Florian Lipowitz rollte am Sonntagmittag mit stolzem Lächeln in seinem allerersten Weißen Trikot zum Etappenstart im Garonne-Städtchen Muret, die schmale Brust des neuen deutschen Radsport-Stars wirkte im edel strahlenden Dress breiter als jemals zuvor.
Lipowitz und das weiße Wunder
„Es ist etwas ganz Besonderes, dieses Trikot bei einer Tour de France zu tragen“, sagte Lipowitz. Der große Applaus der französischen Fans bestätigte ihn.
„Es fühlt sich an wie ein Märchen“, sagte Lipowitz in der ARD. Gesamtplatz drei, bester Jungprofi: Mit seinen großen Auftritten in den Pyrenäen hat sich der Tour-Debütant aus der württembergischen Kleinstadt Laichingen nicht nur in die Herzen seiner Landsleute gefahren, „Le Lipoblitz“ ist mit seiner unbekümmerten Art endgültig in der Radsport-Weltelite angekommen. Und das ausgerechnet beim größten Rennen überhaupt.
„Hier geht ein Traum für mich in Erfüllung“
„Ich bin hier ohne Erwartungen angereist. Dass es hier so gut läuft, damit hätte ich niemals gerechnet“, sagte der 24-Jährige. Gut, der Auftakt verlief rumpelig, Tempo und Hektik der Tour waren für den Radsport-Quereinsteiger, der einst Biathlet war, ungewohnt: „An den ersten drei, vier Tagen ging es mir deutlich nicht gut.“ Nun aber „geht hier ein Traum für mich in Erfüllung“.
Dass dieser Traum dazu führt, dass Lipowitz die Tour am 27. Juli in Paris auf dem Podium (als erster Deutscher seit Andreas Klöden 2006) und als bester Jungprofi (wie zuletzt Jan Ullrich von 1996 bis 1998) abschließt, scheint derzeit fast zwangsläufig. Nach zwei Dritteln der Rundfahrt hat sich Lipowitz als klare Nummer drei hinter dem unantastbaren Slowenen Tadej Pogacar und dem Dänen Jonas Vingegaard (4:13 Minuten zurück) etabliert.
Mit 7:53 Minuten Rückstand auf Pogacar besitzt er ein nettes Polster auf den Briten Oscar Onley (4./+9:18) und den Franzosen Kevin Vauquelin (5./+10,21), ebenfalls Jungprofis. Auch seinen großen Red-Bull-Teamkollegen, den viermaligen Vuelta-Sieger Primoz Roglic (6./+10:34), hat Lipowitz in den Pyrenäen deutlich abgehängt - und beeindruckt: „Florian macht das großartig“, sagte der Slowene: „In seinem Alter war ich nicht mal Radprofi.“
Deutscher Tour-Held strotzt allen Strapazen
In der Tat fährt Lipowitz bei seiner Premieren-Tour nahezu fehlerfrei und blieb an den drei Pyrenäen-Tagen - „vor denen hatte ich riesigen Respekt“ - ganz cool: Dritter bei der Bergankunft in Hautacam am Donnerstag, Vierter im brutalen Bergzeitfahren am Freitag, schließlich Fünfter beim Tourmalet-Kletterspektakel am Samstag. „Mit diesen Tagen bin ich total happy“, sagte Lipowitz.
Auf dem Weg zum Doppelpodest muss Lipowitz nicht mehr viele heikle Tage überstehen: Den Ventoux am Dienstag, die Alpen-Etappen am Donnerstag und Freitag - c’est tout. „Das ist erst meine zweite große Rundfahrt“, sagt Lipowitz: „Das erste Ziel bleibt, Paris zu erreichen.“
Euphorie wie zu Ullrich-Zeiten
Mit seinen Auftritten in Frankreich löst er eine Tour-Euphorie in Radsport-Deutschland aus, wie es sie seit Jan Ullrich nicht mehr gegeben hat - „Ulle“ übrigens hat das Weiße Trikot nie getragen. Zu seiner Zeit gab es zwar die Jungprofi-Wertung, nicht aber das entsprechende Jersey.
Wie auch immer: Selbst die Landsleute in Diensten der Rivalen werden immer mehr zu Fans des „Lipoblitzes“: „Platz drei und Weißes Trikot für Lipo“, sagt Pogacars Helfer Nils Politt: „Was wollen wir mehr als Deutsche?“