dann ganz andere Generationen von Schwimmern ausbilden müssen. Und das wird für mich eine total spannende Sache! Das ist die Reinform von Athletik: Schwimmen gepaart mit dieser Kraftkomponente.
Warum nicht 20 Jahre früher?
SPORT1: Juckt es Sie selbst ein bisschen in den Fingern? Würden Sie gerne noch einmal über die 50 Meter ins Becken springen?
Warnecke: Ich schaffe es leider nicht mehr, nicht einmal in die alte Form zurückzukommen, mit 55 Jahren ist das utopisch und ich kann mich da nicht einmal mehr reindenken. Zudem sind die Schwimmer heute schon mehr Sprinter als ich war. Aber was mich reizt, ist die Vorstellung, solche Athleten zu formen, sie zu entwickeln und die neuen Strukturen, die es braucht, zu schaffen. Das wird alles schon spannend. Da werden sehr athletische Typen kommen, darauf freu ich mich. Mich ärgert es nur, dass es nicht vor zwanzig Jahren gewesen ist. Dann hätte ich mich spezialisieren können. Ich glaube, ich war sieben Jahre lang über 50 m Brust ungeschlagen weltweit – eine schöne Basis zu träumen.
SPORT1: Könnte man Sie also künftig als Trainer am Beckenrand sehen?
Warnecke: Ich begleite gerade das Krafttraining in der Trainingsgruppe meiner Kinder im Trainingslager auf Lanzarote. Das macht auch Spaß, keine Frage, aber ich glaube nicht, dass sich so ein neues System in den bestehenden Strukturen in Deutschland schnell und aggressiv umsetzen lässt. Ich bin kein Trainer, aber ich kenne Trainer, die das könnten. Henning Lambertz zum Beispiel, Jörg Hoffmann oder Dirk Lange natürlich – das wären genau die richtigen Personen, die man dafür bräuchte.