Paralympics>

"Da waren der Abischnitt und das Geld egal"

{}
{ "placement": "banner", "placementId": "banner" }
{ "placeholderType": "BANNER" }

„Weil es das Leben wert ist“

Moritz Brückner sitzt seit einem Surfunfall 2019 im Rollstuhl. Im SPORT1-Interview berichtet der Para-Athlet über die Leidenszeit nach dem Schickalsschlag und seine ersten Paralympischen Spiele in Paris.
Moritz Brückner war mit der Rollstuhlrugby-Nationalmannschaft bei den Paralympischen Spielen in Paris
Moritz Brückner war mit der Rollstuhlrugby-Nationalmannschaft bei den Paralympischen Spielen in Paris
© Kevin Voigt
Moritz Brückner sitzt seit einem Surfunfall 2019 im Rollstuhl. Im SPORT1-Interview berichtet der Para-Athlet über die Leidenszeit nach dem Schickalsschlag und seine ersten Paralympischen Spiele in Paris.

Ein Surfunfall in Chile hat sein Leben verändert. Moritz Brückner sitzt seit 2019 im Rollstuhl. Auch sechs Jahre später erinnert sich der 26-Jährige noch ganz genau an das Unglück, das sein Leben für immer auf den Kopf stellte.

{ "placeholderType": "MREC" }

Im Sommer 2024 nahm Brückner das erste Mal bei den Paralympischen Spielen teil. Im Rollstuhlrugby hat er seine neue Leidenschaft gefunden. Dazu setzt sich der 26-Jährige für Menschen mit Behinderung ein, hält viele Vorträge und ist Botschafter des Red Bull Wings for Life World Run 2025. Im Interview mit SPORT1 spricht Brückner über den Unfall, die schwere Zeit danach und wieso er damals nicht aufgegeben hat.

SPORT1: Herr Brückner, viele können sich nicht viel darunter vorstellen, querschnittsgelähmt zu sein. Viele denken in erster Linie daran, an den Rollstuhl gefesselt zu sein. Können Sie das Gefühl einmal beschreiben?

Moritz Brückner: Es ist ein riesengroßer Rattenschwanz. Man muss sich das so vorstellen: Dieses Rückenmark ist wie ein Telefonkabel. Je tiefer man geht, desto mehr Haushalte werden angezapft. Wenn du dieses Kabel ziemlich weit oben durchtrennst, dann haben sehr viele Haushalte kein Licht mehr - das ist bei mir eben genauso. Es gibt einen großen Unterschied, wo man sich verletzt. Ich als sogenannter Tetraplegiker habe mir den siebten Halswirbel von oben gebrochen. Alles, was darunter an Nerven folgt, die für Bauchmuskulatur, Rückenmuskulatur, Blase, Darm und alle Muskeln sowie sensible Bereiche verantwortlich sind, sind nicht mehr für mich ansteuerbar. Der jetzige Bereich, den ich ansteuern kann, ist alles oberhalb der Brustwarzen, also Oberarmmuskulatur und Armmuskulatur. Die Finger sind eingeschränkt, weil da die Nerven kaputt sind. Die Sensibilität habe ich ungefähr vom Bauchnabel abwärts nicht mehr. Das bringt wesentlich mehr Einschränkungen mit sich als nur die Beine nicht zu bewegen.

{ "placeholderType": "MREC" }

Brückner: „Ich musste alles komplett neu lernen“

SPORT1: Wie lange hat es bei Ihnen ungefähr gedauert, bis Sie wieder fest im Leben angekommen waren?

