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"Es ist langfristig sehr schlecht für den Radsport, dass die Demonstranten ihr Ziel erreicht haben"

Auch der Tour dürfte Chaos drohen

„Langfristig sehr schlecht für den Radsport, dass die Demonstranten ihr Ziel erreicht haben”: In der Szene geht nach der turbulenten Vuelta die Furcht um, dass Zwischenfälle wegen der Pro-Palästina-Bewegung zu einem dauerhaften Begleiter werden.
Radprofi Markel Beloki äußert sich zum Wirbel rund um mögliche Proteste gegen das israelische Team Premier Tech bei der Vuelta. Der Spanier gesteht, dass die Situation nicht einfach ist.
„Langfristig sehr schlecht für den Radsport, dass die Demonstranten ihr Ziel erreicht haben”: In der Szene geht nach der turbulenten Vuelta die Furcht um, dass Zwischenfälle wegen der Pro-Palästina-Bewegung zu einem dauerhaften Begleiter werden.

Jonas Vingegaard bestieg ein improvisiertes Kühlbox-Podest vor dem Teamhotel. Er freute sich zwar über seinen Sieg bei der Spanien-Rundfahrt, wie ihm anzumerken war. Aber trübe Gedanken beschäftigten ihn mindestens ebenso sehr.

„Ein Moment für die Ewigkeit“ sei ihm genommen worden durch den Abbruch der letzten Vuelta Etappe, beklagte der zweimalige Tour-de-France-Sieger nach der von Chaos überschatteten Konkurrenz. Er appellierte: „Jeder hat das Recht zu protestieren. Aber nicht auf eine Weise, die unser Rennen beeinflusst oder gefährdet.“

Anhaltende Proteste für Palästina und gegen Israel, den Gazakrieg und die Teilnahme des israelischen Teams Israel-Premier Tech hatten die Veranstaltung bis zum Ende im Griff, aus Sicht von Kritikern schafft der Gang der Ereignisse einen gefährlichen Präzedenzfall, der auch künftige Rennen wie die Tour de France 2026 zu beeinträchtigen droht.

Proteste überschatten Vuelta

Nach Behördenangaben hatten mehr als 100.000 pro-palästinensische Demonstranten am Sonntag für chaotische Zustände in der spanischen Hauptstadt Madrid gesorgt.

Die etwa 1100 eingesetzten Polizisten konnten das Überwinden der Absperrungen und die Blockade der geplanten Strecke nicht verhindern. Es war der beunruhigende, letztlich auch logische Endpunkt einer beispiellos verlaufenen Vuelta, bei der es immer wieder zu gefährlichen Situationen gekommen war.

Am Samstag blockierten Dutzende Aktivisten vor dem Schlussanstieg, an dem Vingegaard seinen ersten Vuelta-Titel zementierte, die Straße. Beim Mannschafts-Zeitfahren der fünften Etappe rauschte das Team Israel-Premier Tech, gegen das sich die Proteste in erster Linie richteten, auf eine Straßenblockade zu.

Israelischer Milliardär und Teambesitzer als Reizfigur

Israel Premier-Tech gehört dem kanadisch-israelischen Milliardär Sylvan Adams, Sohn des jüdischen Holocaust-Überlebenden Marcel Adams, der nach seiner Flucht aus den Konzentrationslagern der Nazis ein Immobilienmagnat in Kanada geworden war.

Sylvan Adams, der die von seinem Vater gegründete Firma 25 Jahre leitete, wanderte 2015 nach Israel aus und ist dort eine prominente und politisch einflussreiche Persönlichkeit. Er machte dort vielfach durch umfangreiche Spenden für öffentliche Zwecke auf sich aufmerksam - nach dem mörderischen Terror der Hamas am 7. Oktober stiftete er 100 Millionen Dollar für den Wiederaufbau der betroffenen Städte, international schrieb der Radsport-Fan unter anderem Schlagzeilen, als er 2018 eine Etappe des Giro d‘Italia nach Israel holte.

Adams sah und sieht sich mit seinen Sponsoring-Aktivitäten in Sport und Kultur ausdrücklich als internationaler Botschafter seiner Heimat - was ihn nicht erst seit dem durch den 7. Oktober ausgelösten Gazakrieg zur Reizfigur für die Kritiker des Landes macht, seitdem aber umso mehr. „Botschafter des Genozids“ und andere Parolen richten sich rund um die Vuelta gegen Adams.

In Spanien ist die Stimmung besonders aufgeheizt

In Spanien sind die Pro-Palästina-Bewegung und die Negativstimmung gegen Israel aktuell nochmal ausgeprägter als in den meisten anderen Ländern, sie wird auch von den politisch Verantwortlichen gestützt.

Ministerpräsident Pedro Sanchez vertritt die These, dass Israel in Palästina einen „Völkermord“ begehe, dass es in derselben Weise isoliert werden müsse wie Russland wegen des Ukrainekriegs. Am Montag bestärkte er die Proteste rund um die Vuelta trotz ihrer chaotischen Folgen mit dem bemerkenswerten Statement, dass er „tiefe Bewunderung“ für die Motive der Demonstranten empfinde.

Der Radsport-Weltverband UCI reagierte derweil entsetzt auf die Ereignisse: Sie stellten „auch die Fähigkeit Spaniens in Frage, große internationale Sportveranstaltungen auszurichten und sicherzustellen, dass diese unter sicheren Bedingungen und in Übereinstimmung mit den olympischen Werten stattfinden“.

„Beim nächsten Mal wird es nur noch schlimmer werden“

Innerhalb der Radsport-Szene wächst derweil die Sorge, dass der politische Konflikt, mit dem sie nur am Rande zu tun hat, dauerhaft auf ihrem Rücken ausgetragen wird.

Im Radsport sei es „praktisch unmöglich, solche Massen zu stoppen“, hatte Vuelta-Chef Javier Guillén schon vor dem Start der Schlussetappe, die knapp 60 km vor dem Ende abgebrochen wurde, gehadert.

Ex-Weltmeister Michael Kwiatkowski nahm derweil die Verantwortlichen in die Pflicht. Es sei von nun an „allen klar, dass ein Radrennen als wirksame Bühne für Proteste genutzt werden kann“, schrieb der Pole bei X: „Beim nächsten Mal wird es nur noch schlimmer werden, weil es jemand zugelassen und weggeschaut hat.“

Die zuständigen Stellen hätten „nicht früh genug die richtigen Entscheidungen“ getroffen, monierte Kwiatkowski, der eine vorzeitige Absage der letzten Etappe bevorzugt hätte: „Es ist langfristig sehr schlecht für den Radsport, dass die Demonstranten ihr Ziel erreicht haben.“

Auch Tour de France 2026 drohen Störungen

Unruhe dürfte es auch bei der ASO geben, dem mächtigen Veranstalter der Tour de France und Muttergesellschafter des Vuelta-Veranstalters Unipublic.

Die ersten beiden Etappen des Grand Depart 2026 sollen schließlich in Barcelona enden - auch das dritte Teilstück startet laut Plan auf spanischem Boden.

Bei einem Freiluftsport mit teils mehr als 200 km langen Etappen werden sich auch künftig nicht sämtliche Zwischenfälle verhindern lassen. Und solange der Israel-Palästina-Konflikt weiter die Massen bewegt, droht die Gefahr gefährlicher Zwischenfälle zum dauerhaften Wegbegleiter des Sports zu werden.

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Mit Sport-Informations-Dienst (SID)