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"So etwas ist einem Deutschen schon lange nicht mehr gelungen"

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Ritterschlag für deutsches Tour-Ass

Der langjährige Klassiker-Spezialist John Degenkolb adelt im SPORT1-Interview den deutschen Tour-de-France-Senkrechtstarter Florian Lipowitz, spricht über das Duell Pogacar vs. Vingegaard - und fordert Verbesserungen im Bereich Sicherheit.
Florian Lipowitz sorgt bei der Tour de France 2025 für Furore. Dabei war eine Karriere im Radsport lange nicht absehbar.
Der langjährige Klassiker-Spezialist John Degenkolb adelt im SPORT1-Interview den deutschen Tour-de-France-Senkrechtstarter Florian Lipowitz, spricht über das Duell Pogacar vs. Vingegaard - und fordert Verbesserungen im Bereich Sicherheit.

Hohes Tempo, viel Abwechslung, große Action auf nahezu jeder Etappe: Die 112. Tour de France ist bereits eine Woche alt und hat schon unzählige Höhepunkte hervorgebracht.

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Aus deutscher Sicht hat sich Tour-Debütant Florian Lipowitz vom Team Bora-hansgrohe durch mutige Auftritte ins Rampenlicht gefahren und lässt auf ein Top-Ten-Resultat in der Endabrechnung hoffen. Wie weit kann es für Lipowitz nach vorn gehen? Und wer hat die besseren Karten im Gigantenduell zwischen Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard? Der langjährige deutsche Klassiker-Spezialist John Degenkolb, der bei Tour, Giro und Vuelta insgesamt zwölf Etappen gewann, spricht im SPORT1-Interview über seine Eindrücke.

SPORT1: Herr Degenkolb, die erste Woche der Tour de France ist vorbei und der Kampf zwischen den beiden Giganten Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard bereits entbrannt. Welches war Ihr bisheriges Highlight?

Degenkolb: Am meisten hat mich bisher der erste Tag fasziniert. Egal, ob die Tour de France in den Bergen oder im eher flachen Terrain startet - der Auftakt ist immer spektakulär. Diesmal mussten die Jungs, die um das Gesamtklassement fahren, durch die Windkante aber vom ersten Tag an beweisen, dass sie voll auf der Höhe sind. Es war extrem beeindruckend, wie Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard das geschafft haben und viele Klassiker-Fahrer alt aussehen ließen.

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Degenkolb glaubt an Pogacar-Sieg

SPORT1: Aktuell wirkt Tadej Pogacar trotz des wohl nur zwischenzeitlichen Verlusts des Gelben Trikots an Ben Healy wieder wie das Maß der Dinge. Ist der Slowene überhaupt zu schlagen?

Degenkolb: Wenn ich ehrlich bin, habe ich das schon vor dem Beginn der Tour de France gedacht, dass es schwer wird, ihn zu schlagen. Die Form, die Tadej im Vorfeld bei der Dauphiné-Rundfahrt zeigte, war so unglaublich gut, dass sich das bereits andeutete, wie schwer es für alle anderen werden würde. Und das bestätigt sich jetzt. Bisher kam er super durch. Es scheint, als würde er, was die Kraft und Power angeht, in einer anderen Liga fahren. Deswegen glaube ich, dass es fast unmöglich sein wird, ihn zu schlagen, sofern keine Stürze oder grobe taktische Fehler seines Teams dazukommen.

SPORT1: Jonas Vingegaard enttäuschte vor allem im Zeitfahren und liegt nach der ersten Woche mehr als eine Minute hinter Pogacar. Wie erklären Sie sich diesen Leistungsabfall?

Degenkolb: Nicht leicht, das aus der Ferne zu beurteilen. Ich kann mir sogar vorstellen, dass selbst die Experten von Team Visma-Lease a Bike das noch nicht wissen. Der Radsport ist heutzutage sehr komplex. Es kommt auf Nuancen an. Im Allgemeinen hat Pogacar an dem Tag vielleicht etwas überperformt, Vingegaard dagegen etwas unterperformt - dann kommt so etwas dabei heraus.

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SPORT1: Der diesjährige Kurs, der zu Beginn viele Tage für Klassikerspezialisten bereithält, scheint Pogacar wie auf den Leib geschneidert zu sein. Erst die zwölfte Etappe ist eine klassische Bergetappe mit einer klassischen Bergankunft. Wie finden Sie das?

Degenkolb: Für die Stimmung in der ersten Woche ist es meiner Meinung nach sehr gut, wenn es zu Beginn noch keine Etappe im Hochgebirge gibt, bei der sich direkt riesige Abstände ergeben. Solange das gesamte Feld noch so eng wie jetzt beieinanderliegt, bleibt die Spannung viel höher.

Lipowitz? „Zeigt, welches große Potenzial er hat“

SPORT1: Nach kleineren anfänglichen Problemen schlägt sich Florian Lipowitz bei seiner ersten Tour de France bisher super. Beim Einzelzeitfahren reichte es sogar für den sechsten Platz - in der Gesamtwertung liegt er vor seinem eigentlich Kapitän Primoz Roglic. Haben Sie damit gerechnet?