Brückner: Das dauert lange. Ich glaube, etwa nach zwei bis drei Jahren hatte ich so einen Moment, ab dem ich das Gefühl hatte: Jetzt bin ich wieder ungefähr da, wo ich vor dem Unfall war. Da hatte ich meine damalige Studentenwohnung in Würzburg, ich war wieder in meinem Studium drin, Lehramt für Biologie und Chemie damals. Du lernst Stück für Stück deinen Körper kennen und ich musste innerhalb von einem oder zwei Jahren alles auf links drehen und alles komplett neu lernen. Das braucht Zeit. Es ist nicht so wie einen Schalter umzulegen und die Lampe geht sofort an oder aus. Manche Lämpchen brauchen ein bisschen länger, bis ich überhaupt sehe, dass sich da was tut.

SPORT1: Gab es direkt nach der Verletzung vielleicht auch Momente, in denen Sie gedacht haben, „Ich kann nicht mehr?“ Gab es irgendwelche Rückschläge kurz nach der Verletzung, woran Sie speziell erinnern?

Brückner: Körperliche Rückschläge gab es schon. Direkt nachdem ich mich in Chile verletzt habe, als ich zur Erstversorgung war und direkt zweimal operiert wurde. Dann wurde ich nach Deutschland transportiert und auf dem Flug habe ich mir eine Druckstelle geholt. Gerade an den Stellen, wo direkt nach der Haut ein Knochen kommt und man lange diese Haut belastet oder einklemmt, zum Beispiel beim Liegen, kann es sein, dass die Haut kaputt geht. Das wird als Dekubitus bezeichnet und das habe ich bei meinem 24-Stunden-Transport von Chile nach Deutschland erfahren müssen. Deshalb musste ich die ersten zwei Wochen, in denen ich schon in den Rollstuhl gekonnt hätte, liegen und nochmal warten. Das war so ein kleiner Dämpfer. Psychisch wird es viele kleine Rückschläge gegeben haben, aber es gab jetzt nie einen großen, bei dem ich wirklich gemeint habe, ich lasse es sein. Allein deshalb weil es zwei Punkte gab, die ich mir immer wieder in Erinnerung gerufen habe: Ich war 20 Jahre alt, ich habe ehrlich gesagt noch nichts vom Leben gesehen. Von der Welt und von dem Leben da draußen habe ich keine Ahnung gehabt. Da habe ich nicht eingesehen, aufzugeben. Andererseits habe ich mir nur kurz vorgestellt, wie es meiner Familie gehen würde, wenn ich jetzt aufhören würde. Ich habe zehn Sekunden darüber nachgedacht, wie das dann sein könnte, dann habe ich schon sofort gesagt: Das ist nicht der Weg, wo ich hinmöchte. Ich wollte nicht, dass ich dieses Bild im Kopf habe und habe dann einfach versucht weiterzumachen. Natürlich gab es auch mal einen Tag, an dem du sagst: Ich habe keinen Bock mehr, weil es einfach anstrengend ist. Aber das war nur ein Tag. Das will ich jetzt nicht wirklich als großen Rückschlag bezeichnen, sondern einfach als gute und schlechte Tage, so wie sie jeder hat. Das ist, glaube ich, keine Depression, kein Loch oder sowas in die Richtung.

{ "placeholderType": "MREC" }

„Man schafft sich Vorbilder in so einem Sport“

SPORT1: Sie haben eine Liebe für den Sport und sind bekannt durch das Rollstuhlrugby. Wieviel hat es Ihnen bedeutet, wieder Fuß fassen zu können in einem Sport, der Ihnen Spaß macht und dabei auch wieder eine Bühne zu bekommen?

