Wenn am 27. Juli bei der Schwimm-Weltmeisterschaft in Singapur die Wettbewerbe im Becken starten, richten sich die Blicke auch auf den deutschen Schwimm-Star Josha Salchow.
Salchow: „Das ist ein Widerspruch“
Hinter dem 26-Jährigen liegt ein starkes Jahr. Bei den Olympischen Spielen in Paris schwamm Salchow über 100 Meter Freistil deutschen Rekord und meldete sich mit Platz sechs im Olympischen Finale in der Weltspitze an.
Im exklusiven Interview mit SPORT1 spricht der gebürtige Troisdorfer über seine Ziele und lobt die Entwicklung des deutschen Schwimmsports. Ein Novum bei Olympischen Spielen begrüßt der 26-Jährige - und äußert bezüglich der Rückkehr russischer Athletinnen und Athleten auf die WM-Bühne drastische Worte.
SPORT1: Herr Salchow, Sie steigen ab dem 27. Juli in die Schwimm-Weltmeisterschaften ein, wenn die Wettbewerbe im Becken beginnen. Wie bereiten Sie sich auf Ihre Starts vor? Sie haben Ihr Training mittlerweile auch nach Eindhoven in die Niederlande verlegt.
Josha Salchow: Seit dieser Woche haben wir angefangen zu tapern (letzte Trainingsphase vor dem Wettkampf; Anm. d. Red.). Die Wochen zuvor liefen sehr gut, vieles lief nach Plan. Ich bin sehr guter Dinge, dass ich erfolgreich sein kann. Mit meinem Wechsel nach Eindhoven habe ich einen Grundstein gelegt, um bei der WM gut zu schwimmen und auch bis Olympia 2028 gute Trainingsbedingungen zu haben. Außerdem schreibe ich derzeit meine Bachelorarbeit, die Abgabe fällt mit dem 27. Juli auf den ersten Tag der WM für uns Beckenschwimmer (lacht). Deshalb nimmt das aktuell auch viel Zeit in Anspruch. Wenn diese dann abgegeben ist, kann ich ganz beruhigt die Wettkämpfe angehen.
Salchow will deutschen Rekord schwimmen
SPORT1: Welche Ziele haben Sie sich für die WM gesteckt?
Salchow: Ich möchte mit allen Staffeln, in denen ich selbst mitschwimme, in das Finale kommen. Das ist mindestens das Ziel. Wenn wir irgendwann davon sprechen wollen, auch bei Olympia um die Medaillen mitzuschwimmen, müssen wir mit solchen Sachen beginnen. Auch auf den Einzelstrecken möchte ich ins Finale kommen, das sind in meinem Fall die 100 Meter Freistil und die 100 Meter Schmetterling. Bei den 100 Meter Freistil möchte ich so nah wie möglich an meine Bestzeit herankommen, die ich bei den Olympischen Spielen in Paris aufgestellt habe (47,80 Sekunden bedeuten deutschen Rekord; Anm. d. Red.). Über 100 Meter Schmetterling möchte ich ebenfalls deutschen Rekord schwimmen, möchte dabei zum ersten Mal unter 51 Sekunden bleiben. Wichtig ist mir auch, mit dem Team vor Ort eine schöne Zeit zu haben.
SPORT1: Sie haben mit Platz sechs im Olympischen Finale von Paris über 100 Meter Freistil ein Ausrufezeichen gesetzt und einen deutschen Rekord aufgestellt. Liegt Ihre persönliche Messlatte nach einem starken Jahr im Rücken höher als in der Vergangenheit?
Salchow: Es hat sich definitiv etwas für mich geändert, weil ich gesehen habe, was möglich sein kann. Ich bin Sechster geworden, bis nach ganz oben fehlt nicht mehr viel. Ich weiß auch, welches Potenzial noch in mir steckt. Mein Start und meine Wenden sind noch nicht besonders gut, gerade diese technischen Feinheiten fehlen mir noch ein wenig. Da ist noch sehr viel zu holen. Ich bin auch noch nicht zu alt, mit 26 Jahren bin ich noch nicht in meiner Hochphase. Da sollte noch einiges gehen.
„Das Ziel ist auf jeden Fall, in Los Angeles um die Medaillen mitzukämpfen“
SPORT1: In Eindhoven trainieren Sie unter Peter Bishop, den Sie in Australien kennengelernt haben. Kann er Sie auf das erhoffte nächste Level bringen?