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Degenkolb: Definitiv. Die Leistung, die Florian bei der Dauphiné, als er auf das Podest fuhr, abgeliefert hat, war grandios. So etwas ist einem deutschen Fahrer schon lange nicht mehr gelungen und es zeigt, welches große Potenzial er hat. Nun ist er bei seiner Mannschaft, Red Bull Bora-hansgrohe, in einer Position, in der er hinter Primoz Roglic ein wenig unter dem Radar schweben kann. Den krassen Druck der sportlichen Leitung, an keinem Tag Zeit verlieren zu dürfen, hat er nicht. Das scheint ihn zu beflügeln. Seine Fahrweise in den vergangenen Tagen war spektakulär und beweist, dass er auf dem besten Weg ist, einer der Größten zu werden. Ich freue mich sehr, dass wir in Deutschland endlich wieder so jemanden haben.

SPORT1: Muss das Team Red Bull Bora-hansgrohe Lipowitz statt Roglic zum Kapitän ernennen?

Degenkolb: Solange die Position von Lipowitz nicht geopfert und sich voll auf Roglic konzentriert wird, sehe ich in der aktuellen Konstellation kein Problem. Florian ist in der Rolle des Schattenkapitäns genauso weit vorne dabei. Red Bull Bora-hansgrohe wird einen Teufel tun, Lipowitz auf Roglic warten zu lassen. Und sollte Lipowitz Roglic tatsächlich einmal abhängen, würde sich die Frage von selbst lösen.

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SPORT1: Welche Erwartungen haben Sie an Lipowitz für den Rest der Tour de France?

Degenkolb: Ich hoffe einfach, dass er seine erste Tour auf einem stabilen Niveau zu Ende fährt. Das wäre für seine persönliche Entwicklung extrem wichtig. Er hat bereits Erfahrungen bei Rundfahrten gesammelt, aber noch nicht bei der Tour de France. Das ist eine andere Nummer, die man erstmal durchmachen muss. Wenn er die Tour in diesem Jahr unter den ersten Zehn beenden kann, wäre das ein riesiger Erfolg für ihn und den deutschen Radsport. Die Schritte, die er geht, dürfen auch nicht zu groß sein.

„Gibt niemanden, der in die Bereiche eines Kittel oder Greipel vorstoßen kann“

SPORT1: Wie beurteilen Sie die bisherigen Leistungen der deutschen Sprinter Phil Bauhaus und Pascal Ackermann? Bauhaus hat es auf der chaotischen dritten Etappe bereits einmal aufs Podest geschafft.

Degenkolb: Aus deutscher Sicht gibt es aktuell leider niemanden, der in die Bereiche eines Marcel Kittel oder Andre Greipel vorstoßen kann. Deswegen muss man das differenziert betrachten. An einem herausragenden Tag können Bauhaus oder Ackermann auch eine Etappe gewinnen. Ich traue es ihnen schon zu. Phil ein bisschen mehr als Pascal. Aber es sind mit Jonathan Milan, Biniam Girmay oder Tim Merlier noch viele Jungs dabei, die wahnsinnig schwer zu schlagen sind.

SPORT1: Die ersten Etappen wurden von einigen Stürzen überschattet. Besonders schlimm erwischte es Jasper Philipsen. Georg Zimmermann musste ebenfalls aussteigen Wird der Rennradsport immer gefährlicher?

Degenkolb: Generell darüber zu urteilen, wäre nicht richtig. Im Vergleich zu den vergangenen Jahren gab es während der ersten Tour-Woche diesmal vielleicht ein paar mehr Stürze. Wenn man jedoch weiter zurückblickt, muss man sagen, dass wir zum Glück noch gar nicht so viele Zwischenfälle gesehen haben. Bei der flachen Streckenführung der ersten Woche in diesem Jahr hätte weitaus mehr passieren können.

Sturzgefahr: Degenkolb fordert Strecken-TÜV

SPORT1: Sie selbst sind in diesem Jahr bei der Flandern-Rundfahrt schwer gestürzt, haben diverse Knochenbrüche erlitten und verpassen die Tour deswegen. Welche Maßnahmen könnten die Veranstalter ergreifen, um das Risiko schwerer Stürze zu minimieren?

Degenkolb: Ich bin der Meinung, dass das System bei den Vorbereitungen auf die Rennen verändert werden muss. Es gibt keine unabhängige Instanz, die die Gegebenheiten eines Kurses – gerade auch mit Blick auf kritische Stellen – überprüft. Also so etwas wie einen TÜV. Da sind nicht die Veranstalter gefordert, sondern die UCI (Internationaler Radsport-Verband; Anm. d. Red.). Denn in dieser Hinsicht gibt es im Radsport langfristig auf jeden Fall Verbesserungsbedarf.

SPORT1: Auch die Tatsache, dass einige wenige Fans den Fahrern während der Etappen immer öfter mit Pyrotechnik zu nahe kommen und ihnen damit mangelnden Respekt zeigen, sorgte für Diskussionen. Wie sehr stört das?

Degenkolb: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits will man die Begeisterung der Fans, die sich unter anderem in der Stimmung an den Straßen oder der Pyrotechnik äußert. Solange das nicht überhandnimmt, muss man nicht hart dagegen vorgehen. Wenn man aber an einer Fackel nach der anderen vorbeifährt und immer wieder diesen nicht wirklich gesunden Rauch einatmet, muss man über Lösungen nachdenken.