Brückner: Riesig. Als allererstes ist es ein riesengroßes Gefühl, wenn man mal wieder wirklich Geschwindigkeit auf dem Spielfeld erlebt. Rollstuhlrugby ist ein bisschen rabiater, das habe ich am allermeisten geliebt. Dass das so erfolgreich geworden ist, wie es jetzt ist, damit habe ich nicht gerechnet. Aber am Ende des Tages ist es einfach so: Wenn jeder einfach das macht, woran er Spaß hat und einfach seiner Leidenschaft nachgeht, dann wird man auch zwangsläufig erfolgreich darin, weil man diesen langen Atem dazu hat. Gerade mir als Rollstuhlfahrer gibt so eine Teamsportart enorm viel. Ich wurde durch den Sport viel aus meiner Komfortzone rausgeschubst und habe mir mein Auto besorgt, um zum Rugby zu fahren. Die ersten Flüge habe ich mit der Nationalmannschaft gemacht und die ersten Hotelübernachtungen waren Bundesligaspieltage mit dem Team. Und auch wenn etwas schiefgeht, habe ich einfach mein Team im Rücken, das mir helfen kann. Ich habe mal meinen Koffer an der Sicherheitskontrolle stehen lassen für ein Turnier und hatte deshalb eigentlich gar nichts dabei, von dem was ich eingepackt hatte. Ich wurde da aber komplett unterstützt und getragen von meinem Team. Am Ende sieht man bei seinen Sportkollegen, die auch älter sind, teilweise manchmal auch mit Opis und Omis, dass das Leben auch im hohen Alter funktioniert und dass man genauso gut Vater oder Mutter sein kann im Rollstuhl. Man schafft sich ein bisschen Vorbilder in so einem Sport.

SPORT1: Sie waren auch bei den Paralympics in Paris. Wie besonders war das? War das auch vielleicht nicht nur ein Höhepunkt in Ihrer Karriere, sondern auch in Ihrem Leben?

{ "placeholderType": "MREC" }

Brückner: Diese Paralympischen Spiele waren für mich auf jeden Fall der Höhepunkt meiner sportlichen Karriere. Es ist das größte sportliche Event der Welt. Persönlich war das natürlich auch der ganz große Traum, und den durfte ich jetzt schon sehr schnell erleben. Ich bin erst seit 2024 in der Nationalmannschaft und hatte da einfach auch sehr viel Glück – das darf man nicht vergessen. Es hat sehr viel Lust auf mehr gemacht. Ich habe auch für mich gesehen, dass noch Potenzial da ist. Das werde ich jetzt auskosten und in den nächsten dreieinhalb Jahren alles machen, damit ich vielleicht wieder in Los Angeles dabei sein kann.

„Dafür versuche ich mich einzusetzen“

SPORT1: Sie engagieren sich generell viel für den paralympischen Sport und für Menschen, die im Rollstuhl sitzen. Wie wichtig ist es, das Thema noch mehr in den Vordergrund zu rücken?

Brückner: Das Thema ist so enorm wichtig, weil es teilweise über Leben entscheidet. Ich hatte sehr viel Glück mit meinen Eltern, die im Hintergrund extrem viel geholfen haben. Das Gleiche gilt für meine Freunde, aber auch vor allem für die Ärzte, die mir da geholfen haben. Während der Reha habe ich gemerkt, dass das nicht für jeden gilt. Ich hatte enorm viel Glück mit meiner ersten Versorgung und das liegt an der Ausbildung der Kräfte. Es entscheidet deswegen teilweise, wie du dein Leben zukünftig lebst, je nachdem wie das Personal dich motivieren kann. Ich möchte es den Leuten ein bisschen näher bringen, dieses Wissen nicht nur für diejenigen zu behalten, die einfach dieses Glück haben, in so einer Klinik zu sein wie ich in Murnau, sondern dieses Wissen und die Erfahrungen zu teilen. Wenn alle ihr Wissen in den Topf reinschmeißen, nimmt sich jeder genau das raus, was er braucht. Damit kann man aus irgendwelchen Rollstuhlfahrern wieder Ehemänner, Ehefrauen oder Söhne oder Töchter machen - ganz normale Menschen. Das ist mein Ziel dahinter, weil am Ende liegt es wirklich nur an der Sichtweise oder an ein bis zwei Tipps und Tricks und kleinen Handgriffen. Wir brauchen dafür nur Leute, die mitarbeiten – eine Plattform, auf der man das teilen kann und Leute, die das Wissen weitergeben. Dass es das jetzt noch nicht gibt, ist dem geschuldet, dass wir noch nicht so weit sind. Dafür versuche ich mich einzusetzen. Dass wir da wieder vorankommen, dass die Leute wieder ganz normale Menschen sein können und ihr Leben ganz normal weiterleben können.