Salchow: Das Gespann zwischen Peter und mir hat in Australien sehr gut funktioniert. Das wird auch in Eindhoven weiterhin sehr gut funktionieren. Deswegen gehen wir den Weg auch weiterhin zusammen. Das Ziel ist auf jeden Fall, in Los Angeles um die Medaillen mitzukämpfen. Dafür werde ich höchstwahrscheinlich an die 47 Sekunden heranschwimmen müssen. Ich denke, dass das in drei Jahren machbar sein kann.
SPORT1: In den vergangenen Jahren waren viele deutsche Schwimmer eher über längere Distanzen im Becken oder Freiwasser erfolgreich. Lukas Märtens gewann Olympia-Gold über 400 Meter Freistil und stellte einen neuen Weltrekord auf, Isabel Gose ist Kurzbahnweltmeisterin über 1500 Meter Freistil oder auch Florian Wellbrock ist Olympiasieger über 10 Kilometer im Freiwasser. Auf den Sprintdistanzen blieben die großen Erfolge hingegen zuletzt aus. Worin liegen die Gründe dafür?
Salchow: Das ist eine trainingsmethodische Frage. In Deutschland wird im Training viel Wert auf „Kacheln zählen“ gelegt – also auf das alleinige Hin- und Herschwimmen im Becken. Das spielt Langstreckenschwimmern in die Karten, weil man dafür mehr trainieren muss. Was ich in Australien gelernt habe: Dort zählt die Qualität mehr und die Quantität rückt ein Stück weit in den Hintergrund. Das, was wir machen, soll richtig gut und wettkampfspezifisch trainiert werden. Wenn wir in die deutsche Vergangenheit blicken, hatten wir mit Franzi (van Almsick; Anm. d. Red.), Britta Steffen oder auch Paul (Biedermann; Anm. d. Red.) doch schon erfolgreiche Athleten und Athletinnen auf den Kurzstrecken. Generell ist das eine Sache, die wir angehen müssen, die jetzt vielleicht noch in den Kinderschuhen steckt.
SPORT1: Sie sehen aber positive Entwicklungen in Deutschland?
Salchow: Ich habe einige Erfahrungen aus Australien mitnehmen können, die man auch auf den deutschen Schwimmsport anwenden kann. Wir haben jetzt mit Stephan Wittky einen neuen Kurzstrecken-Bundestrainer. Wir haben in Heidelberg einen neuen Bundesstützpunkt-Trainer, der auch gute Ansätze hat. Es ist eine Frage der Zeit, dass wir den deutschen Schwimmsport auf kürzeren Distanzen wieder auf die Karte rufen können. Wir sind dabei, wie es Basketball-Star Moritz Wagner einmal gesagt hat, den Sport „mad sexy“ zu machen. Das passt sehr gut. Ähnlich wie der Schwimmsport war Basketball in Deutschland lange Zeit nur eine Randsportart und hat durch den WM-Titel 2023 an Bedeutung gewonnen. Genau das haben wir auch vor. Da würde ich auch meine Person voranstellen, da gehe ich sehr gerne vorneweg und mache das auf den kurzen Strecken.
Olympia-Revolution: „Das macht den Sport größer und attraktiver“
SPORT1: Bei den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles nimmt das IOC erstmals die Wettkämpfe über 50 Meter Rücken, Brust und Schmetterling für Männer und Frauen ins Programm auf. Begrüßt du diese Entscheidung und macht es den Schwimmsport für die Zuschauer attraktiver? Bei Weltmeisterschaften gibt es diese Distanzen schon ein wenig länger.
Salchow: Das ist definitiv eine gute Entwicklung. Das macht den Sport größer und attraktiver. Gerade für die Leute, die vielleicht nicht so sportinteressiert sind, passiert auf diesen Distanzen viel in kurzer Zeit. Das sieht dann auch krass aus und hat einen anderen Eventfaktor als die längeren Distanzen. Das macht aus meiner Sicht sehr viel Sinn – zumal die nächsten Olympischen Spiele 2028 und 2032 in Ländern stattfinden, in denen der Schwimmsport einen hohen Stellenwert hat. Was wir ebenfalls sehen werden, ist, wie das Gesamtniveau auf den kürzeren Strecken ansteigen wird. Die Grundgeschwindigkeit, die auf den 50 Metern gebraucht wird, wird sich auch auf andere Strecken ausweiten. Ich würde dennoch sagen, dass die 100 Meter Freistil weiterhin die Königsdisziplin im Schwimmsport ist – ähnlich, wie sie es in der Leichtathletik ist.
Deutscher Schwimmsport auf dem Vormarsch: „Sehe großes Potenzial“
SPORT1: Immer mehr deutsche Schwimmer und Schwimmerinnen, darunter beispielsweise Anna Elendt, Rafael Miroslaw und Kaii Liam Winkler, wechseln für ihre Karriere ins Ausland, weil dort bessere Trainingsbedingungen vorherrschen. Was kann sich der Deutsche Schwimm-Verband von der Konkurrenz abschauen?
