Als es endlich vorbei war, war Andreas Toba fix und fertig. „Der körperliche Schmerz ist auszuhalten“, brach es mit Blick auf sein lädiertes rechtes Knie aus ihm heraus. Aber „die Schmerzen in meinem Herzen, in meiner Seele, sind unbeschreiblich“. Dabei hatte der deutsche Turner gar keinen wirklichen Grund, geknickt zu sein. Im bittersten Moment seiner Karriere, der ihn berühmt machte, vollbrachte er schier Unglaubliches.
Tränen-Drama! Als ein Deutscher zum Olympia-Helden wurde
Eine echte Heldengeschichte
Etwas, das weniger mit seinem eigentlich Geübten zu tun hatte. Weniger mit kraftvollen Sprüngen, ästhetischen Drehungen und punktgenauen Landungen, sondern mit purer Willenskraft. Sein Auftritt bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro ging damals um die Welt. Im Mehrkampf mit der Mannschaft verletzte sich Toba bei der Bodenübung schwer, er zog sich einen Kreuzbandriss zu. Ein echter Schock für alle. Gerade für ihn selbst, wie er wenig später auf Instagram schrieb.
„Alles, was ich mir in den letzten Jahren erarbeitet habe, war innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde weg! Es tut weh. Mein Herz blutet und hört nicht auf“, beklagte Toba. Aber dennoch: Ans Aufgeben dachte er keine Sekunde. Trotz seiner schweren Verletzung und der Schmerzen humpelte er danach ans Pauschenpferd. Die deutsche Mannschaft brauchte seine Punkte, um sich für das Team-Finale zu qualifizieren. Und sein Einsatz an jenem 6. August 2016, heute vor neun Jahren, sollte belohnt werden.
Toba: „Da macht es klack-klack”
Denn Toba turnte nicht irgendwie. Nach einigen Diskussionen mit der Wettkampfleitung, die ihn zunächst nicht mehr starten lassen wollte und schon aus dem Wettbewerb gestrichen hatte, holte er trotz eines gerissenen Kreuzbands 14,233 Punkte. Letztlich der beste Wert aller Deutschen. „Das sind die Punkte, die uns am Ende ins Teamfinale gebracht haben“, sagte Cheftrainer Andreas Hirsch hinterher und lobte die außergewöhnliche Heldentat: „Andi wollte unbedingt, er hat die Zähne zusammengebissen.“
„Jeder, der einmal einen Kreuzbandriss hatte, weiß, wie schmerzhaft das ist“, fügte Hirsch noch hinzu. „Umso höher ist es einzuschätzen, dass er sich zurückgemeldet hat, um der Mannschaft zu helfen. Hut ab!“ Bei der Landung vom Pauschenpferd hielt sich der Sportler auf einem Bein. „Der Abgang war gar nicht so schmerzhaft“, erinnerte sich Toba. Schlimmer sei es zwischendurch bei den Scheren gewesen. „Da ist halt kein Kreuzband mehr, das irgendwas hält, da macht es klack-klack. Sehr unangenehm.“
„Ich habe geheult wie ein Schuljunge“
Danach kullerten die Tränen. Zwar schaffte es die deutsche Equipe dank Tobas Übung noch auf Rang acht und damit ins Teamfinale, in dem schließlich Platz sieben heraussprang. Doch seine Olympischen Spiele waren vorbei. Er konnte während der Entscheidung nur zuschauen. „Ich wollte es mir nicht mein ganzes Leben vorhalten, dass es nicht für ein Mannschaftsfinale gereicht hat“, erklärte der heute 34 Jährige: „Ich musste Punkte bringen und wollte nicht, dass es an mir liegt, dass wir ausscheiden.“
Tobas persönlicher Olympiatraum war zu diesem Zeitpunkt ohnehin bereits geplatzt. Der damalige Deutsche Meister wollte natürlich das Finale im Mehrkampf erreichen, „dafür habe ich vier Jahre lang geackert“, wie er es beschrieb. „Ich war nicht tapfer. Ich habe geheult wie ein Schuljunge“, ergänzte Toba. Auch seine Teamkollegen wie Marcel Nguyen fühlten mit: „Ich weiß, wie hart er dafür gekämpft hat, sich seinen Traum zu erfüllen.“
Trotzdem war für Toba längst ein neuer Spitzname gefunden. Für seinen selbstlosen Einsatz als Teamplayer wurde der gebürtige Niedersachse fortan als „Hero de Janeiro“ bezeichnet – in Anlehnung an den Austragungsort der Sommerspiele.
Dabei verstand er gar nicht so ganz, weshalb er überhaupt als Held angesehen wurde. „Für mich ist derjenige ein Held, der andere Menschen rettet. Ärzte sind Helden“, sagte Toba in aller Bescheidenheit. Für ihn folgten derweil harte und lange Monate der Rehabilitation. Nicht nur die Knie machten Probleme.
Toba überflügelte seinen Vater
Mal ein ausgekugelter Finger, dann angerissene Kapseln in der Hüfte oder gerissene Muskelbündel. Toba musste im Laufe seiner langen Karriere viel verdauen. Die Zeit nach Olympia war jedoch besonders intensiv. Immer wieder warfen ihn Verletzungen zurück, immer wieder musste er sich am Knie operieren lassen. Eines Tages hätten seine Beine wie Salzstangen ausgesehen, so viele Muskeln hatte er verloren, offenbarte er einmal.
Aber wieder zahlte sich sein Durchhaltevermögen aus. Im Jahr 2019 wurde Toba nach seinem Kreuzbandriss zum ersten Mal wieder Deutscher Meister im Mehrkampf. Bei den Europameisterschaften 2021 holte er Silber am Reck - es folgten zwei weitere Olympiateilnahmen. Die Erfüllung eines Traums.
„Tatsächlich ist es das, was ich mir immer gewünscht habe: dass ich es schaffe, einmal mehr zu den Spielen zu fahren als Papa, der mein Vorbild ist“, verriet Toba. Vater Marius nahm 1988, 1996 und 2000 daran teil. Er selbst 2012, 2016, 2020 und 2024.
Doch die ständigen Kämpfe gegen Verletzungen forderten ihm mental alles ab. So entschied sich Toba im Sommer 2025, seine Karriere zu beenden. „Ich habe meinem Körper genug angetan und bin ihm wirklich dankbar. Und ich bin auch Gott dankbar dafür, dass er mir die Kraft gegeben hat, das alles zu überstehen“, erklärte der „Hero de Janeiro“ und sagte, dass er noch Zeit brauche, um den Abschied zu verarbeiten. Kein Wunder nach solch turbulenten Jahren.