Die brutale Pyrenäen-Etappe am Samstag bei der Tour de France hat für Florian Lipowitz zwei Erkenntnisse geliefert: Zum einen gehört er momentan zu den stärksten Fahrern im Klassement, aber zum anderen stehen dem Deutschen in den Bergen eigentlich keine Helfer zur Verfügung. Wird die Teamtaktik zum Fluch oder Segen?
Fluch oder Segen fürs Lipowitz-Team?
Als Fünfter rollte der 24-Jährige über die Ziellinie und sprang durch den Ausstieg von Remco Evenepoel auf den dritten Platz im Gesamtranking. Zudem übernahm er das weiße Trikot des Belgiers für den besten Nachwuchsfahrer.
1:21 Minuten später kam sein Teamkapitän Primoz Roglic ins Ziel. Zum wiederholten Male schlug Lipowitz die eigentliche Nummer eins in der Mannschaft von Red Bull Bora-hansgrohe.
Nach Lipowitz und Roglic klafft eine Lücke
Doch auf ihren nächsten Teamkollegen mussten die beiden lange warten. Mit fast 20 Minuten Rückstand war Aleksandr Vlasov der dritte Fahrer des deutschen Teams, der ins Ziel fuhr. Während der Bergetappe wurde deutlich, dass niemand bei Bora den beiden Topfahrern folgen kann.
Lipowitz und Roglic sind auf den wichtigen Abschnitten der Tour auf sich alleine gestellt. Keine Helfer, die ihnen Windschatten geben, etwas zu trinken reichen oder die Regenjacken abnehmen können.
„Das Team besteht in den Bergen wirklich nur aus zwei Mann“, stellte Experte Fabian Wegmann in der ARD fest.
Muss Roglic jetzt für Lipowitz fahren?
Stellt sich die Frage: Muss Roglic als Teamkapitän nun für den überraschend besserplatzierten Lipowitz fahren und ihm zum Podiumsplatz in Paris verhelfen? Schließlich ist er in der Gesamtwertung 2:41 Minuten hinter dem Deutschen.
Der Routinier antwortete nach der 14. Etappe diplomatisch auf die Frage, ob er sich in den Dienst des Teamkollegen stellen würde: „Natürlich, wir wollen das Beste herausholen.“ Roglic betonte, dass beide ihr Bestes geben würden und man am Ende sehe, was dabei herauskommt.
Wegmann meinte bezüglich dieser Thematik: „So wie sie jetzt gerade fahren, so kontrolliert von [den Teams] Visma und UAE, braucht Roglic gar nicht für Lipowitz zu fahren.“
Der 45-Jährige fügte hinzu: „Er (Primoz Roglic, Anm. d. Red.) kann sich auf sich konzentrieren, im Gesamtklassement weiter verbessern und dann haben sie in den Alpen die Chance, die Karte Roglic zu spielen, dass er einfach mal einen Berg vorher attackiert."
Fällt Bora die Teamtaktik auf die Füße?
ARD-Kommentator Florian Naß hatte allerdings eine andere Meinung und verwies darauf, dass die Teams der beiden Stars Tadej Pogacar (UAE Emirates) und Jonas Vingegaard (Visma-Lease a Bike) stärkere Helfer haben und sich von Beginn an nur auf ein Ziel konzentriert hätten.
„Red Bull hat sich für eine breite Variante, auch für die Sprints entschieden. Das spielt im Gedankengang im Team von Pogacar oder Vingegaard gar keine Rolle. Da ging es von vornerein nur um das Gelbe Trikot.“
Das deutsche Team habe die Sicherheitsvariante gewählt, um auch im Sprint die Möglichkeit zu haben, einen Etappensieg einzufahren. „Jetzt wird man es - ich will nicht sagen - bereuen. Oder vielleicht doch? Man hat auf diese zwei Optionen gesetzt“, so Naß abschließend.
Im weiteren Verlauf der Tour wird sich zeigen, wie sich Lipowitz und Roglic alleine in den Bergen schlagen bzw. ob dem Team der fehlende Fokus auf die Gesamtwertung auf die Füße fällt.