Radsport>

Die traurige Geschichte eines Olympia-Stars

{}
{ "placement": "banner", "placementId": "banner" }
{ "placeholderType": "BANNER" }

Der traurige Tod einer Überfliegerin

Kelly Catlin feiert als Bahnradfahrerin große Erfolge. Nach einem Sturz und unerwarteten Folgeerscheinungen nimmt sie sich das Leben.
Kelly Catlin nahm sich im März 2019 das Leben
Kelly Catlin nahm sich im März 2019 das Leben
© IMAGO/Imagn Images
Kelly Catlin feiert als Bahnradfahrerin große Erfolge. Nach einem Sturz und unerwarteten Folgeerscheinungen nimmt sie sich das Leben.

„Die größte Stärke, die du jemals entwickeln wirst, ist die Fähigkeit, deine eigenen Schwächen zu erkennen – und zu lernen, um Hilfe zu bitten, wenn du sie brauchst.“

{ "placeholderType": "MREC" }

Es waren kluge Worte, die Kelly Catlin Ende Februar 2019 in einem Gastbeitrag für das Magazin VeloNews formulierte. Kluge Worte, die sie zwar zu formulieren vermochte, deren Inhalt sie aber nicht für sich selbst annehmen und anwenden konnte.

Nur wenige Tage später, am 7. März, nahm sich die mehrmalige Bahnrad-Weltmeisterin im Alter von nur 23 Jahren das Leben, auf ihrem Zimmer in der US-Elite-Universtität Stanford. Es war das traurige, womöglich auch vermeidbare Ende eines besonderen Lebens.

Drei WM-Titel und Silber bei Olympia

Ein Leben, das 1995 im US-Bundesstaat Minnesota begann, wo sie gemeinsam mit ihren Drillings-Geschwistern Christine und Colin das Licht der Welt erblickte.

{ "placeholderType": "MREC" }

Kelly stellte sich dabei schnell als kluges und begabtes Kind heraus. Eine Wettkampf-liebende Perfektionistin, die erst im Teenageralter von ihrem Bruder an das Bahnradfahren herangeführt wurde - und schnell große Erfolge feierte.

Bei den Olympischen Sommerspielen 2016 in Rio de Janeiro gewann sie im Teamrennen mit ihren US-Kolleginnen die Silbermedaille. Dazu krönte sie sich von 2016 bis 2018 dreimal in Folge zur Weltmeisterin in der Mannschaftsverfolgung.

Neben ihren großen Erfolgen im Sport zeigte sie sich auch in Sachen Bildung als Überfliegerin. An der University of Minnesota erwarb sie einen Doppelabschluss in Biomedizintechnik und Chinesisch. Enorm viele Verpflichtungen, denen die junge Sportlerin unbedingt nachkommen wollte.

Trainingsunfall führte zu Gehirnerschütterung

Nach Abschluss ihres Studiums schrieb sie sich im Herbst 2018 sogar an der Elite-Uni Stanford ein. „Die Wahrheit ist, dass ich die meiste Zeit nicht alles unter einen Hut bekomme. Es ist wie Jonglieren mit Messern und ich lasse wirklich viele davon fallen. Es ist nur so, dass die meisten davon auf dem Boden aufschlagen und nicht bei mir“, schrieb sie nur wenige Tage vor ihrem Tod in ihrem VeloNews-Artikel.

{ "placeholderType": "MREC" }

Ihr Trainer Andy Sparks erklärte später den teuflischen Kreislauf, in den Catlin geraten war.

„Kelly wollte in allem, was sie tat, Perfektion erreichen, niemals Schwäche zeigen, immer alle stolz machen und vor allem niemanden enttäuschen“, sagte Sparks.

Im Januar 2019 stürzte Catlin bei einer Trainingseinheit in Kalifornien. In den Küstengebirgen rund um San Francisco fuhr sie mit hoher Geschwindigkeit eine Straße hinunter. Auf einer unwägbaren Oberfläche verlor sie die Kontrolle über ihr Fahrrad und überschlug sich mehrmals, ehe sie auf der Straße aufschlug.

{ "placeholderType": "MREC" }

Statt einen Arzt aufzusuchen, schwang sich die Sportlerin aber wieder auf ihr Fahrrad und fuhr ihr Pensum zu Ende.