{ "placeholderType": "MREC" }

SPORT1: Ein Teil davon ist auch der Wings for Life World Run, den Sie unterstützen. Worum geht es dabei und was ist das Ziel dieser Aktion?

Brückner: Der Wings for Life World Run ist ein Spendenlauf mit einem einzigartigen Prinzip, denn es geht darum, dass jeder mitlaufen kann. Es geht nicht darum, ob du möglichst gut trainiert bist, ob du absolut fit bist, eine Sportskanone bist, sondern bei dem Lauf kann vom größten Leistungsathleten, der 63 Kilometer läuft, bis zu irgendwelchen Kids, Rollstuhlfahrern, Omis, Opis, wirklich jeder mitlaufen, denn man muss keine Ziellinie überlaufen, sondern diese Ziellinie holt dich ein. Dieses „Catcher Car“ fährt von hinten nach einer gewissen Zeit los und jeder wird ins Ziel kommen. Jeder gibt sein Bestes an dem Tag und das Allerschönste ist, dass hundert Prozent der Spenden, die gesammelt werden, in die Rückenmarksforschung gehen. Es wird eventuell die Möglichkeit geben, irgendwann in Zukunft Behinderungen, wie ich sie habe, heilbar zu machen, aber dazu braucht es Forschung. Dafür braucht es Gelder, und das ist gar nicht so einfach, an Gelder ranzukommen. Deswegen ist es umso wichtiger, dass es Stiftungen und Organisationen gibt, die genau das unterstützen, dass wir unter anderem vielleicht Querschnittslähmung an einem Punkt heilbar machen können. Was ich auch sagen kann, ist, dass dieser Lauf, dieses Event einfach unfassbar viel Spaß macht, wenn man sieht, was die Leute für eine Energie an den Tag legen, denn jeder läuft einfach und hat Spaß daran und nicht, weil er da sein muss, nicht Leistung bringen muss – und das sieht man, das spürt man. Deswegen werde ich jedes Jahr weiterhin teilnehmen.

„Weil es das Leben wert ist“

SPORT1: Was würden Sie Leuten mitgeben, die ein derartiger Schicksalsschlag ereilt hat?

Brückner: Habt Geduld mit euch selbst, es prasseln gerade unfassbar viele Sachen auf einen ein und man kann nicht alles auf einmal in den Griff bekommen. Man muss sich mehreren Sachen klar werden, denn es dauert. Es lohnt sich auf jeden Fall. Manchmal ist es sinnvoll, so ein Kapitel zu schließen. Vor meiner Lähmung war ich Salsatänzer und jetzt bin ich Rollstuhlrugby-Nationalspieler. Es gibt Sachen, die ihre Zeit haben – und das ist auch voll in Ordnung. Wichtig ist nur, dass man diese Türen, die sich schließen, geschlossen hält und nicht versucht, sie irgendwie aufzureißen, sondern genau die Türen zu nutzen, die von selbst aufgehen – und es gibt genug, man muss sie nur sehen, weil es das Leben wert ist. Ich sage es ehrlich: Manchmal gehen Leute mit ihrem Leben um, als könnten sie sich morgen ein neues kaufen. Ich habe es gemerkt: Eine Sekunde und es hat sich alles komplett geändert - und da waren der Abiturschnitt und das Geld, das wir auf dem Konto hatten, völlig egal. Deswegen nutzt eure Zeit macht und macht eure Polaroids für euch im Kopf - und dann wäre der Wings for Life World Run vielleicht ein so ein Polaroid, das man sich aufhängen kann.