Sichtlich abgekämpft, aber mit einem breiten Grinsen im Gesicht erschien Ben Healy zum Interview. „Es ist unglaublich. Hierfür habe ich alles gegeben“, sagte der 24-Jährige vom Team EF Education-EasyPost: „Nicht nur dieses Jahr, sondern immer. Hierfür haben viele Menschen so viele Stunden gearbeitet. Heute konnte ich es ihnen die zurückzahlen.“
Selbst der Konkurrenz ein Rätsel
Wenige Minuten zuvor hatte er nach einem beherzten Solo über 42 Kilometer die 6. Etappe der Tour de France gewonnen und damit seinen ersten Sieg beim wichtigsten Radrennen der Welt errungen. Ein echter Meilenstein in seiner Karriere.
„Epischer Etappensieg für den Iren“, titelte die wichtigste slowenische Tageszeitung Delo, die der Frankreich-Rundfahrt wegen Topfavorit Tadej Pogacar naturgemäß gesteigerte Aufmerksamkeit widmet.
Irische Presse feiert „brillanten” Tour-Erfolg
Und auch in seiner (Wahl-)Heimat blieb sein Husarenstück nicht unbemerkt. „Ben Healy holt den ersten Tour-Etappensieg seiner Karriere auf denkwürdige Weise“, war beim Irish Examiner zu lesen. Der Irish Independent hatte eine „brillante“ Leistung gesehen.
„Ben Healy hat seinen Namen in die irische Radsportgeschichte geschrieben“, schrieb die Irish Times. Healy ist der siebte Ire in der Tour-Geschichte, der eine Etappe gewinnt. Letztmals war das Sam Bennett vor fünf Jahren gelungen, der beim Finale in Paris triumphiert hatte.
Dabei wurde Healy eigentlich in der englischen Stadt Kingswinford geboren und begann dort im Alter von fünf Jahren auch mit dem Radsport. Da er sich vom britischen Verband in seinen Junioren-Jahren nicht ausreichend gefördert sah, beantragte er erfolgreich die Rennlizenz in Irland, dem Geburtsland seiner Großeltern. Seither kämpft er sich Schritt für Schritt an die Weltspitze heran.
„Letztes Jahr hat mir die Augen geöffnet“
Healy war im Vorjahr erstmals bei der Tour an den Start gegangen, hatte sich mehrfach in Ausreißergruppen als angriffslustiger Fahrer präsentiert und schnupperte als Fünfter einmal sogar am Tagessieg. „Letztes Jahr hat mir die Augen geöffnet. Seitdem glaubte ich, dass ich es schaffen kann. Seitdem habe ich hart gearbeitet, ich habe versucht, meinen Rennstil zu verfeinern, und das hat sich heute wirklich ausgezahlt“, sagte der glückliche Sieger.
Er habe sich genau diese Etappe vorgemerkt. „Ich war von Anfang an voll dabei. Vielleicht habe ich etwas zu viel Energie darauf verwendet, in die Ausreißergruppe zu kommen, aber so mache ich das nun mal“, sagte Healy: „Ich wusste, dass ich mich irgendwann von der Gruppe absetzen musste. Ich habe meinen Moment abgepasst, ich glaube, ich habe das Timing gut gewählt und sie ein wenig überrascht. Dann wusste ich, was ich zu tun hatte: einfach den Kopf runternehmen und bis zum Ziel mein Bestes geben.“
Selbst der Konkurrenz ein Rätsel
Healys Plan ging auf – und die Konkurrenz blieb beeindruckt zurück. „Es war eine unfassbare Leistung von Ben, wie er 2:30 Minuten wegfahren konnte, ist mir ein Rätsel. Chapeau. Ich bin wirklich kaputt“, zollte Healys Landsmann Eddie Dunbar vom Team Jayco – AlUla, der am Ende Vierter wurde, Respekt.
Auch Visma-Fahrer Simon Yates war voll des Lobes: „Healy war ziemlich beeindruckend. Er hat sowas nicht zum ersten Mal gemacht. Es war eigentlich sogar ein Trademark-Move. Als er wegfuhr, haben wir kurz gezweifelt - und dann war es das auch schon.“
Ein Trademark-Move, ein Etappensieg bei der Tour de France: Ben Healy hat sich seinen Platz in den Radsport-Geschichtsbüchern ganz offensichtlich schon gesichert.