Kelly Catlin wurde zum „apathischen Roboter“

„Sie hat mir davon erzählt und irgendwie darüber gelacht“, erklärte ihre Mutter Carolyn Emory später im Gespräch mit BBC World Service: „Ich fragte sie: ‚Hast du deinen Helm überprüft?‘ Nein, er ist in Ordnung‘, sagte sie. Aber dann hat sie nachgesehen und er hatte vorne und hinten Beulen.“

Was Catlin seinerzeit noch nicht wusste: Bei dem Sturz hatte sie ein Gehirnerschütterung erlitten, die unzählige Folgeerscheinungen mit sich brachte. Starke Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Lichtempfindlichkeit. Bald darauf folgten Depressionen.

{ "placeholderType": "MREC" }

Ihre Eltern berichteten von einer „apathischen, völlig anderen und distanzierten Person“, die sich wie ein „Roboter“ verhalten habe.

Nur kurze Zeit später schickte sie einen Abschiedsbrief per Mail, ihr erster Selbstmordversuch konnte nach Intervention ihrer Eltern von der Campus-Polizei noch gestoppt werden.

-------

Anmerkung der Redaktion: Wenn Sie sich selbst von Depressionen und Suizidgedanken betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge (http://www.telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in zahlreichen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.

-------

Gehirnerschütterung nicht auskuriert

Es folgten 72 Stunden in einer psychiatrischen Abteilung und eine Woche im Krankenhaus. Doch statt sich auszuruhen, nahm die dreimalige Weltmeisterin das Training wieder auf – und das in hochintensivem Maße mit drei Einheiten pro Tag in elf aufeinanderfolgenden Tagen.

Eine fatale Entscheidung. Die nach ihrer Gehirnerschütterung aufgetreten Symptome kehrten zurück, durch den Selbstmordversuch waren zudem weitere Probleme hinzugekommen. So litt die Sportlerin auch noch an Kurzatmigkeit, weshalb sie Ende Februar von den Weltmeisterschaften in Polen ausgeschlossen wurde. Catlin war am Boden zerstört.

In den darauffolgenden Tagen wurde sie von ihren Familienmitgliedern ermutigt, sich Ruhe zu gönnen. Doch es kam keine Antwort mehr. Die Polizei überbrachte in der Folge die traurige Mitteilung, dass sich die 23-Jährige das Leben genommen hatte.

Vater von Kelly Catlin schreibt rührenden Brief

„Die Nachricht erschütterte unsere Familie und die gesamte Radsportgemeinschaft. Wie konnte jemand mit einem so grenzenlosen Potenzial beschließen, sein Leben zu beenden? Während wir trauern, müssen wir auch aus Kellys Leben lernen, um zu verhindern, dass sich solche Horrorgeschichten in Zukunft wiederholen“, schrieb ihr Vater Mark Catlin wenig später in einem Beitrag für die Concussion Legacy Foundation.

„Wir glauben, dass eine Kombination aus ihrer Persönlichkeit, Übertraining und ihrer Gehirnerschütterung zu einer Verschlechterung ihrer psychischen Gesundheit führte. Kellys unerbittliche Entschlossenheit, die es ihr ermöglichte, so große Höhen zu erreichen, führte dazu, dass sie bei den ersten Anzeichen von Problemen leugnete, dass sie in Schwierigkeiten war oder Hilfe annahm.“

Und weiter: „Ihre Muskeln haben sich vielleicht kurz erholt, aber ihr Gehirn nicht. Wir wollen die Geschichte von Kellys Tod erzählen, weil er so leicht zu verhindern gewesen wäre und andere Menschen gerettet werden können. Ich glaube, dass eine einzige Person, die die Folgen der Gehirnerschütterung richtig gedeutet hätte, den Unterschied hätte ausmachen können“, schrieb ihr Vater weiter.

Eltern spendeten Gehirn zu Aufklärungszwecken

Anmerkung: Catlin wurde zwar sowohl im Olympischen Trainingszentrum als auch im Stanford Medical Center untersucht. In ein Concussion Protocol, wie es inzwischen beispielsweise in der NFL üblich ist, musste sie allerdings nie.

Nach ihrem Tod spendeten ihre Eltern das Gehirn ihrer Tochter, um es auf mögliche Schäden untersuchen zu lassen und mit den Ergebnissen zukünftig Sportler vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren.

Was bleibt, sind die Erinnerungen an eine junge Sportlerin, die fließend Chinesisch sprach, deutschen Heavy Metal hörte, Paganini auf der Geige spielte und die ihre so klugen Worte, sich Hilfe zu holen, wenn es nötig ist, nicht selbst anzuwenden vermochte.