Salchow: Aus meiner Sicht gehen viele Leute in die USA, weil sie dort eine duale Karriere umsetzen können. Wenn wir das in Deutschland hinbekommen, dass viele Sportler – und eben nicht nur die absoluten Topathleten – die Möglichkeit bekommen, Sport und Studium zu vereinbaren, dann wechseln genau diese Athleten nicht unbedingt in die USA. Das ist meistens der Hauptgrund. Sie können dort drüben studieren und weiterschwimmen. Man muss ebenfalls festhalten, dass der Sport in den USA oder Australien einen völlig anderen Stellenwert hat. In Australien ist der Schwimmsport ein großer Nationalsport, der zur besten Sendezeit übertragen wird. Dort läuft es auch im linearen Fernsehen, was wir hier in Deutschland nicht wirklich haben. Bei uns hat eben der Fußball die immense Strahlkraft. Ich konnte in Australien auch einen anderen sportlichen Ansatz wahrnehmen, habe dort vieles über die Mentalität gelernt, wie gerade Trainer und Athleten miteinander umgehen. Ein Satz, der mir hängengeblieben ist: „A good swimmer is a happy swimmer“ – wenn die Leute nicht glücklich sind, dann werden sie keine Leistung bringen. Das ist wichtig. Wir dürfen nicht vergessen: Deutschland war auch einmal eine super starke Schwimm-Nation. In Deutschland wurden Deutsche Meisterschaften auch im Free-TV übertragen, das gab es alles einmal. Wir sind auf einem guten Weg, das wieder hinzubekommen. Ich sehe großes Potenzial, dass wir den Schwimmsport wieder auf die Karte rufen und das Ding „sexy machen“.
SPORT1: Welche deutschen Athleten und Athletinnen haben bei der WM in Singapur die größten Chancen, Medaillen abzuräumen?
Salchow: Lukas (Märtens; d. Red.) wird über 400 Meter Freistil um die Medaillen schwimmen. Ich will ihm keinen Druck aussprechen, aber mit einem Weltrekord und einer Goldmedaille bei Olympia ist er unter den Topfavoriten. Angie (Angelina Köhler; d. Red.) wird ihren Weltmeistertitel aus 2024 über 100 Meter Schmetterling verteidigen wollen. Auch über 100 Meter Brust haben wir einige Jungs, die dabei sind – Melvin Imoudu wurde in Paris Vierter. Oft gibt es bei solchen Events aber auch große Überraschungen. Wir haben in unseren Reihen sehr gute Leute, die uns in Singapur eine gute Zeit bescheren werden.
Russland-Rückkehr? „Beißt sich einfach ein Stück weit“
SPORT1: In Singapur dürfen russische Athleten und Athletinnen wieder unter neutraler Flagge an den Start gehen. Leistungssport-Vorstand Christian Hansmann hat diese Entscheidung im Vorfeld kritisiert, er persönlich finde es schlimm, Russland einen Auftritt bei der WM zu ermöglichen. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
Salchow: Ich unterstütze die Kritik, ich finde das schwierig. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine existiert und ist noch nicht vorbei. Wir sehen aktuelle Entwicklungen, dass Donald Trump und die NATO wieder mit Sanktionen gegen Russland drohen. Auf der anderen Seite soll aber der Weltsport wieder Türen öffnen und uns zusammenrücken lassen. Das beißt sich einfach ein Stück weit. Wenn wir das Rad weiterspinnen und sehen, dass russische Athleten bei den Winterspielen 2026 dabei sind – dann laufen Biathleten mit einem Gewehr über die Piste und nicht unweit davon liegen die Russen und Ukrainer gegenüber im Schützengraben. Das Gleiche kann bei anderen Spielen auch passieren: 2028 könnten ukrainische Sportschützen gegen russische Sportschützen antreten. Diesen Vergleich finde ich schwierig, da ist ein fader Beigeschmack dabei. In Russland ist der Sport zudem sehr politisiert, Politik und Sport hängen zusammen. Deshalb finde ich es schwierig, wenn wir dann sagen, dass es nicht mehr zusammenhängt. Die Politik geht auf Konfrontation, aber der Sport öffnet die Türen. Das ist ein Widerspruch, das passt nicht zusammen. Ich finde es nicht gut, zumal die neutrale Flagge mich irritiert. Wir wissen alle, dass die Sportler und Sportlerinnen aus Russland kommen und dann lügen wir uns selbst an, indem wir die neutrale Flagge nehmen. Das ist schwierig. Entweder ganz oder gar nicht.